Tod im Maisfeld. Herbert Weyand

Tod im Maisfeld - Herbert Weyand


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Ohren offen und dich auf dem Laufenden zu halten. Irgendwie hängen die Amis mit drin. Der Innenminister telefonierte mit Bundesbehörden und wird von Stunde zu Stunde stinkiger. Die Anweisung lautet: Heraushalten. Aus was auch immer. Der Bund kneift die Backen zusammen. Von dort kommt die mehr oder weniger Anweisung an unser Innenministerium.«

      »Mist. Bist du sicher? Aber, was frage ich. Ich muss sofort versuchen, Claudia zu bekommen. Sie reagiert heftig, wenn jemand ihre Arbeit sabotiert.«

      »Mach‹ mal langsam. Ich weiß doch auch nichts Genaues. Nur der Flurfunk in Düsseldorf brummt. Vielleicht ist nichts dran.«

      »Doch, doch … ich spüre es körperlich.«

      Es war tatsächlich so. Sie war auf dem Geistertrip, genau wie Claudia. Sie wusste so sicher, wie das Amen in der Kirche, dass sie auf eine Katastrophe zu schlitterten. Und das ihr. Sie durfte niemandem davon erzählen.

      *

      Kurt zog am Zügel und nahm das Pferd zurück, mit dem er am Heiderand entlang trabte. Ein Vergnügen, dem er nicht mehr nachging, seitdem er Claudia kannte. Die Zeit reichte nicht mehr und die Verletzungen, von denen er langsam genas, kamen auch dazwischen. Lange Zeit wusste er nicht, ob er noch leben wollte oder konnte. Vorbei.

      Jetzt lockte das schöne Wetter. Die letzten warmen Sonnenstrahlen mussten genossen werden. Aufgrund der beruflichen Tätigkeit und bisher lockerer Bindungen stand der große schwarze Wallach, zurzeit bei einem Nachbarn unter. Doch wie es aussah, würde er künftig zwangsläufig häuslicher. Der Plan zum Umbau eines Stalls in der Nähe des Wohnhauses geisterte durch die Gedanken. Land besaß er genug, um dem Tier entsprechenden Weidegang zu sichern. Die gedankliche Planung schritt immer weiter fort. In den nächsten Tagen würde er das Projekt in Angriff nehmen. Wie schnell akzeptierte er die Beziehung zu Claudia? Ob ihn wohl die berühmte Liebe packte? Er wusste es nicht.

      Seit geraumer Zeit beobachtete er eine Reiterin, zumindest nahm er aufgrund des langen Haares an, dass eine Frau das große Pferd trainierte. Einen Braunen mit sagenhaften Proportionen. Je näher er kam, stellte er fest, dass das ebenso auf die Frau zutraf. Sie saß locker im Sattel und lenkte das Tier lediglich mit den Schenkeln, zu Volten in unterschiedlichen Gangarten. Langes dunkles Haar umwehte sie. Einen Blick in das Gesicht erhaschte er nicht, weil sie konstant von ihm abgewandt ritt. In höchster Konzentration versunken, verrichtete die Reiterin ihre Arbeit. Kurt ritt näher, bis sie innehielt und ihn aufmerksam musterte. Durch eine nicht erkennbare Bewegung stoppte der Hengst. Ihm stockte der Atem. Eine atemberaubend schöne Frau mit hohen Wangenknochen und unergründlichen dunklen Augen.

      »Hallo.« Kurt näherte sich. »Beeindruckende Arbeit«, er nickte zu ihrem Pferd.

      »Hallo«, sagte sie mit genau der Altstimme, die er erwartete. »Oscar macht das alleine. Im Grunde sitze ich nur auf ihm.« Ihre Stimme besaß einen leichten angelsächsischen Akzent.

      »Ich reite lange genug, um zu wissen, welche Arbeit in ihrer Vorführung steckt.«

      »Ich mache das von Kindesbeinen an und bin faktisch auf dem Pferd groß geworden.« Sie lächelte.

      »Kurt Hüffner«, er stellte sich vor. »Ich wohne dort drüben in dem Dorf«, er machte eine unbestimmte Bewegung nach hinten.

      »Raissa Stone. Sie können Rai sagen. Ich arbeite auf der Base.«

      »Ich bemerkte den leichten Akzent in Ihrer Sprache. Sie sind nicht von hier? USA?«

      »Richtig. Kentucky.«

      »Ihr Deutsch ist exzellent.«

      »Die Urgroßeltern, vonseiten meines Vaters, kommen aus Hessen. In der Familie wird Wert darauf gelegt, auch die Heimatsprache der Wurzeln zu sprechen. Ich habe in Berlin und Aachen studiert.«

      Sie saß locker auf dem Pferd und bot ihm in der Seitenansicht einen wahrhaft kurvigen Anblick. Die Frau war mindestens so groß wie er und circa Ende zwanzig, Anfang dreißig.

      »Raissa ist ein russischer Name.«

      »Jetzt haben Sie meine Familie erwischt.« Sie lachte locker. »Mein Vater besaß leichte Tendenzen zum Kommunismus. Vor einigen Jahren war das noch ein Verbrechen. Heute schert sich niemand mehr darum.«

      »Was arbeiten Sie auf der Base?«

      »Dies und das.« Sie antwortete ausweichend.

      »Vielleicht sieht man sich wieder.« Kurt hob die Hand und trieb das Pferd an.

      »Bestimmt«, rief sie.

      Ruhig trabte er davon. Eine schöne, aber auch gefährliche Frau, sagte sein Inneres. Bei aller Faszination, die von ihr ausging, spürte er etwas Gefährliches in ihr. Ein Warnsignal? Wovor? Diese Frau konnte Claudia nicht das Wasser reichen. Rai besaß etwas Raubtierhaftes, das ihn ebenso anzog, wie abstieß. Wenn er richtig überlegte, neigte er dazu, sie abzulehnen. Was gab es abzulehnen?, fragte Kurt leicht amüsiert in Gedanken. Er kannte die Frau gerade mal wenige Minuten, doch sie würde eine Rolle in ihrem Leben spielen. Er drückte die Gedanken beiseite und sah dem gelben Punkt entgegen, der näherkam.

      Leo? Was machte der hier? Der sollte doch in der Schule sein.

      Leo war so etwas wie sein Neffe. Bis vor wenigen Monaten wussten sie nichts voneinander. Hannah Hüffner, Kurts Mutter, hatte ein Techtelmechtel mit Leos Großvater, aus dem Kurt hervorging. Die komplizierten Familienverhältnisse und die widrige Aufklärung darum, verdrängte Kurt, so gut es ging. Leo war behindert. Stehen geblieben auf der Stufe eines sieben- oder achtjährigen Jungen. Mittlerweile war er fünfzehn. Kurt agierte als gesetzlicher Vormund und sorgte dafür, dass er die bestmögliche Förderung und Ausbildung erhielt. Leo lebte weiterhin bei den Pflegeeltern, die ihn wie ein eigenes Kind liebten. Was mochte geschehen sein?

      »Leo, was machst du hier?« Kurt hielt das Pferd an und sprang herab.

      »Ist kalt«, sagte der Junge, den eigenen Gesetzen folgend.

      »Warum bist du nicht in der Schule?«

      »Keine Schule. Muss laufen.« Er drehte schon wieder ab. Leo hielt niemand. Immer in Bewegung und seinen Gedanken unterworfen.

      Kurt versuchte nicht, ihn aufzuhalten. Es war sinn- und zwecklos. Er musste noch einmal mit den Schuhmachers, Leos Pflegeeltern, sprechen.

      Gedankenvoll sah er dem Jungen hinterher. Es war kein gutes Zeichen, dass sie sich hier trafen. Erst die Amerikanerin und jetzt …

      *

      Claudia setzte ihre Suche im Haus des Ermordeten fort. Sie saß im Wohnraum auf der Couch. Aber die erhoffte Inspiration kam nicht. Die Wohnung blieb tot, wie ihre ehemaligen Bewohner. Keine Atmosphäre. Immer wieder glitt der Blick über Wände, Fußboden und Möbel in der Hoffnung einen Punkt zu finden, der etwas, über den oder die ehemaligen Bewohner, preisgab. Mutlos fiel sie nach hinten und lenkte die Augen zur Decke. Auch nichts. Auf dem Weg nach draußen bemerkte sie, dass sie ihre Schlüssel irgendwo abgelegt hatte. Genervt stampfte sie zurück. Da … auf der Couch lagen sie, Auto- und Hausschlüssel. Während sie die Schlüssel aufnahm, fuhr eine Hand gewohnheitsmäßig durch die Ritzen der aneinanderstoßenden Kissen. Sie ertastete einen Widerstand. Die Fingerspitzen trafen auf einen halbwegs runden Gegenstand. Sie hielt eine Münze in der Hand. Kupfer, Messing oder Bronze … sie wusste es nicht. Ungleichmäßig rund.

      Maria sagte doch etwas von einer Münze. Die wurde bei der Toten gefunden. Ob sie eine erste Spur hatten? Sie betrachtete das wahrscheinlich antike Geldstück. Schmucklos und ungewöhnlich dick lag es in ihrer Hand. Der Avers zeigte ein Tier, die Stilisierung eines Steinbocks und der Revers, etwas wie einen doppelten Anker.

      Griet, dachte sie. Kurts Nachbarin und Freundin war Anthropologin. Sie musste ihr letztendlich etwas dazu sagen können.

      Unruhig hob sie den Kopf und witterte wie ein Tier. Die Nasenflügel blähten, als könne sie darüber aufnehmen, was in der Luft lag. Tief im Innern stieg Angst herauf und trieb sie aus dem Gebäude. Fast laufend stürzte sie über den Hauseingang auf den Boden nach draußen. Sie rappelte sich hoch und stand ohne Zeitbewusstsein auf der Straße. Was geschah?


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