Tod im Maisfeld. Herbert Weyand

Tod im Maisfeld - Herbert Weyand


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zu unterlassen. Sie war keine gute Teamspielerin. Seit der Entführung im letzten Fall umsorgten die Kollegen sie. Sie mochten sie nirgendwo allein hingehen lassen.

      Heinz wusste, dass Claudia, bei der Aufnahme des Tatorts, Ruhe benötigte, und blieb deshalb im Hintergrund. Er nutzte die Gelegenheit und strich noch einmal durch die Siedlung. Wer wusste, wozu das später gut war. Bis auf den Bereich jenseits der Hauptstraße wirkte die Häuseransammlung unbewohnt und leblos. Der Hauptteil der Gebäude sollte verkauft werden. Der Erhaltungszustand stand in keinem Verhältnis zum Preis. Nach ungefähr einer Stunde hatte er die Umgebung aufgenommen und gesellte sich zu seiner Chefin. Erst nach dreiundzwanzig Uhr verließen sie die Wohnung des Toten und traten die Heimfahrt an.

      Maria saß wie das blühende Leben vor ihnen.

      »Wollt ihr das Neueste hören?«, fragte sie gespannt. Beide verdrehten die Augen. Wenn Maria so drauf war, gab es keine Ruhe. »Ihr seid ja so was von ergiebig heute Morgen. In dem Maisfeld lag eine Hanfplantage. Fünfzig mal fünfzig Meter.«

      »Cannabis oder Hanf?«, fragte Heinz gelangweilt.

      »Mensch. Bist du bekloppt. Hast du dein Gehirn im Bett gelassen? Noch einmal: eine Plantage mit Cannabispflanzen auf zweitausendfünfhundert Quadratmetern.«

      »Das ist doch etwas. Muss jedoch nicht unbedingt mit der Toten zu tun haben.«

      »Hab‹ ich auch nicht gesagt.« Maria reagierte beleidigt, weil ihre Kollegen so desinteressiert reagierten.

      »Ungewöhnlich, dass der Anbau unentdeckt blieb«, stellte Claudia trocken fest. »In der Zeit meiner Rekonvaleszenz flogen dort laufend Hubschrauber zur Base.«

      »Tatsache ist … das Cannabisfeld existiert.«

      »Kümmerst du dich darum?«, fragte Claudia.

      »Was meinst du, was ich tue. Manchmal wünsche ich mir, wir hätten die gleichen Möglichkeiten wie im Film. Ein Mord … eine Soko. Dann hätten wir hier zwanzig muntere Kriminalisten sitzen und würden uns nicht anmuffen.«

      »Mensch Maria. Halt‹ die Klappe. Während du mit deinem LKA-Lover telefoniertest, waren wir noch im Dienst.« Heinz reizte sie noch ein wenig. Doch der Schuss ging nach hinten los.

      »Ich habe gar nicht telefoniert. Er war hier … in Aachen. Ich habe viel, viel weniger geschlafen als ihr. Und … sieht man es mir an?« Sie drehte sich kokett … das blühende Leben. Vor einigen Wochen lernte sie Armin Krüger kennen, der gemeinsam mit ihr und den anderen im Klinikum ermittelte. Was locker begann, entwickelte sich zu einer ernsten Beziehung. »Noch etwas. Eine merkwürdige Sache. Wie ihr wisst, war an der Toten nichts, worüber sie zu identifizieren wäre. Die Spurensicherung fand eine Münze. Entsprechend dem Fundort kann sie sich nur in der Hand der Frau befunden haben. Ein Kupfer- oder Bronzestück. Genaueres konnten sie noch nicht sagen. Auf jeden Fall: alt.«

      »Wir behalten das im Auge«, sagte Claudia zerstreut. »Die Toten sind Amerikaner. Wir werden Schwierigkeiten und wahrscheinlich unliebsame Hilfe von den US Behörden bekommen. Fehlt mir noch, dass uns ein Sheriff in unsere Ermittlungen funkt. Ich habe vorhin mit Dengler, dem neuen Staatsanwalt gesprochen. Der faselte von Auswärtigem Amt und Bundesbehörden.«

      »Sch …«, Heinz verkniff sich, das Wort auszusprechen. »Haben wir denn nie einen normalen Fall? Mit der Base um die Ecke mussten wir damit rechnen, dass irgendwann etwas passiert. Da kommt jede Menge Volk zusammen. Nicht, dass wir mit den Holländern nicht genug zu tun hätten … jetzt auch das noch.«

      »Verkompliziere den Fall nicht, indem du deinen holländischen Kollegen einschaltest. Nicht, dass er bisher keine Hilfe gewesen wäre. Aber ... der hat drüben scheinbar nichts zu tun. Wenn ich jedoch die Zeitung lese und sehe, was im nahen Grenzbereich dort geschieht, frage ich mich, wie er seinen Laden am Laufen hält.«

      »Raoul ist ein Organisationsgenie«, prahlt Heinz stolz. Raoul Janssen war der Polizeichef der Provinz Limburg und ein privater Freund des deutschen Kriminalisten. Im letzten halben Jahr mischte er in verschiedenen Ermittlungen auf deutscher Seite mit. Unkompliziert und kompetent räumte er die Verwaltungsbarrieren zwischen beiden Ländern beiseite.

      »Wie soll ich das verstehen?«, fragte Maria. »Was hat das Auswärtige Amt mit unserer Arbeit zu tun?«

      »Du weißt doch, wie die Amerikaner sind«, stellte Claudia fest. »Bürger der Vereinigten Staaten – zumindest müssen wir im Moment davon ausgehen – und die spielen verrückt. Die trauen uns nichts zu. Wenn Abels oder seine Frau Soldaten waren, dann gute Nacht.«

      »Dann habe ich gute Nachrichten für euch«, Maria sah wichtigtuerisch in die Runde. »Abels arbeitete als Zivilangestellter. Eine Frau gibt es nicht?

      »Wie … gibt es nicht? Sie wurde doch identifiziert«, maulte Claudia.

      »Boah. Woher soll ich das wissen? Vielleicht ermitteln wir noch …«, Maria reagierte gereizt.

      »Bleibt ruhig. Ich mach das«, mischte Heinz sich mit einer Handbewegung ein. »Vielleicht kann ich das auf die Staatsanwaltschaft abwälzen.«

      »Wenn du das schaffst, hast du etwas gut bei mir. Diese Münze … wer ist damit beschäftigt?« Claudia sah Maria an.

      »Die Spurensicherung. Wen die noch einschalten, weiß ich nicht. Aber ich kümmere mich darum.«

      Nach der Besprechung mit den Kollegen zog es Claudia wieder zum Haus des Toten. Zwischen der toten Frau aus dem Maisfeld und dem Ermordeten aus der Yorckstraße bestand keine Verbindung, ging ihr durch den Kopf. Aber die Nachbarn erkannten sie doch? Wieder so ein blöder Gedanke, den sie nicht erklären konnte. Diese Gegend machte sie verrückt.

      An und für sich wollte sie schon am frühen Morgen zur Fliegerhorst Siedlung fahren, wählte jedoch das Präsidium. Sonst hätte sie keine Gelegenheit mehr bekommen, die Kollegen zu sprechen. Von Kurts Haus zum Fundort der männlichen Leiche in der Yorckstraße war es ein Katzensprung, ungefähr ein Kilometer Luftlinie.

      Jetzt stand sie wieder im Eingangsflur und versuchte die Spannung aufzubauen, von der sie Inspiration erhoffte. Was ging ihr gestern kurz durch den Kopf? Da hatte sie es wieder. Es fehlte jeglicher persönliche Bezug zu den Toten. Keine Bilder oder schriftliche Unterlagen zu Versicherungen oder Ähnlichem. Kleidung ja … sonst nichts. Auch Frauenkleidung. Die Konfektionsgröße stimmte mit der der Toten überein. Sie versuchte im Wohnraum, die Atmosphäre der ehemaligen Bewohner aufzunehmen. Keine Behaglichkeit. Sie kannte wenige Amerikaner – doch, die sie kannte, liebten Bequemlichkeit und technischen Schnickschnack. Hier war nichts davon vorhanden. Nachdenklich ließ sie ihre Augen schweifen. Wie lange lebten die beiden hier? Laut Auskunft der Personalabteilung der Base, Peter Abels seit Februar. Also ungefähr neun Monate. Was stimmte hier nicht? Sie schlenderte durch den kleinen Garten zu der Laube oder Stall oder wie man es sonst nennen mochte. Auf der Tür prangte ein Polizeisiegel. Ihr Autoschlüssel glitt darüber und schon zerriss es. Sinnend betrachtete sie den halbdunklen Raum. Wie so oft stieg auch jetzt der Ärger hoch. Die Kollegen der Spurensicherung hatten nicht gerade sorgfältig gearbeitet. Das fiel Claudia schon gestern auf, als sie mit Heinz am Abend den Tatort besichtigte. Die Flächen hinter der Werkbank lagen staubbedeckt und unberührt vor ihr. Behutsam verrückte sie einige Farbdosen. Vielleicht fand sie doch etwas. Was erwartete sie, zu finden? Der Inhalt des kleinen Gebäudes schien noch von dem Vorbesitzer zu sein. Das sehr kleine Fenster an der Rückwand war und blieb undurchsichtig. Generationen von Spinnen hatten ihre Fäden gewoben.

      Abels Leiche wies mehrere Messerstiche auf. Zuvor wurde er jedoch brutal zusammengeschlagen. Das zeigten die gebrochene Nase und der Kiefer ebenso, wie die Frakturen der Unterarme. Die Fundstelle war nicht identisch mit dem Tatort. Jemand hatte ihn wie einen Sack über die Werkbank geworfen. Sie fanden einige verheilte Schussverletzungen auf seinem Oberkörper. Keine Gewehrkugeln, wie die Obduktion in der Kölner Uniklinik ergab. Pistole oder Revolver.

      Wenn ich spekuliere, dachte sie, würde ich annehmen, die beiden Toten hatten eine begrenzte Mission zu erfüllen. Deshalb die sterile Wohnung. An sich wahrscheinlich. Doch, den Kalten Krieg gab es nicht mehr. Oder? NATO? Air Base? Hier kam eine multikulturelle Gruppe zusammen. Ermittlungen in diesem


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