2117. Andreas Loos Hermann

2117 - Andreas Loos Hermann


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Sorgen machen müsse, und es ihm egal sein konnte, an welchem Winkel des Planeten er seinen Dienst versah. Und hier, fernab der großen Städte, in der Provinz von Amerika, interessierte sich niemand mehr für den muskulösen ehemaligen Major.

      Die einzige Genugtuung, die er hatte, bestand in der Wichtigkeit seines Dienstgebers. Er bewachte schließlich als Kommandant der Wache den Hauptlandsitz von Mister Tom Swallows, den Präsidenten von Union Arms. Union Arms ist der größte Konzern für Sicherheitsausrüstungen und Verteidigungssysteme, wie das so schön hieß, dessen Aktien im Augenblick an der Börse am Begehrtesten waren. Das war der einzige Lichtblick im Leben Adam Swietowskys, denn einige Kilometer vom Haupthaus war ein Testgelände für diverse Ausrüstungen. Diese Tests waren immer der Höhepunkt seines eintönigen Lebens als Chef der Wache, denn da konnte er immer dabei sein.

      Das gesamte Grundstück umfasste neben einigen Quadratkilometern Wald und Wiesenflächen etliche Gebäudekomplexe und lag im amerikanischen Bundesstaat New Hampshire. An das im Neuenglandstil des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts errichtetet Haupthaus in der Größe eines englischen Herrschaftssitzes waren etliche Nebentrakte angebaut worden. In einem davon hatte Adam Swietowskys seinen Arbeitsplatz. Er war Chef über die vierzig Mann der Sicherheitswache des Grundstückes und Herr über Leben und Tod, wenn es einmal ernst werden sollte. Immerhin gab es über 800 Bedienstete und Angestellte auf diesem Landsitz, der in Wirklichkeit ein Teil der Konzernzentrale von Union Arms, dem größten weltweit noch existierenden Rüstungskonzern, war. Seit Swietowsky hier seinen Dienst versah, hatte es noch keinen ernsten Zwischenfall gegeben.

      Die Uhr auf seinem Schreibtisch zeigt Sonntag, den 5. Juni 2117. Die Bildschirme auf seinem Schreibtisch geben nur friedliche Wiesen und Waldgebiete wieder. Die Hauptumzäunung läuft kilometerweit durch Wälder und Wiesen. Die Kameras zeigen kein menschliches Wesen und auch keine verdächtigen Fahrzeuge, die sich dem Landsitz nähern. Die Bewegungsmelder geben nur die Bewegungen von Rehen und Hasen wieder. Adam sieht sich vor Langeweile die Logfiles seiner Patrouillentrupps der letzten drei Tage durch. Nichts war vorgefallen. Er verflucht seinen Job, der ihn in die sicherste Gegend der Erde und in die größte Langeweile seines Lebens geführt hatte. Er war schließlich Soldat und gewohnt, in Krisengebieten aktiv zu sein. Da konnte das hier schon lähmend werden. Er fühlte sich langsam alt werden und das war umso bitterer, weil er hier nicht seinen Fähigkeiten entsprechend eingesetzt war und sich daran auch nichts mehr ändern würde, wie er fälschlich dachte. Wenn er sich an seine Einsätze in Nordafrika währende des dritten Ölkrieges erinnerte, da wurde ihm immer richtig warm ums Herz. Seine Einheit hatte Tobruk bis zum Schluss gehalten und alle Angriffe der Rebellen abgewehrt. Das war einer seiner schönsten militärischen Erfolge gewesen, aber leider völlig umsonst. Er hatte als Kommandant eines Außenpostens fast täglich Feindkontakt und sie hätten die Stadt bis zum Friedensschluss verteidigt, doch dann kam der Befehl zum sofortigen Rückzug. Er wollte den Befehl schon verweigern und seine schöne Stellung nicht aufgeben, als ihm einer seiner arabischen Informanten den wahren Grund für den Rückzug nannte, den ihm seine Vorgesetzten verschwiegen hatten. Mit fünfundzwanzig seiner Leute schaffte er es dann, die letzte Hercules zu erreichen, die je von Tobruk aus starten sollte, denn fünfzehn Minuten später detonierte die Atombombe, die die Rebellen im Stadtzentrum versteckt hatten und löschte seine Einheit und alle verbliebenen Bewohner von Tobruk samt ihrer Stadt so gründlich aus, das heute nicht mehr erkennbar ist, dass dort je eine Stadt gestanden hat.

      Aber das war jetzt mehr als zehn Jahre her und der Krieg war zu Ende. Seufzend greift er in seinen Kühlschank unter dem Schreibtisch, nimmt sich trotz Alkoholverbots im Dienst ein Bier und lässt die Dose zischend aufspritzen.

      Kapitel 3

      Professor Dr. Stefan Reisinger betrachtet versonnen den Rhein. Von seinem Arbeitsplatz im dreiundvierzigsten Stock des Institutsgebäudes der Universität Rheinland, direkt am Flussufer in Köln, kann er das silberne Band des Rheins in der Abendsonne viele Kilometer nach Nordwesten mit seinem Blick verfolgen.

      Er denkt nach. Dazu betrachtet er oft den Flusslauf, der schon seit Jahrtausenden hier in seinem Bett strömt und dabei schon so vieles erlebt hat. Vor mehr als Tausend Jahren hatten hier in Worms und Speyer die Deutschen Kaiser residiert. Später im neunzehnten Jahrhundert hatten sich deutsche Chemiekonzerne hier angesiedelt und waren groß und mächtig geworden. Das Dritte Reich war entstanden und wieder vergangen. Die Einigung Europas war gekommen. Jetzt war Europa groß, stark und wohlhabend. All das hatte der Fluss gesehen und es hatte ihn nicht bekümmert.

      Reisinger war heute Sonntag ins Büro gefahren, weil er am Morgen eine Eingebung gehabt hatte. Er hatte keine Familie und keine Frau wartete auf ihn. Er war Historiker am Institut für Zeitgeschichte und lebte nur für seinen Job. Er war noch keine Fünfzig Jahre alt, doch in der Regel hielten ihn die Kollegen und auch die Frauen für weit jünger denn sein Aussehen gleicht dem eines fünfunddreißigjährigen sportlichen Managers, und nicht dem eines verschrobenen Tüftlers, der er eigentlich ist.

      Nun war bereits der Abend des 5. Juni 2117 hereingebrochen und Reisinger war nicht einen Millimeter bei seiner Arbeit weitergekommen. Sein Gehirn schien wie vernagelt zu sein, er kann aber keine Lösung für sein Problem finden. Sein Problem liegt tief im vergangenen zwanzigsten Jahrhundert verborgen und lässt ihn nicht ruhen.

      Ein leises Piepen schreckt ihn auf. Es hatte schon eine ganze Weile gepiepst, bis er es bemerkt hatte. Die Security Karte, die ihn als Mitarbeiter der Universität ausweist, hatte Alarm geschlagen, da die Verbindung zu seinem Security Chip, den er im linken Unterarm implantiert trug, abgerissen war. So ein Mist, eine technische Fehlfunktion und eine ärgerliche Unterbrechung seiner Arbeit, denn um die Sache beheben zu lassen, wird er morgen früh die UNI Klinik aufsuchen müssen. Ohne funktionierende Karte und Chip kommt man im Jahr 2117 nicht weit. Die nächste Security Controll Station würde Alarm auslösen und man würde ihn mühsam neu identifizieren müssen. Das kostet viel Zeit. So etwas war ihm noch nie passiert. Kein Chip gibt im Jahr 2117 vorzeitig seinen Geist auf. So etwas hat es im zwanzigsten Jahrhundert gegeben, aber nicht heutzutage.

      „Hoffentlich hält die Karte noch lange genug“. Dachte er, sonst würde er die Nacht auf der Uni verbringen müssen, da die Security Systeme ihn ohne Karte nicht erkennen würden und der Ausgang für ihn verschlossen bliebe.

      Seine Idee von heute Morgen kommt ihm wieder in den Sinn. Er hatte doch tatsächlich das Gefühl gehabt, dass er aus Zufall einer ganz heißen Sache auf der Spur war, deren Ursprung weit in der Vergangenheit irgendwo im zwanzigsten Jahrhundert zu suchen war. Der Name Professor Fowey war ihm in den Sinn gekommen, aber er hatte in keiner Datenbank etwas über ihn finden können. Diesen Namen gab es nicht und er konnte sich nicht erinnern, wo er den Namen aufgeschnappt hatte. Er musste den Namen in einem alten Papier gelesen haben. Irgendetwas aus Papier musste es gewesen sein. Das hieß, die Information musste sehr alt sein und aus einer Zeit stammen, als es noch üblich war, Daten auf Papier auszudrucken. Damals musste es noch Drucker gegeben haben.

      „Der ganze Tag sinnlos vertan, nichts gefunden und ein kaputter Chip. Eine magere Ausbeute“, dachte der Professor. Verdrossen verriegelt er sein Büro. Dafür war die Karte wenigstens noch zu gebrauchen. Da er beim Verlassen der Uni nur die Karte, aber keine persönliche Identifikation brauchte, könnte er sich in Ruhe zu Hause ausschlafen. Vorher würde er eine Flasche Rheinwein öffnen und an die Vergangenheit denken.

      Der Sicherheitsdienst beim Gebäudeeingang grüßte freundlich wie immer, als er in seinem komfortablen Elektro BMW aus der Tiefgarage rollte.

      Kapitel 4

      Es ist Montag, der 6. Juni 2117. Clara weiß selbst nicht, was in sie gefahren ist. Gestern spät am Abend hat sich Michelle, eine ihrer besten digitalen Freundinnen, die in San Francisco lebt, am HYCO gemeldet und erzählt, dass sie erstmals in Europa sei, da sie ihren Vater auf einer Geschäftsreise begleite. Sie sei in der Londoner City im Hilton abgestiegen, gleich beim Hyde Park. Eigentlich war sie nur zum Einkaufen da, denn im GUK, dem Greater United Kingdom gab es so viel mehr Auswahl als im fernen heruntergekommenen San Francisco. Ihr Vater hatte jede Menge Business Meetings, und so war sie auf sich selbst angewiesen. Mit ihrem Leibwächter verstand sie sich nicht gut, eine


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