Palmer :Exit 259. Stephan Lake

Palmer :Exit 259 - Stephan Lake


Скачать книгу
bekommen, Commander.“ Dann sah Ford in die Runde. „Weitere Fragen? Dinge, die angesprochen werden sollten? Jetzt ist die Gelegenheit. Sheriff Tipps? ... Nein? Gut, dann sehen wir uns morgen wieder. Selber Ort, selbe Zeit. In der Zwischenzeit bleiben wir in Kontakt. Danke, meine Herren.“

      Als alle gegangen waren, sagte der Bürgermeister, „Beschützer vernachlässigter Klapperschlangen? Haben wir hier so etwas?“

      „Vermutlich.“ Anderson zuckte mit den Schultern. „Wollen wir das wirklich so kommunizieren?“

      „Wir fangen mit dem Verschwinden dieses Mitchell an“, sagte der Bürgermeister und ging los. „Officer Mitchell natürlich. Wir erwähnen die Frau und die beiden Söhne. Dann der Einsatz aller Kräfte, ihn zu finden. Wir betonen meine Rolle dabei. Schreiben Sie was von Führung. Zum Schluss die Doppelschichten, mit einer starken Begründung. Kein Verweis auf die Kosten. Wenn schon, dann soll die Meute selber darauf kommen.“

      Anderson neben ihm hatte Mühe zu tippen.

      „Ach ja, und nennen Sie die Meute nicht Ihre Kollegen, Anderson. Sie sind hier bei mir. Die Meute ist da drüben. Verstehen Sie den Unterschied?“

      Anderson nickte. „Natürlich, Bürgermeister. Was ist mit den Natives, Sir?“

      „Von uns kommt nichts über das genaue Vorgehen des Police Departments, Steven, niemals. Das ist deren Sache. Und sollte es – Sagen Sie, können Sie beim Gehen überhaupt dieses Ding da bedienen? Es sieht nicht so aus. Besorgen Sie sich einen ordinären Schreibblock und eines dieser altmodischen Schreibgeräte, die man Kugelschreiber nennt, okay? Sie werden noch öfters neben mir gehen und zugleich schreiben müssen.“

      „Block und Kugelschreiber, ja. Sie wollten sagen?“

      „Huh?“

      „Sie haben begonnen Und sollte es ...“

      „Ja, habe ich ... Ja, sollte es irgendwann Fragen bezüglich der Indianer geben, dann wussten wir davon nichts.“

      „Natürlich. Und was ist mit dem Einwand von Sheriff Tipps?“

      „Ein Einwand, nichts weiter. Bei jeder Entscheidung, die ich zu treffen habe, gibt es jemanden, der dagegen redet. Und der Sheriff redet häufig dagegen, das sollten wir nicht zu ernst nehmen. Zeigen Sie mir Ihren Entwurf, bevor sie ihn rausschicken.“ Er kramte in seiner Hosentasche.

      „Natürlich, Bürgermeister.“

      „Und wenn die Fernsehteams kommen, machen Sie das. Ich will erst sehen, wie sich diese Sache entwickelt, bevor mein Gesicht in den Abendnachrichten erscheint.“

      „Das wäre auch mein Vorschlag gewesen, Bürgermeister.“

      Ford drehte sich zu ihm, ohne langsamer zu gehen. „Und noch zwei Dinge, Steven. Halten Sie sich nicht so oft in der Sonne auf. White hat recht, Sie sehen aus, als hätten Sie nichts zu tun. Und zweitens, lassen Sie sich verdammt nochmal eine Liste der Polizeicodes geben und lernen Sie das auswendig. Ihr Chef hat das auch gemacht.“

      Ford sah Unverständnis im Gesicht seines Sprechers.

      „Ich, Steven, ich habe das auch gemacht.“

      „Natürlich, Bürgermeister.“

      „Typen wie dieser White nehmen unsereins ohnehin nicht ernst. Zivilisten, meine ich. Da können wir uns so etwas wie vorhin nicht erlauben.“ Der Bürgermeister kramte in der anderen Hosentasche. „Ist das klar?“

      „Völlig, Bürgermeister. Wohin gehen wir?“

      „Nach draußen natürlich.“

      „Draußen? Draußen ist es aber sehr heiß.“

      „Ja“, sagte Ford und zog eine Schachtel hervor, Lucky Strike, ohne Filter, die Schachtel heute Morgen frisch aufgemacht und bereits halb leer, „das ist es. Und solange Sie keine gute Idee für eine PR-Kampagne haben, die es armen Schweinen wie mir wieder erlaubt, in städtischen Gebäuden zu rauchen, werde ich jeden Tag ein Dutzend Mal vor die Tür gehen und rauchen. Und Sie mit.“

      „Ich rauche aber nicht, Bürger-“

      „Was?“ Ford sah seinen Pressesprecher an.

      „Ich habe noch nie geraucht, Bürgermei-“

      „Sie gehen mit vor die Tür, Steven, damit uns meine Sucht nicht eine Stunde pro Tag kostet. Ich habe nicht gesagt, dass Sie da draußen rauchen sollen“, sagte Ford, „good gracious.“ Und nicht zum ersten Mal an diesem Tag kam dem Bürgermeister der Gedanke, den falschen Kandidaten ausgewählt zu haben. „Haben Sie wenigstens Feuer? Und Sie sollten jetzt besser nicht Nein sagen, Steven.“

      10

      Palmer setzte sich an den einzigen freien Tisch und streckte die Beine. Für heute war Schluss mit der Arbeit an seinem Zaun, und der kleine Garten von Erins Kitchen and Café – fünf Tische, jeder mit seinem eigenen Apfelbaum als Schattenspender, jetzt aber ohne Früchte – war, wie so oft in den vergangenen Wochen, seine erste Wahl. Nicht lange und die Sonne würde hinter den Bergen verschwinden und mit ihr die Touristen, die jetzt noch die Hauptstraße hin und her schlenderten in ihren kurzen Hosen und bunten Hemden. Dann würde wieder Ruhe einkehren in Benson Trail, New Mexico.

      Erin kam – die Erin aus Erins Kitchen and Café – ein leeres Tablett in der Hand, „Hi Palmer“, und setzte sich neben ihn.

      „Hi Erin.“ Sie war still und er sagte, „Hast ja richtig zu tun heute.“

      „Der Garten ist voll. Drinnen auch. Ja, so langsam läufts. Wenn du mal einen Job brauchst, du kannst sofort anfangen.“

      „Als was?“

      Sie lächelte. „Mann für alles.“

      Für alles? sollte er jetzt wohl sagen, sagte es aber nicht. Erin flirtete gerne mit ihm, aber er wusste, dass daraus nichts werden konnte und wollte sie nicht ermuntern, nur um sie dann zu enttäuschen.

      Sie schien seine Gedanken zu erahnen, ihr Lächeln verschwunden, und sie sagte, „Was soll ich dir bringen?“

      „Ist noch von dem Auflauf da? Von gestern?“

      „Und Kaffee?“

      Palmer nickte.

      Erin ging und kam zurück mit einem Becher Kaffee, ohne Milch, ohne Zucker, und einem Schokoladenbrownie auf einem kleinen Teller.

      „Wie findest du eigentlich all die kurzen Hosen, die hier herumlaufen?“, sagte Palmer leise.

      „Solange sie Geld bringen, guck ich nicht hin. Solltest du auch nicht.“

      „Ich hab noch nicht ein einziges Bein ohne Krampfadern gesehen. Gestern auch nicht.“

      „Ah, Gott, Palmer, Krampfadern, hör auf.“ Sie deutete auf den Teller. „Der Brownie ist frisch und geht aufs Haus. Der Auflauf braucht noch, der war im Kühlschrank.“

      „Du meinst es gut mit mir.“

      „Wenn du das doch endlich kapieren würdest, Mister.“

      Palmer sah ihr hinterher. Erin war nett und hübsch und lebte zudem hier in Benson Trail, was alles einfacher machen würde. Was also hielt ihn ab? Die Sache mit Liz war Monate her, und es war nicht einmal eine Sache gewesen.

      Nur vierundzwanzig Stunden hatten sie sich gekannt.

      Dann war sie tot.

      Aufgeschlitzt von einem Kerl, der glaubte, damit seine Geschäfte schützen zu können.

      Die Halsschlagader.

      Sie war verblutet, innerhalb einer Minute, auf dem heißen, schmutzigen Asphalt einer kleinen Straße in Shanghai.

      Palmer trank vom Kaffee.

      Nicht seine Schuld, er wusste das. Er hatte nichts tun können.


Скачать книгу