Palmer :Exit 259. Stephan Lake
Hand. „Come on, Amigo, andale.“
Der Große lächelte und sagte, „Warum? Wässerst du schon wieder deinen Stuhl, du ausgespuckte Zwergpygmäe?“, und schob den Kopf nach vorne und atmete zweimal hintereinander hörbar durch die Nase aus und ein, „Uh–huh, Angstschweiß aus allen Poren.“
Einige der Umstehenden lachten. Vazquez lachte ebenfalls, nahm einen Schokoladendonut aus der Schachtel und warf ihn dem Großen zu. Der fing mit einer Hand und bedankte sich bei Vazquez mit einer angedeuteten Verneigung und drehte den Schalter der Klimaanlage.
„Was hat er denn gesagt? Whitee?“ Vazquez nahm einen zweiten Donut mit Schokolade. „Um was gehts?“
Peña sah sich um. Rechts und links, hinter ihnen und vor ihnen. Zu viele Leute. „Mitchell ist verschwunden“, sagte er daher nur, zog aber leicht die Augenbraue hoch.
Vazquez pfiff leise und nickte. Er hatte verstanden.
„Mitchell, ehrlich?“, sagte er in einem Ton, wie jeder seiner Kollegen es von ihm erwartete. „Everett Mitch the fucking Bitch? Dann schmeißt der Commander jetzt eine Party, oder was? Als Entschuldigung dafür“, Vazquez grinste, „als Entschuldigung dafür, dass wir uns zwei Jahre lang mit dem größten weißhäutigen Arbeitsverweigerer nördlich des Rio Grande rumschlagen mussten? Dem besten Kollegen aller Zeiten, der ... ja, der überhaupt nichts, aber auch wirklich gar nichts gegen mexikanische Taco Jockeys hat?“
„Pool Diggers“, sagte Peña.
„Tire Huggers“, sagte Vazquez.
„River Niggers“, sagte Peña und grinste ebenfalls, weil Partner das nun mal so tun.
„Mitchell ist seit gestern Abend verschwunden“, sagte Peña dann.
„Gestern? Ehrlich? Oh Mann.“
„Um halb elf ist er hier raus, aber nie zuhause angekommen. Oder wo auch immer angekommen. Doris hat heute Morgen angerufen, das erste Mal um acht und seitdem ein Dutzend Mal und jeden verrückt gemacht. Hast du zusammen mit diesen Dingern auch Servietten bekommen?“
„Doris? Nachdem sie die ganze Nacht die Bars abgeklappert hat, oder was?“
„Und bei Dienstbeginn auch keine Spur von ihm, aber haben wir dann auch nicht mehr wirklich erwartet. Ob du Servietten hast.“
Vazquez leckte sich Daumen und Finger und nahm den dritten Donut, diesen mit Zuckerguss. „Wie du siehst, habe ich meine Serviette immer dabei. Ich kann sie dir leihen, wenn du willst.“
„Jeesus.“
Vazquez sagte, „Seit gestern Abend also, huh? Und wir müssen nach ihm suchen?“
Peña nahm ein Taschentuch aus der Hose und wischte sich damit die Hand und sagte für die anderen, „Hör zu, Raul. Hier geht es nicht um Mitchell, okay? Hier gehts um einen Kollegen. Wenn du verschwindest, dann fragt auch keiner danach, ob du ein guter Cop bist und ein guter Partner oder eine Null wie Mitchell. Und keiner wird fragen, ob du schon vierundzwanzig Stunden verschwunden bist, sondern sie machen sich auf die Suche nach dir. Deine Kollegen werden jeden einzelnen Stein nach dir umdrehen. Und weißt du warum? Weil sie die nächsten sein könnten. Weil jeder von ihnen der nächste sein könnte. In der Army haben wir gesagt, Niemand wird zurückgelassen. Und hier werden wir auch-“
Peña sah den Commander hereinkommen und war still.
Wer einen der dreißig Stühle ergattert hatte, der setzte sich. Die anderen standen in zwei Reihen rechts und links und hinten an den Wänden. Keiner sprach mehr ein Wort.
Alle sahen zu, wie sich ihr Commander zwischen Pinnwand und Tisch hinstellte, seinen drahtigen Körper streckte, mit den Handflächen über die kahlgeschorenen Seiten seines Kopfes strich, und wie sich dann mit einem Schlag seine Miene verfinsterte.
Schauspieler, dachte Peña.
White räusperte sich. „Also, einige von euch werden es bereits wissen, für die anderen sage ich es jetzt. Ein Kollege ist verschwunden. Officer Mitchell. Seit gestern Abend halb elf. Er hat sich bei Sergeant Peña abgemeldet und ist raus, seitdem haben wir nichts mehr von ihm gehört. Seine Frau hat uns heute Morgen informiert ...“ – er schaute Peña an, und Peña sagte, „Doris“ – „Doris. Sie hat die ganze Nacht auf ihn gewartet. Dienstbeginn für Mitchell war heute um neun, aber er ist nicht erschienen. Die von euch mit ihm in der ersten Schicht sind, wissen das. Ihr musstet für ihn einspringen.“
„Mal wieder“, sagte einer.
„Was machen wir jetzt, Boss?“, sagte ein anderer.
„Dazu komme ich gleich. Selbstverständlich werden wir nicht tatenlos bleiben, wenn einer von uns verschwindet. Vielleicht liegt er verletzt in seinem Auto in irgendeinem Graben, nach einem Unfall. Kommt jeden Tag vor. Kann also sein. Vielleicht liegt er aber auch mit einer Kugel im Kopf in einem Kanal; getötet, vielleicht hingerichtet, aus Rache oder weil er einen Deal beobachtet und seinen Job als Police Officer gemacht hat. Oder weil es einem dieser Kerle da draußen langweilig war oder ihm die Hitze in den Blödkopf gestiegen ist und er unbedingt noch vor dem Frühstück einen Cop erschießen wollte. Wer eine Erinnerung daran braucht ... das wäre nicht das erste Mal, dass das passiert, wer also eine Erinnerung braucht, der sollte sich noch einmal die Fotos unserer Kollegen draußen auf dem Flur ansehen.“ White ließ das einen Moment wirken. „Wie auch immer es ist, was auch immer mit ihm ist, Mitchell, wir werden es herausfinden. Wir werden Mitchell finden. Unseren Kollegen. Und wenn er getötet wurde, dann werden wir die Schuldigen finden. Und wenn wir dafür jeden Stein umdrehen müssen.“ Er sagte, „Unser Department hat bei den Menschen dieser Stadt nicht den besten Ruf. Zu einem kleinen Teil vielleicht sogar zu Recht, will ich ja gar nicht abstreiten. Zum größten Teil aber, zum größten Teil zu Unrecht. Und wir werden denen da draußen zeigen, dass mit euch und mit mir nicht zu spaßen ist. Nicht, wenn es um einen von uns geht.“
Ein paar murmelten Zustimmung, eine Handvoll nickte, Peña und seine Kollegin Morales klatschten.
Wenn es um einen anderen Officer gegangen wäre, hätte White jetzt mit der Faust auf den Tisch geschlagen und sie angeschrien und von Moral gesprochen und von Feuer bei der Suche nach ihrem Kollegen oder vielleicht sogar seinen Mördern. Aber dann wiederum, wenn es um einen anderen Kollegen ginge, würden sie jetzt auch dieses Feuer zeigen. Im Grunde konnte er damit zufrieden sein, dass keiner seiner Leute gegen die frühe Suche nach Mitchell rebellierte.
White sagte, „Also, was machen wir konkret? Zunächst werde ich dem Chief, den anderen Area Commandern und dem Bürgermeister vorschlagen, Straßensperren aufzubauen und jeden Wagen zu kontrollieren. Jeden. Vier Stunden lang. Wir werden ihn damit nicht finden, aber wir werden in der Bevölkerung ein Zeichen setzen. Was wir jetzt schon tun können: zwei Mann fahren zu Mitchells Frau. Zu Doris. Wir müssen wissen, wo sich Mitchell in seiner Freizeit herumtreibt, in welche Bars er geht, in welche Casinos, in welche Sportclubs, wer seine Freunde sind-“
„Die Liste ist kurz“, sagte Vazquez. Einer in der Reihe hinter ihm lachte.
„-und wer seine Feinde. Mit wem hat er schon mal Ärger gehabt? Nachbarn, Typen von der Straße, der Besitzer des Ladens, wo er jeden Morgen seine Zeitung kauft. Doris wird euch Namen nennen können.“
„Und die Liste ist lang“, sagte Vazquez jetzt und bekam dafür von Peña einen Blick.
„Schon gut, Vazquez, schon gut. Wir alle wissen, dass Sie und Officer Mitchell Probleme miteinander haben. Und andere auch. Aber diese Probleme haben jetzt eine Pause, verstanden?“ White wartete, bis Vazquez nickte und sagte dann, „Vor allem aber werden wir auf die Straße gehen. Jeder Verdächtige wird befragt, und wenn ihr das Gefühl habt, er oder sie hält etwas zurück, bringt sie her. Außerdem werdet ihr eure Kontakte anzapfen. Versprecht ihnen was ihr wollt, um an Informationen zu kommen. Damit fangen wir an.“
„Was ist mit den Indianern, Sir?“, sagte Peña.
„Was ist mit denen?“
„Nun ja, wir alle haben fast täglich mit denen zu tun, und das geht selten reibungslos.