Kerker aus Licht und Schatten. Marco Mukrasch
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Marco Mukrasch
Kerker aus Licht und Schatten
Imprint
Kerker aus Licht und Schatten
Marco Mukrasch
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published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
Copyright: © 2013 Marco Mukrasch
ISBN 978-3-8442-6576-7
Lektorat: Erik Kinting / http://www.buchlektorat.net
Titelgestaltung: Erik Kinting unter Verwendung des Fotos Siena Il Palio Parade — Carabinieri Charge mit freundlicher Genehmigung von Scott Harmann
Auch als Book on Demand erhältlich: ISBN 978-1492252917
Inhalt
Kapitel 17: Die Blätter welken
Kapitel 18: Die Blätter fallen
Kapitel 1: Der Kaufmann
Im Laufe der Jahrhunderte büßte die Herrscherwürde, die ein Karl der Große einstmals getragen hatte, Glanz und Ansehen ein, sodass der Kaiser am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts im Spiel der Fürsten des Deutschen Reiches bestenfalls ein Erster unter Gleichen war. Er besaß nicht mehr die Stärke, den bunten Schwarm aus Territorien und Herrschaften zu bändigen, in welchen die Christenheit sich zersplittert hatte. Bald würde sich jedoch ein Mann erheben, um Stück für Stück eine Macht zusammenzuschmieden, deren Gipfel so weit emporragte, dass andere nicht umhinkommen würden sich an dieses neue Kraftzentrum zu binden oder es zu bekämpfen. So wurde er möglich: der Griff nach der Herrschaft über Europa und die Welt.
Diese hegemoniale Sintflut entsprang der Stadt, in der sich die einflussreichsten Fürsten des Reiches, die Kurfürsten, nach altem Brauch versammelten, um ihren Kaiser zu wählen: die freie Reichsstadt Frankfurt.
Frankfurt am Main, Januar 1487
Philipp schleppte sich durch die dunklen Straßen. Der eisige Wind schlug seine Krallen tief durch die Kleidung, in die Haut und das Fleisch des Mannes, sodass dieser glaubte, seine Knochen lägen bloß. Leider hatte der Wind noch nicht den morastigen Boden gefrieren lassen, weshalb der zweirädrige Holzkarren, den Philipp hinter sich herzog, quälend einsank. Es war eine Marter. In immer kürzeren Abständen hielt er eine seiner halb erfrorenen Hände vor den Mund, um sie zu beleben, aber sein warmer Hauch scheiterte an dem, was der Odem des Ewigen einst vollbracht hatte.
Der Wind, der sich in den Häusern fing, fauchte und jaulte ihn wie ein Raubtier an. Warum musste er zu solch einer Stunde nach Sonnenuntergang durch diese unbarmherzige Stadt wandern, die ihm fremd war? Warum musste er die unwürdige Arbeit eines Hausierers vollführen? Warum konnte er nicht eine ehrenhafte Anstellung als Kaufmann erhalten, wie er sie so lange in seiner niederländischen Heimat innegehabt hatte? Herrgott, warum strafst du mich so? Schwer atmend wandte er das von der Kälte gezeichnete Gesicht zu den Phalangen der Fachwerkhäuser, die ihn umzingelten und von den anderen Menschen ausschlossen. Nur schwach drangen Lichtstrahlen aus den Fensteraugen auf die unbeleuchtete Straße.
Beim Gedanken, an eine der Türen anzuklopfen, schnitt Philipp eine Grimasse, als kaute er fauliges Fleisch. Wie ein Bettler soll ich mich aufdrängen, muss genug in dieser einen Nacht verkaufen. Die Stimme des Hauptbuchhalters Herr Lösser stach noch in Philipps Ohren: „Lieber Herr Jansen, Eure Erfahrung in Ehren, aber in Frankfurt müsst Ihr Euch erst beweisen, wenn Ihr in die Dienste des Meisters Brückfeld treten wollt. Darum nehmt diesen Karren mit Tuchen und verkauft heute so viel, dass ich einen Lehrling ein Jahr davon bezahlen könnte.“ Philipps Kinn sackte gegen die Brust. Der Wind verhöhnte ihn. Warum war in dieser Stadt alles dermaßen grausam? Aber es ist nicht nur hier so.
Wie viele Städte hatte er durchstreift, um eine Anstellung zu finden? Keiner hatte in dieser Zeit Geld im Überfluss. Kriege und Krisen konnten dem Handel rasch zusetzen. Gesellte sich noch Unglück hinzu — eine verhagelte Ernte, ein gesunkenes Schiff, ein abgebranntes Kontor — war der Bankrott nicht mehr abzuwenden. So war es ihm widerfahren. Ach Herr, hättest du mir nur Arbeit, Wohlstand, Ehre genommen. Aber warum auch mein Weib? Der Wind verwandelte Philipps Tränen sogleich in frostige Dornen, welche die Haut ritzten.
Er fühlte sich so leer, so ausgemergelt ohne Magdalena. Jedweder Sinn war erloschen; bleich. Tot. Verschwitzt und durch wochenlanges Fieber vollkommen verwittert, hatte sie ihre letzten Worte an Ihren Gatten gerichtet: „Bitte ... versprich mir bei deiner Seele, dass du für unsere drei Töchter sorgst und sie