Tod im Maisfeld. Herbert Weyand

Tod im Maisfeld - Herbert Weyand


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nach links. Sie stand allein. Einbildung? Oder wieder eine der seltsamen Anwandlungen, die sie in dieser Gegend häufiger bekam? Nein … der Boden zitterte. Es gab einen dumpfen, kaum merklichen Schlag und das Gebäude vor ihr, fiel zusammen. Keine Explosion. Es implodierte. Das Mauerwerk zog nach innen, anderen Kräften, als denen der Schwerkraft folgend. Fassungslos sah sie den zeitlupenartigen Vorgang, der dann urplötzlich rasend schnell ablief. Gehetzt sah sie sich um. Sie stand alleine auf der Straße. Niemand reagierte. Unfassbar.

      Claudia informierte die Kollegen in Geilenkirchen und ließ das eingestürzte Gebäude großräumig absperren. Mittlerweile kamen auch die ersten Schaulustigen.

      Keine Minute später und … sie wäre in die Erde gezogen worden … so schien es zumindest. Ich bin nicht abergläubisch, dachte sie. Doch im Moment? Die Erde hatte sich aufgetan, anders war die Situation nicht zu beschreiben. Der Schlund der Hölle. Claudia schüttelte sich und wartete gespannt darauf, was ihre Kollegen dazu sagten. Das dauerte. Erst, wenn die Experten das zusammengefallene Haus untersucht hatten, konnte sie etwas unternehmen.

      Zutiefst beunruhigt fuhr Claudia nach Hause und warf die Berufskleidung in eine Ecke. Nicht, dass sie einer Kleiderordnung unterlag. Während der Arbeit trug sie meist Rock und Bluse. Ein Zugeständnis an ihre Erziehung. Im Elternhaus bestand eine Vorstellung von Etikette, die fast archaisch anmutete. Mädchen trugen Kleider oder Röcke, die knapp unter dem Knie endeten. Wieso unterlag sie diesem Zwang immer noch. Schlabberhose und Shirt trugen sich viel bequemer. Bei dem Gedanken kicherte sie. Noch vor einigen Wochen wäre sie so nicht vor die Tür gegangen. Ihre holländischen Nachbarn vermittelten eine lockere Lebensart. Ihre Eltern würden einen Infarkt bekommen. Auch seltsam … in den letzten Jahren dachte sie nie so oft an Zuhause, wie seitdem sie in diesem Dorf lebte. Bald war Weihnachten, dann fuhr sie nach Hause. Die Gelegenheit einige Fragen zu stellen. Der arme Kurt. Sie kicherte weiter. Ob er wollte oder nicht, er musste mit.

      Claudia machte sich auf den Weg durch den Garten zum Törchen, das die beiden Grundstücke miteinander verband. Sie staunte, wie schnell die Umgewöhnung geschah. Aus der engen Aachener Appartementwohnung in dieses große Haus mit dem riesigen Grundstück. Selbstverständlich und fast ohne darüber nachzudenken, nahm sie es hin. Paul Grebner, der Nachbar, stutzte die Sträucher und arbeitete so vertieft, dass er Claudia erst bemerkte als sie neben ihm stand.

      »Welch seltener Besuch«, lächelte er und legte die Gartenschere aus der Hand. Dabei richtete er die kräftige Figur auf. Die tiefblauen Augen musterten sie. »Komm, Griet hat bestimmt einen Kaffee fertig.«

      Ungezwungen schlenderten sie zum Haus. Paul erklärte ihr, wie er die Rosen schnitt. Wichtig sei nur, dass man schneidet, und zwar regelmäßig, denn fast alle Rosen blühten wie die meisten anderen Sommerblüher und Spätblüher, am diesjährigen einjährigen Holz. Neue Ableger trieben vor allem nach kräftigem Rückschnitt. Sie hatte absolut keine Ahnung, was er meinte und wollte dem Garten künftig mehr Zeit widmen. Es musste etwas dran sein, wenn so viele Menschen sich als Hobbygärtner betätigen.

      »Hi, Claudia. Schön dich zu sehen.« Griet wischte die Hände am Küchentuch ab. »Kaffee?« Ohne eine Antwort abzuwarten, füllte sie einen Becher und stellte ihn auf den Tisch. »Schwarz, nicht.« Sie deutete mit einer Rundbewegung um den Tisch. Claudia trank zwar auch Kaffee im Büro, doch seit sie hier lebte, wurde sie damit zugeschüttet. Überall wo sie hinkam, stand binnen Kurzem eine Tasse mit dem dunklen Gebräu auf dem Tisch. Die Frage nach Tee oder einem anderen Getränk erübrigte sich von selbst. Wahrscheinlich lag das an der Schmugglervergangenheit der älteren Einwohner. Solange der Schlagbaum Europa trennte, so lange wurde hier Kaffee geschmuggelt. Leider nahm das Schengener Abkommen dieses Vergnügen.

      Griet war ebenso groß wie ihr Lebensgefährte Paul, jedoch zarter gebaut. Sie trug halblanges dunkelblondes Haar über einem hübschen Gesicht, aus dem graue Augen strahlten. Paul war um die Vierzig und Griet um die dreißig. Beide bildeten ein attraktives, wenn nicht schönes Paar und ergänzten sich prächtig. Anfangs begegnet Claudia Griet mit Misstrauen. In ihrer Vorstellung lief damals etwas zwischen Kurt und der Nachbarin. Bis sie Paul kennenlernte. Heute kam sie zum ersten Mal allein und aus freiem Antrieb zu den beiden.

      »Du kommst nicht so einfach zu uns rüber?«, fragte Griet auch gleich, als ob ihr jemand ein Stichwort gegeben hatte. »Wenn ja, dann freuen wir uns.«

      »Du hast recht. Ich möchte, dass du dir etwas ansiehst.« Claudia erzählte über den Fall, den sie gerade bearbeitete.

      »Wir haben davon gehört. Eine tragische Geschichte«, sagte Paul. »Wie können wir dir helfen?«

      »Hier.« Claudia legte die Münze aus der Couchritze auf den Tisch. Jetzt kam sie sich blöd vor. Genauso gut hätte sie die Kriminaltechnik einschalten können.

      »Auf den ersten Blick würde ich sagen, dass sie echt ist. In dieser Stärke habe ich die Dinger noch nicht gesehen.« Griet drehte und untersuchte das Geldstück von allen Seiten. »Dies ist eine keltische Münze und besteht aus Potin, eine Bronzelegierung. Weißt du, wo der Fundort liegt?«, fragte sie.

      Claudia erzählte die Geschichte und kam darauf zu sprechen, wie das Haus vor ihren Augen implodierte.

      Griet und Paul reagierten seltsam. Erschrecken, nein, pures Entsetzen trat auf ihre Gesichter. Claudia hatte solche Reaktionen bei Vernehmungen erlebt. Wenn bei Beschuldigten die Erkenntnis darüber kam, was sie getan hatten und das Ergebnis nicht fassen konnten. Schnell fanden sie zum normalen Verhalten zurück und tauschten einen Blick, der ihr nicht entging.

      »Ich muss dir etwas sagen.« Griets Augen sahen nachdenklich in die Ferne. Claudia beobachtete ihre Nachbarin aus der Distanz der Ermittlerin. Urplötzlich belastete Misstrauen die Unterhaltung. »Vor einiger Zeit habe ich den Inhalt eines keltischen Grabes nicht ganz legal an mich gebracht. Das lag dort hinten in der Heide.« Griet wies vage in Richtung Waldsaums. »Damit begann eine Geschichte, die ich nicht noch einmal erleben möchte. Ich denke Paul auch nicht. Wir haben uns damals kennen und lieben gelernt. Immer noch bin ich der Ansicht, dass in der Heide weitere Keltenschätze lagern. Ich habe eine Übereinkunft mit eurer Regierung, in den nächsten Jahren keine Expeditionen in das Gebiet zu unternehmen. Das hängt mit vielen Dingen zusammen. Es gab Ereignisse, die ein normaler Menschenverstand nicht erklären kann. Mit deiner Information zu dem Haus in der Fliegerhorstsiedlung kommt alles wieder hoch. Paul und ich haben den Zwischenfall darüber ausgeblendet. Ich weiß nicht, ob ein Zusammenhang zu unseren damaligen Erlebnissen besteht. Es ist möglich, dass dieses Geldstück dort gefunden wurde. Ich müsste die andere Münze sehen und natürlich einige Untersuchungen machen.«

      »Mir ist aufgefallen, dass ihr bei bestimmten Themen einsilbig wurdet. Ich denke Kurt ist mit von der Partie.« Claudia entspannte sich.

      »Mach‹ ihm keinen Vorwurf. Paul und ich haben ihn darum gebeten. Wir wollten dir die Geschichte bei passender Gelegenheit selbst erzählen.«

      »Nein, nein. Um Gottes willen. Wir haben uns in der Zeit, die wir uns jetzt kennen, so wenig gesehen, dass wir keine Gelegenheit hatten, uns ausgiebig über uns zu unterhalten. Wie gesagt … ich spürte, dass da etwas war. Anfangs dachte ich zwischen dir und Kurt läuft was, aber da kannte ich Paul noch nicht.«

      »Deshalb warst du so zurückhaltend.« Griet lachte belustigt. »Normal müsste ich jetzt die deutschen Behörden unterrichten. Wenn du möchtest, warten wir noch etwas.« Griet van Houten lehrte als Privatdozentin in Den Haag Anthropologie. Sie hatte es nicht so mit der Bürokratie, die ihr immer wieder Steine in den Weg legte.

      »Es wäre nett, wenn du noch wartest. Ich möchte einige Recherchen anstellen und denke, du brauchst auch etwas Zeit.«

      »Richtig. Besorge mir noch die zweite Münze, dann kann ich einen Vergleich oder Zusammenhang herstellen. Um noch einmal auf unsere Reaktion von vorhin zurückzukommen.« Griet rang mit sich. »Es geschehen Dinge, die nicht mit normalen Maßstäben zu messen sind. Ich habe es angedeutet. Du sprachst von einer Implosion. Dieses Gebiet wurde von den Kelten besiedelt. Die Möglichkeit, dass unter uns Gänge und Höhlen laufen, ist groß. Dass die Ursache bei deinem Gebäude darin liegt, schließe ich aus. Hier wird es einen anderen Grund geben. Lassen wir das im Moment. Wie geht es dir?« Sie musterte Claudia eindringlich.

      »Im


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