Die Todesliste. Irene Dorfner

Die Todesliste - Irene Dorfner


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      Er drehte den Zündschlüssel und brachte weitere Argumente vor, die gegen das Rauchen sprachen. Dann ging er über zu Tipps, wie sie sich von der Sucht am einfachsten befreien konnte. Tatjana war genervt und drehte das Radio abermals lauter. Dadurch hörten beide die Handys nicht, die mehrfach klingelten.

      Dass Leo und Tatjana verfolgt wurden, bemerkten sie nicht. Leo war durch seinen Vortrag abgelenkt, Tatjana konzentrierte sich auf die Musik, wobei sie sich demonstrativ eine Zigarette nach der anderen anzündete, um Leo zu ärgern.

      „Warum muss ich aus München von Ihrer Bewerbung erfahren?“, kam Rudolf Krohmer sofort auf den Punkt. Um in aller Ruhe mit Grössert sprechen zu können, hatte er das Telefon zu seiner Sekretärin umgeleitet und das Handy stummgeschaltet. Auch Werners Handy war aus, denn er ahnte, worum es bei dem Gespräch ging und wollte dabei nicht gestört werden. Hätte er doch nur auf seine Frau gehört, die ihm mehrfach geraten hatte, Krohmer gegenüber mit offenen Karten zu spielen! Aber das war leichter gesagt als getan. Schlussendlich hatte er sich dazu entschlossen, nichts zu sagen, denn schließlich wusste er nicht, wie die Bewerbung entschieden wurde. Wenn er abgelehnt wurde, hätte er viel Staub aufgewirbelt. Der zweiundvierzigjährige Werner Grössert blieb äußerlich ganz ruhig, innerlich brodelte es. Er schämte sich fast dafür, dass er Krohmer nicht ins Vertrauen gezogen hatte, aber nur fast. Werner hatte sich vor über zwei Monaten für einen sehr interessanten Job beim Innenministerium München beworben. In der Stellenausschreibung fühlte er sich angesprochen, auch wenn die Arbeitsbeschreibung keine direkte Polizeiarbeit beinhaltete. Jetzt war es so weit: Krohmer hatte Wind davon bekommen.

      „Ich habe meine Chancen sehr gering eingeschätzt und wollte die Pferde nicht scheu machen.“

      „Aha. Gefällt es Ihnen bei uns in Mühldorf nicht mehr? Sind die Aufgaben nicht anspruchsvoll genug? Erklären Sie mir, warum Sie uns verlassen wollen!“

      „Sie wissen sehr gut, dass ich mich in Mühldorf wohlfühle. Trotzdem möchte ich mich weiterentwickeln. Ich bin jetzt zweiundvierzig Jahre alt und muss zusehen, dass ich beruflich weiterkomme. Können Sie das nicht verstehen?“

      Krohmer lehnte sich zurück. Er verstand Grössert und seinen Wunsch, auf der Karriereleiter nach oben klettern zu wollen, sehr gut. Trotzdem ließ er ihn nur sehr ungerne gehen. Seine Mannschaft war für seine Begriffe perfekt und jetzt würde ein wichtiger Teil wegbrechen. Außerdem mochte er Grössert gerne. Die beiden kannten sich schon seit vielen Jahren und Krohmer konnte sich einfach nicht vorstellen, dass Grössert nicht mehr da sein würde.

      „Doch, ich verstehe Sie. Ich werde Sie vermissen, Grössert.“

      „Soll das heißen….?“

      „Ja, Sie haben den Job. Der Innenminister hat mich heute angerufen. Ihre Chancen waren nicht so gering, wie Sie sie eingeschätzt haben. Sie sind perfekt für die Stelle. Persönlich bin ich enttäuscht, dass ich das nicht von Ihnen davon erfahren habe, muss das aber so hinnehmen. Es schmerzt mich, Sie in Kürze nicht mehr zum Team dazuzählen zu dürfen. Trotzdem wünsche ich Ihnen alles Gute.“ Krohmer stand auf und reichte ihm die Hand. „Das Fax soll ich Ihnen überreichen, die Unterlagen bekommen Sie per Post. Am ersten November geht es los.“

      „Vielen Dank, Chef.“ Mehr konnte Werner Grössert nicht sagen. Er überflog das Fax, das persönlich vom Innenminister unterschreiben war. In den wenigen Zeilen wurde die Stelle bestätigt. Die Zukunft in München, von der er und seine Frau seit Wochen träumten, wurde nun Realität. Seine Frau hatte ein Jobangebot in München, das sie jetzt annehmen konnte. Außerdem hatten die beiden eine kleine Tochter, an die sie denken mussten. In München gab es nun mal sehr viel mehr Möglichkeiten für die Zukunft der Kleinen, davon waren sie beide überzeugt. Werner lächelte, als er Krohmer die Hand schüttelte. Ihm lag eine Entschuldigung auf der Zunge, aber dazu konnte er sich nicht durchringen. Es war sein gutes Recht gewesen, sich zu bewerben und dafür musste er sich nicht rechtfertigen. Er verstand Krohmers Enttäuschung, an der er aber nichts mehr ändern konnte. Jetzt musste er so schnell wie möglich seine Frau anrufen, um ihr die gute Nachricht mitzuteilen.

      Maria Rettermaier, Krohmers fünfunddreißigjährige Sekretärin, nickte Werner Grössert nur zu, als der mit einem fetten Grinsen das Büro des Chefs verließ. Sie wusste, was die beiden zu besprechen hatten und hatte Mitleid mit ihrem Chef, dem das nicht leichtgefallen war. Sie stand auf und klopfte zaghaft.

      „Alles klar, Herr Krohmer?“

      „Geht so. Könnten Sie bitte dafür sorgen, dass ich für zwanzig Minuten meine Ruhe habe? Vertrösten Sie alle Anrufer, um die kümmere ich mich später. Erfinden Sie irgendeine Ausrede, Ihnen fällt sicher etwas Passendes ein. Würden Sie das für mich tun?“ Sollte Maria ihm sagen, dass der Staatsanwalt mehrfach angerufen hatte? Nein, das konnte warten.

      „Mache ich gerne.“ Leise schloss sie die Tür. Als sie sich umdrehte, stand der Staatsanwalt Eberwein vor ihr.

      „Ich muss dringend Herrn Krohmer sprechen. Er ist doch da, oder?“ Sie spürte, dass etwas passiert sein musste, denn der Staatsanwalt war sehr aufgeregt.

      „Das geht leider nicht. Kommen Sie in einer halben Stunde wieder.“

      „Mein Anliegen kann nicht warten.“ Eberwein versuchte, sich an Maria Rettermaier vorbeizudrängeln, aber sie ließ das nicht zu. Die stämmige, kleine Frau stellte sich ihm entschlossen entgegen. Eberwein wich zurück. Er war schon einmal mit der resoluten Sekretärin aneinandergeraten und das war ihm nicht gut bekommen. „Ich flehe Sie an, Frau Rettermaier: Ich muss Herrn Krohmer sprechen, es ist dringend!“

      Sie schüttelte den Kopf. Sie hatte dem Chef versprochen, ihn in Ruhe zu lassen. Konnte man ihm die zwanzig Minuten nicht zugestehen?

      „Nein!“, war die klare Antwort.

      „Was ist mit den Kollegen Schwartz, Hiebler, Struck und Grössert? Ich kann niemanden erreichen!“

      „Herr Hiebler ist im Urlaub, der Glückliche ist auf den Mauritius. Herr Grössert war eben noch hier, er kann nicht weit sein. Wo die anderen beiden sind, kann ich Ihnen nicht sagen. Haben Sie es schon auf deren Handys versucht?“

      „Selbstverständlich! Denken Sie, ich bin bescheuert? Natürlich habe ich mehrfach angerufen, aber es meldet sich niemand.“

      „Diesbezüglich kann ich Ihnen nicht helfen. Ich kann Ihnen nur raten, es weiterhin zu versuchen. Gehen Sie in die Kantine und trinken Sie einen Kaffee. Ich sehe zu, was ich inzwischen für Sie wegen eines Gesprächs mit Herrn Krohmer machen kann. Geben Sie mir zwanzig Minuten, okay?“

      Eberwein zögerte. Die Rettermaier war stur und würde ihn nicht durchlassen. Was blieb ihm anderes übrig, als ihrem Rat zu folgen? Er hatte wieder und wieder versucht, die Kriminalbeamten zu erreichen, aber die gingen nicht an ihre Handys. Hiebler war in Sicherheit, um den musste er sich keine Sorgen machen. Zum Glück konnte er wenigstens ihn von der Liste streichen. Wütend und enttäuscht drehte er sich um und ging in die Kantine, wo er sich einen Kaffee holte. Am Tisch angekommen, versuchte er erneut, Schwartz, Struck oder Grössert zu erreichen. Jetzt war Grösserts Nummer belegt, an ihm musste er dranbleiben, denn der lief hier irgendwo im Präsidium herum. Warum erreichte er nicht einen der Kriminalbeamten? Was war da nur los?

      Werner Grössert hatte lange und ausführlich mit seiner Frau telefoniert. Die beiden waren euphorisch und machten in den schillerndsten Farben Zukunftspläne. Als er aufgelegt hatte, sah er die Nummer auf seinem Display, die mehrfach versucht hatte, ihn zu erreichen. Diese Nummer war Werner bekannt, der Staatsanwalt wollte ihn also auch sprechen. Werner befürchtete, dass er sich ebenfalls bezüglich der Bewerbung äußern wollte und darauf hatte er jetzt keine Lust. Er wollte sich die gute Laune nicht verderben lassen, von niemandem. Der Rückruf konnte warten. Jetzt musste er erst dringend zur Toilette, die Aufregung war ihm auf den Magen geschlagen.

      Auch Tatjana und Leo bemerkten bei ihrer Ankunft vor dem Fitnessstudio in Neuötting die Nummer auf ihren Handys.

      „Der Staatsanwalt hat mehrmals angerufen“, sagte Tatjana verwundert.

      „Bei mir auch. Sollen wir ihn zurückrufen?“

      „Ich


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