Tod im Maisfeld. Herbert Weyand

Tod im Maisfeld - Herbert Weyand


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roten Haare hingen lockig und sorgfältig frisiert bis auf die Schultern. Irgendwann muss sie mir ihren Jungbrunnen verraten, dachte Claudia.

      »Warten Sie … da war vor einem viertel Jahr etwas. Eine junge Frau lief häufiger durch das Feld. Sie fiel mir auf, weil sie keinen Hund dabei hatte. Wissen Sie, das ist absolut suspekt, einfach so durch die Felder zu laufen. Normalerweise erkenne ich die Leute an den Hunden. Namen kann ich mir nicht merken, die Tiere jedoch genau. Sagen Sie … hatte sie vielleicht dunkelbraunes Haar und meine Größe?«

      Elektrisiert beugten sich die beiden Kriminalbeamten nach vorne.

      »Ja«, forderte Claudia sie spannungsgeladen auf, weiterzusprechen.

      »Ungefähr dreißig Jahre alt und immer die gleiche Art von Sonnentop mit Spaghettiträgern. Dreiviertellange Shorts … so bis in die Mitte der Oberschenkel. Die Nägel an den Händen und Füßen auffallend dunkel lackiert. Sie war ganz schön zurechtgemacht. Wir, meine Bekannten und ich, sind schon mal stehen geblieben, um zu sehen, was die so treibt. Von wegen Techtelmechtel und so. Doch wir haben nie etwas in dieser Richtung bemerkt. Sie lief immer alleine. Woher sie kam, konnten wir nie feststellen. Sie ging uns aus dem Weg. Vielleicht von der Fliegerhorst-Siedlung. Keine Ahnung.«

      »Einen Moment bitte«, unterbrach Claudia und drückte die Kurzwahl für das Präsidium ins Smartphone. Sie ging zum anderen Ende des Wintergartens und murmelte ins Telefon.

      »Volltreffer«, sagte sie zu Heinz. »Dunkelroter fast schwarzer Nagellack. Das hatte ich vorhin überlesen.«

      »Doro … ich darf Sie doch beim Vornamen nennen?«

      »Klar. Ich war mir auch unsicher. Ich wusste nicht, wie ich Sie ansprechen sollte. Claudia … nicht? Bei einem solch hochoffiziellen Besuch ist es anders, als im Feld.«

      »Können Sie aufs Polizeipräsidium kommen und mit einem Kollegen ein Phantombild erstellen?«

      »Sicher. Dann nehme ich mir aber ein oder zwei von den anderen mit, die haben sie schließlich auch gesehen. Ach … noch etwas … sie war keine Deutsche. Irgendwas aus dem englischsprachigen Raum … kann aber auch Holländerin gewesen sein, auch wenn sie nicht so klang. Sie stand einmal im Supermarkt zwei Einkaufswagen vor mir. Sie schaute jedoch nicht hoch, um zu grüßen.«

      *

      »Die Frau habe ich auch gesehen«, stellte Kurt fest, als ihm Claudia abends von ihrem neuen Fall berichtete. Sie lümmelten auf dem Sofa. Jeder in einer Ecke und spielten mit den Zehen aneinander herum. Im Fernseher lief eine Serie, auf die sie sich nicht konzentrierten.

      »Wann willst du die gesehen haben? Du stolperst doch sonst nur über Leichen.« Claudia spielte auf ihre beiden letzten Fälle an, bei denen sie Kurt begegnete, bis sie hängen blieb. Ehrlich gesagt suchte sie die Nähe auch.

      »Ich habe sogar mit ihr gesprochen. Sie kam aus der Fliegerhorst-Siedlung. Hatte was mit einem AWACs Menschen, wenn ich richtig verstanden habe. Wir haben uns in englischer Sprache unterhalten. Sie ist – oder heißt es jetzt ›war‹ - keine Deutsche. Engländerin, Amerikanerin ... kann ich nicht sagen. Sie sah exotisch aus.«

      »Zufälle gibt es, die gibt es nicht.« Kurt überraschte sie immer wieder. Seit einigen Wochen lebte Claudia nun in Grotenrath. Der große Mann mit den breiten Schultern und schmalen Hüften hatte es ihr angetan. Das halblange mittelblonde Haar stand wie immer wirr vom Kopf und die grünen Augen musterten ständig und interessiert die Umgebung. »Und?«, fragte sie.

      »Was und? Ich bin ihr zwei Mal begegnet. Die ungewöhnliche Lackierung der Finger- und Fußnägel fiel mir auf. Ja … sie war eine ausgesprochen hübsche Frau.«

      »Dich kann man nicht alleine lassen. Kennst du diese Doro?«

      »Meinst du die Wellmann. Klar. Die läuft, solange ich hier lebe, jeden Tag zweimal mit ihren Hunden um das Dorf. Eine sympathische Frau.«

      »Weißt du, dass die Wellmann schon Mitte sechzig ist?«

      »Nein. Dann hat sie sich gut gehalten. Was hast du mit der zu tun?«

      »Die Frau fand unsere neue Leiche. Neben der Wellmann habe ich zwei weitere Frauen vernommen. Vernommen ist nicht der richtige Ausdruck. Ich habe mit ihnen gesprochen. Die wissen scheinbar alles, was in eurem Dorf vor sich geht.«

      »Ich hoffe jetzt auch dein Dorf. Ja, die Truppe mit den Hunden ist immer unterwegs. Im Grunde sind es mehrere Grüppchen, die sich treffen.«

      »Ich habe es festgestellt, als ich diesen Sommer herumspazierte. Gegen sieben, halb acht jeden Morgen geht das los. Fast immer die gleiche Zusammensetzung. Die Gruppen überschneiden sich, treffen sich, bleiben kurz stehen, tauschen Informationen aus bis gegen Mittag. Danach, ca. zwei Stunden später, wiederholt sich der Prozess bis gegen Abend. Ja … und dann kommen die, die nach ihrem Job mit den Tieren laufen.«

      »Da bleibt im Grunde nichts verborgen … bist du verrückt«, Kurt sprang kreischend vom Sofa.

      »Du bist kitzelig, das wusste ich noch nicht.« Claudia lachte vor Begeisterung. Sie geriet kurz mit den Zehen unter seine Fußsohle. Sie sprang auf und schlich katzenhaft auf ihn zu. Protestierend lief er davon.

      *

      drei

      »Kennen Sie diese Frau?« Heinz klingelte schon an der fünften Tür in der Fliegerhorstsiedlung. Eine Familie hatte die Frau auf der Phantomzeichnung schon einmal gesehen, konnte jedoch nichts Weiteres dazu sagen.

      Heinz rekapitulierte die Daten zur Siedlung in der Erinnerung. Ab den fünfziger Jahren hieß sie Fliegerhorstsiedlung, später dann Neuteveren. Im Sprachgebrauch blieb Fliegerhorstsiedlung, wobei die Einheimischen ihren Ortsteil »The Ghetto« nannten. Wenn man durch die Ansiedlung fuhr, gewann man den Eindruck auch.

      Die British Royal Air Force baute und bezog 1953 in Teveren den Flugplatz, den sie bis 1968 nutzte. Während der Zeit entstand die Siedlung. Als Jugendlicher trieb sich Heinz häufiger am Flughafengelände herum. Hier gab es billige Zigaretten, wenn einer der Soldaten Geld brauchte. Außerdem gaben ihm die startenden und landenden Propellermaschinen das Gefühl, Verbindung mit der großen weiten Welt zu haben und nicht am Arsch der Welt zu leben. Später, als die NATO den Flugplatz übernahm, waren die Oktoberfeste auf dem Gelände angesagt. Wer Karten ergattern konnte, hatte für Wochen Gesprächsstoff. Dort lief nicht nur das Bier in Strömen, zumindest in den achtziger Jahren nicht. Der Standard war, eine Flasche Whiskey und Cola pro Person. Und zwar je ein Liter. Ein Gefühl von Wilder Westen und Freiheit.

      »Kenne ich«, sagte der massige Mann im Unterhemd, dessen Bauch über den Hosenbund quoll. »Grace.«

      »Und?«

      »Sie wohnt dahinten in oder in der Nähe der Yorkstraße.«

      »Können Sie mir Näheres über die Frau sagen?«

      »Nee, kann ich nicht.«

      »Wollen Sie nicht oder können Sie nicht?«

      »Beides.« Er trat zurück und verschloss die Tür. Heinz klingelte noch mehrmals, jedoch erfolglos. Er war versucht, wütend gegen die Tür zu treten. Er hasste es, wie ein Hausierer, abgefertigt zu werden. Niemand überlegte, dass er zu ihrer Sicherheit tätig war. Diesen Typen bestellte er auf alle Fälle zur Belohnung ins Polizeipräsidium nach Aachen ein.

      Wahrscheinlich hatten sie die letzten schönen Tage im Jahr. Ein goldener Oktober mit Temperaturen um die zwanzig Grad. In der nächsten Woche zogen die ersten Nachtfröste aus Osten heran. Er durfte nicht vergessen, den Oleander und die Geranien hereinzuholen.

      Missmutig trabte Heinz zur Yorkstraße. Er bekam relativ schnell die mutmaßliche Adresse der Toten. Sie lag in einer willkürlich aufgebauten Häuseransammlung. Trist, mit schmutzigen Rasenflächen. Eine Reißbrettsiedlung. Nicht gewachsen. Sie besaß keine Atmosphäre, keine Geschichte und wenn, nur eine kurze. Trotzdem … mit ein wenig Pflege wäre ein schmucker Wohnbereich entstanden. Der ansehnliche Baumbestand erreichte teilweise ein Alter von über fünfzig Jahren.


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