2117. Andreas Loos Hermann

2117 - Andreas Loos Hermann


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      Clara verstand immer noch nicht, aber sie nahm allen Mut zusammen und sagte so selbstbewusst, wie möglich, „ich habe mich hier nur ein bisschen verlaufen, kannst du mir vielleicht sagen, wie man von hier am schnellsten in die City kommt?“

      Die Fremde grinste mitleidig von einem Ohr bis zum anderen. „In die City kommt …. Du machst echt einen guten Witz, und wie sie nach der Schreibe redet, wie wenn sie´s gelernt hätt´.“ Das sprach sie mit einem tiefen Cockney Dialekt, so dass Clara sie fast nicht verstand.

      Dann sah sie Clara genauer an und meinte abschätzig, „Du bist wirklich fremd hier, du hast keine Ahnung, was hier abgeht.“

      „Wir wollen hier alle in die City, aber da kommst du nicht durch, nicht von hier aus. Ich hatte mal n´en Freund, der hat das auch versucht, aber das ist lange her, und ich hab´ ihn nie wieder gesehen. Einer unserer Fighter hat mir erzählt, er habe ihn an der inneren Absperrung liegen gesehen, aber das muss nicht wahr sein, der Kerl wollte es nur umsonst haben und dachte diese Auskunft genügt als Bezahlung. Ich hab´ ihm einen Tritt in die Eier verpasst, diesem fiesen Schwein.“

      Sie geriet richtig in Fahrt, als sie das sagte und schwang ihren Schlagstock drohend.

      „Aber ich komme doch von dort, wir wohnen in West London“, hörte Clara sich tonlos sagen, und bereute schon im nächsten Moment, was sie gesagt hatte.

      „Dann bist du ja wertvoll“, frohlockte das Mädchen, „da gibst du eine gute Geisel ab, denn da werden sie dich ja bald suchen kommen und da lassen sie immer etwas springen, wenn sie ihr Herzibinki lebend und ganz wiederhaben wollen. Wenn sie nichts springen lassen, dann kriegen sie dich nur in Einzelteilen zurück. Zuerst ein Ohr, dann einen Finger oder eine Hand, bis dann der Kopf auf einer Müllhalde gefunden wird.“

      „Es weiß doch keiner, dass ich da bin, mich sucht doch niemand“, presste Clara in Panik hervor.

      „Das dachte ich mir, von den Westendern ist doch niemand so doof, freiwillig hierher zu kommen. Du hast gelogen und willst dich hier nach einem Job umsehen. Wahrscheinlich bist du aus dem Süden, da sind sie alle so naiv. Wo kommst du her, Cornwall oder Brighton?“

      Claras Verstand arbeitete rasend. Wenn hier schon die netten Mädchen so locker vom Zerstückeln der Opfer sprachen, wie wenn sie mit ihren Schulkolleginnen den Ausgang des letzten Tennismatches besprach, wie waren dann erst die Jungs und was war bitte schön ein Fighter.

      Wenn sie sich nochmals verriet, dann war sie geliefert und ihre Einzelteile lagen bald über East London verstreut. Sie versuchte, sich zusammenzureißen und nickte.

      „Ist ja wahr, ich bin aus Brighton und ich heiße Clara“, meinte sie schüchtern.

      „Habe ich dich erschreckt, mit der Geiselnahme, aber die Mädels vom Land sind ja so naiv, da hilft nur die ungeschminkte Wahrheit. Obwohl die letzte Geisel, die es hier gab, schon eine Weile her ist, denn es kommt ja niemand mehr zu uns, der es Wert wäre, als Geisel genommen zu werden.“

      „Ich bin Suzy und wir haben ganz in der Nähe unser Quartier. Meine Freundinnen und ich. Wir arbeiten autonom, wenn du dich uns anschließen willst, dann komm´ mit, aber entscheide dich schnell, denn das hier ist unsere Gebietsgrenze und ich sollte eigentlich gar nicht hier sein.

      „Was soll ich bei euch arbeiten?“, fragte Clara schüchtern.

      „Du bist neu, da brauchst du nur Standard machen. Die ersten drei Monate keinen Hardcore und keine echte Folter, nur hin und wieder ein bisschen Sado Maso, sonst nichts. Wenn du die Kundschaft besser kennst, dann wirst du sehen, alles halb so schlimm, wir können recht gut davon leben.“

      Clara hatte schon von solchen Dingen gelesen, heimlich unter der Bettdecke mit dem HYCO auf verbotene Seiten geklickt, mit wohligem Gruseln, aber das konnte doch niemand von ihr in der Realität verlangen.

      „Ja ich weiß, du bist neu und noch völlig unschuldig, womöglich noch Jungfrau, aber wir müssen jetzt weg, dort drüben kommen drei Typen von den Red Killers.“ In ihrer Stimme schwang jetzt Nervosität mit.

      Clara sah sich um. Die drei waren keine dreißig Meter entfernt. Einer brüllte herüber, was sie in ihrem Revier täten. Der zweite hielt sich nicht lang mit Reden auf, sondern zog eine Waffe und schoss ansatzlos aus der Hüfte. Hinter Clara splitterten die Ziegel aus der Wand, als die Projektile einschlugen.

      „Schießen könnte ihr nicht, ihr Scheißer“ schrie Suzy zurück, packte Clara bei der Hand und zerrte sie in die Supermarktruine hinein.

      Es folgte eine wilde Jagd durch umstürzende Regale, Müllhaufen, Hinterausgänge und zusammenbrechende Treppen. Clara rannte hinter Suzy her, so schnell sie ihre Beine trugen. Die Red Killers schossen, trafen aber immer weit daneben. Sie schienen sich einen Spaß daraus zu machen, die Mädchen zu jagen. Für Clara war es alles andere als lustig. Suzy geiferte, „die wollen es nur um sonst haben, wenn sie uns einholen, müssen wir ihnen einen blasen, dann lassen sie uns laufen, denn die Gegend gehört zu ihrem Revier. Halt´ bloß durch, wir haben es gleich geschafft.“

      Sie sprinteten durch einige verfallene Hinterhöfe. Suzy schwang sich mühelos über Mauern und Clara musste ihr folgen. Ihre schöne Bluse zerriss, so dass der BH sichtbar wurde, als sie an einem Stacheldrahtzaun hängen blieb. Ihre Jeans waren mit Schlamm und Unrat verschmiert, als sie einmal in einer Pfütze ausrutschte und der Länge nach hinfiel.

      Suzy riss eine Eisentür in einer Mauer auf, stieß Clara durch und knallte die Tür zu. Sie waren in einem halbdunklen Raum mit vergitterten Fenstern. Clara war völlig außer Atem.

      Suzy meinte lässig, „Die haben wir abgehängt, wir sind in Sicherheit“, wobei auch sie etwas außer Atem war. Aus dem Halbdunkel tauchte eine muskulöse Gestalt wie aus dem Nichts auf. Zerrissenen Jeans, lange stränige Haare bis zu den Schultern und nackter muskulöser Oberkörper. Er kam langsam auf die beiden Mädchen zu. Das automatische Schnellfeuergewehr hielt er so lässig in einer Hand, als wäre es eine Spielzeugwaffe, die er um den Finger wirbeln könnte.

      Kapitel 8

      Dr. Reisinger erhob sich vom OP Sessel. Die örtliche Betäubung würde bald vorüber sein. Dr. Müller, der die kleine Operation durchgeführt hatte, sah ihn lächelnd an und meinte: „Das war ja nur Routine. Jetzt haben sie einen komplett neuen Chip, der ist wieder mit den Nervenenden fix verbunden und sie sind eindeutig identifizierbar.“

      „Gott sei Dank, denn ohne Chip kommt man ja heut zu Tage nicht sehr weit, nur bis zur nächsten Kontrolle“, entgegnete Dr. Reisinger.

      „Die Chips versagen aber sehr selten“, wandte der Arzt ein. Dabei warf er einen Blick auf seinen Bildschirm, wo das Lesegerät die normale Funktion von Dr. Reisinger anzeigte.

      Dr. Reisinger sah ihm dabei über die Schulter. „Was sind das für Kurven, die sie da am Schirm haben?“, wollte er wissen.

      „Was, das kennen Sie gar nicht?“, meine der Mediziner amüsiert, „das sind die normalen Gehirnfunktionen und das Emotionsmuster, das über den Chip ausgelesen wird, eine einfache Art der Gedankenkontrolle auf jedem Checkpoint. Da filtern sie die Muster heraus, wenn jemand nervös ist, oder Angst hat. So filtern Sie die Terroristen und Verbrecher aus jeder Menschenmenge recht rasch heraus. Trefferquote 98,5%. Aber anscheinend ist das immer noch nicht so recht bekannt.“

      Franz Huber, der die ganze Zeit daneben gesessen hatte, erklärte, „Das ist auch besser so, denn sonst fürchten sich bei den Kontrollen auch die unschuldigen Bürger und die Fehlerrate steigt an. Und mancher Kontrollor ist oft ein wenig übereifrig und dann heißt es wieder, Unschuldige seien bei den Kontrollpunkten ums Leben gekommen. Das muss ja nicht sein.“

      Reisinger wollte über die restlichen 1,5% jetzt nicht nachfragen, es schien ihm irgendwie unpassend, wo die beiden seine Gehirnwellen am Bildschirm hatten. Er bemühte sich, möglichst an nichts Emotionales zu denken und meinte möglichst sachlich: „Das ist eine sehr vernünftige Einrichtung, denn nur so können wir uns wirklich sicher fühlen.“

      „Leider haben die Lesegeräte


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