Tod im Maisfeld. Herbert Weyand

Tod im Maisfeld - Herbert Weyand


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sie auf die Jacke ihres Kostüms verzichtete und ihre reizvollen Kurven, durch eine eng sitzende Bluse betonte. Sie wirkte eher wie die Managerin eines Unternehmens, denn einer Kriminalbeamtin. Mit einer Ausnahme. An den Füßen trug sie alte schmuddelige Sportschuhe.

      »Was ist für ein Summen in der Luft. Hört sich gruselig an«, fragte sie Heinz.

      »Ist auch gruselig.« Er zeigte zum Maisfeld in die Luft.

      Tatsächlich. Millionen von Fliegen standen in einem dunklen Knubbel über der Fundstelle der Leiche. Mit der Bewegung der Maisstauden und den Flügelschlägen der Insekten entstand eine beklemmende Hintergrundmusik. Claudia fiel auf, wie sie die Luft anhielt, um keines dieser Krabbelviecher einzuatmen. Sie überwand den ersten Schock und richtete die Aufmerksamkeit auf die Arbeit.

      Langsam, jedoch festen Schritts schritt sie zum Ort des Grauens und erspähte mit Entsetzen das Etwas, das einmal ein Mensch gewesen war. Die Leiche, oder das, was davon übrig geblieben war, lag mit dem Gesicht nach unten, soweit sie das beurteilen konnte. Sie hielt inne und richtete den Blick auf die Überreste. Mit ihrem Erfahrungswissen sah sie, dass das Gewebe im normalen Verwesungsprozess zersetzt wurde, wobei Insekten das ihre taten. Der warme Sommer hatte die Fliegenpopulation gefördert. Die abgelegten Larven konnten zu einer Zeitbestimmung herangezogen werden.

      Faules stinkendes Fleisch lag in einem Radius von etwa fünf Metern, zwischen den Maisstauden, um die Leiche verteilt. An einigen Stellen traten gelbliche Knochen hervor. Keine Kleidung. In diesem Augenblick schoss das Gedicht durch ihren Kopf.

      »Es glänzt der Himmel über dem Dach

      So blau, so stille.

      Ein Baum wiegt draußen über dem Dach

      Der Blätter Fülle.

      Eine Glocke im Himmel, den du siehst,

      Hörst sanft du klingen,

      Einen Vogel auf dem Baum, den du siehst,

      Seine Klage singen.«

      Vor Jahren hatte sie es einmal gehört. Einfach lächerlich. Blöde Gedanken. Weshalb gerade jetzt? Verlaine oder so ähnlich hieß der Dichter. Da gab es noch eine oder zwei Strophen. Ach ja …

      »Mein Gott! Mein Gott! Das Leben fließt dort

      Ohne Leiden und Härmen,

      Vom Städtchen kommt mir herüber dort

      Ein friedliches Lärmen.

      Und du dort, der weint bei Tag und Nacht

      In schmerzlicher Klage,

      O sage mir du dort, wie hast du verbracht

      Deine jungen Tage?«

      Gab ihr Unterbewusstsein einen Hinweis? Die Vögel zwitscherten aus Lebensfreude. Sie hörte keine Klage. Die Kirchenglocke schlug elfmal. Kein sanfter Klang, mehr eine Erinnerung daran, dass das Leben unbarmherzig voranschritt. Und nun dieser, unter Umständen abrupte Tod. Sie gewöhnte sich nie daran. Wer mochte die Person sein? Wie lebte sie? Dinge, die in den nächsten Tagen oder Wochen ihr Lebensinhalt bestimmten.

      Nachdenklich knipste Claudia einige Fotos mit dem Smartphone. Der erste Eindruck erschien ihr wichtig. Die Positionsmarken der Technik waren bedeutend, weil sie Aufschluss darüber gaben, was letztendlich geschehen war. Mit der praktischen Zusatzfunktion des Smartphones bannte sie die ersten Gedanken in den Speicher und konnte sie jederzeit abrufen. Eine Leiche an sich war meistens schon kein angenehmer Anblick. Doch hier, ging es an die Grenze dessen, was ein Mensch ertragen konnte. Es sei denn, er hatte Wasser anstatt Blut in den Adern.

      »Kann mir schon jemand etwas sagen?«, fragte sie mit rauer Stimme bei den Gerichtsmedizinern, die diktierten und filmten.

      »Weiblich.« Knut Svensen, der Mediziner sah aus der hockenden Haltung hoch. »Mehr kann ich bei bestem Willen nicht sagen. Normal müsste sie ausgetrocknet sein, bei dem Wetter der letzten Wochen. Oder ... noch mehr, als jetzt, von den Tieren zernagt. An dieses verfaulte Fleisch geht jedoch kein Lebewesen mehr. Irgendetwas hat die Leiche feucht gehalten, sodass sie faktisch faulte. Du kannst nichts anfassen, es zerfällt sofort. Wie bei einem Stück Fleisch, das zu lange kocht. Ich habe noch einige Stunden zu tun. Pass auf, damit mir hier niemand herumtrampelt.« Er zeigte auf die unkenntliche Leiche. Die Haut hing in unappetitlichen Lappen herunter. Dabei entstand das Gefühl, als ob die stinkende Masse sich bewegte. »Wir müssen anhand der Muskelproteine, der Aminosäuren und ungesättigten Fettsäuren das Ausmaß der Verwesung ermitteln.« Knut führte etwas weiter aus. »Aufgrund des abnormen Zustandes der Leiche muss ich warten, bis ich im Labor auf meine Einrichtung zurückgreifen kann. Letztendlich wird die Rechtsmedizin in Köln das abschließende Gutachten geben. Aber das weißt du auch alles. Im Moment kann ich bestenfalls eine Schätzung vornehmen. Das Wetter, die ungewöhnliche Zersetzung des Gewebes«, er kniff seine Nase, »ungefähr zwei Monate … plus, minus. Mehr geht im Moment nicht.«

      »Danke.« Claudia verließ schaudernd das Maisfeld auf dem Weg, den die Kollegen als Zugang markiert hatten. Auf dem Wirtschaftsweg traf sie wieder auf Heinz.

      »Mich wundert, dass dein Grabräuber noch nicht hier nicht.« Er konnte die Anspielung auf Claudias Lebensgefährten nicht lassen.

      Vor einigen Monaten ermittelte die Aachener Kripo in der Gegend wegen einiger Leichenfunde im Heidegebiet. Während des Falles lernte Claudia Kurt Hüffner kennen, der damals ein Indiz von den Leichen hatte mitgehen lassen. An diesem Mann blieb sie tatsächlich kleben. Er besaß einige Macken, die deutlich anders waren, als die, die sie bei ihren bisherigen Bekanntschaften feststellte. Sein Leben bestimmte, neben dem Beruf, der Rhythmus des Dorfes. Das karge Leben der Vergangenheit prägte die Bewohner immer noch. Sie lebten mit einem leichten Hang zum Mystischen, der sich umso ausgeprägter, je älter die Einwohner wurden. Sie lebte nun seit einigen Wochen mit Kurt zusammen.

      »Ehrlich gesagt, mich auch. Sonst ist er meist vor uns am Fundort der Leichen.« Die wenigen Wochen, die Claudia jetzt hier wohnte, fühlten sich wider Erwarten gut an. Die Ruhe, die Gegend und die Menschen gefielen ihr. Es war nicht weit nach Aachen zum Leben einer Großstadt und die wenigen Kilometer zu den holländischen Metropolen Maastricht und Heerlen versprachen Abwechslung. »Komm‹ wir setzen uns einen Moment dort auf die Bank. Das Häuschen haben Nachbarn für ein Original im Dorf gebastelt.« Claudia zeigte auf den kleinen Unterstand, der in die Hecke gebaut war. »Wie ich hörte, war er ein liebenswerter Mensch, der jedoch schon einige Jahre tot ist. Er verteilte Bonbons an die Vorbeikommenden. Hier habe ich mich einige Male von meiner Erschöpfung nach der Entführung erholt. Der beste Platz, um Gott und Pott kennenzulernen.« Ihre Gedanken tauchten kurz in die jüngere Vergangenheit und die Depressionen, die nach dem Kidnapping kamen. Einige Wochen erkundete sie in langen Spaziergängen die Umgebung des Dorfes und im Weiteren das Heidegebiet. Das blies den Kopf frei und die unliebsamen Erlebnisse rückten in den Hintergrund. Mittlerweile schlief sie die Nächte durch.

      »Was mag dort geschehen sein?« Heinz zeigte fahrig zum Maisfeld hinüber.

      »Keine Ahnung. Wir müssen abwarten, was uns die Kollegen liefern. Das dauert einige Zeit.« Sie schüttelte sich. Der fürchterliche Anblick stand vor ihren Augen.

      »Theoretisch könnte es ein natürlicher Tod sein.« Heinz überlegte laut.

      »Das glaubst du selbst nicht. Eine Frau zieht sich nackt aus und geht ins Feld zum Sterben. Was ist los mit dir?«

      »Ich habe keine Lust mehr«, sagte er müde. »In diesem Jahr hatten wir so viele Leichen, wie seit Jahrzehnten nicht. Ich muss das nicht mehr haben.«

      »Du willst mich doch nicht allein lassen«, sie stieß ihn freundschaftlich in die Seite.

      »Hör‹ auf. Meine Nerven sind nicht mehr so stark. Scheinbar wird das Nervenkostüm dünner, je älter man wird.« Heinz spielte seit einiger Zeit mit dem Gedanken an die Pension. Es fiel schwerer, morgens aufzustehen und die Knochen in Gang zu bekommen.

      »Bei dir nicht. Du bist unverwüstlich.« Claudia dachte mit Schrecken daran, dass Heinz eines nahen Tages nicht mehr zum Team gehörte. Er war zwar


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