Die Frau des Kommissars. Mart Schreiber

Die Frau des Kommissars - Mart Schreiber


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ersten Abend war sie aber sehr freundlich zu uns. Nur zu unserem Liebespaar war sie fast feindselig. Diese Anke hat sie einfach ignoriert.“

      „Was du dir alles merkst. Sie hat doch erzählt, dass der Mann, wie hieß er schnell?“

      „Hier kommt Kurt, ohne Helm und ohne Gurt.“

      „Sehr witzig. Also dieser Kurt ist öfter da, weil er sich um das Abrechnungssystem kümmert.“

      „Und das ist ein Grund, so unfreundlich zu sein?“

      Die Suppe wird serviert. Nicht von Antonia, sondern von ihrem ungarischen Kollegen. Antonia taucht an diesem Abend nicht mehr auf.

      Kapitel 2 – Eine Zeitungsmeldung

      Marlies zieht die Vorhänge zurück.

      „Schade, dass wir heute fahren müssen. Schau nur, Joe. Es wird wieder ein Super-Schitag.“

      Joe reibt sich die Augen. Das plötzlich einfallende Sonnenlicht stört ihn sichtlich.

      „Es ist Samstag, Marlies. Was glaubst du, was heute auf den Pisten los ist.“

      „Ja, schon. Leider gehst du halt keine Schitouren.“

      „Bitte, wie oft haben wir das schon besprochen. Du kannst so viele Schitouren machen, wie du magst. Aber für mich ist das nichts.“

      „Ich meinte ja nur, wegen des schönen Wetters.“

      „Gehen wir frühstücken und packen wir danach zusammen. Okay?“

      „Du hast ja recht. Wir könnten heute noch ins Kino gehen. Die Stadt hat ja auch ihre Vorteile.“

      Marlies nimmt die ‚Kleine Zeitung‘, die beim Eingang zum Speisesaal aufliegt, zu ihrem Tisch mit.

      „Kinoprogramm“, sagt sie zu Joe und hebt die Zeitung in die Höhe. Vom jungen Paar in der Nische ist nur das Schlachtfeld am Tisch übrig. Wie kann man nur so verfressen sein, denkt Marlies. Sie blickt sich um. Weder Antonia noch der ungarische Kellner sind zu sehen. Hubert, der alte Hausdiener, schleicht beim Buffet herum, schaut in die Küche und gibt Anweisungen, was wieder aufgefüllt werden muss.

      „Ich glaube, heute müssen wir mit dem Kaffee aus der großen Thermoskanne vorliebnehmen. Nix Cappuccino, kein großer Espresso für dich“, sagt Marlies enttäuscht.

      „Ich bring dir was mit. Was hättest denn gern?“ Joe ist stehengeblieben und lächelt Marlies an. Sie findet, dass er mit seinem glatt rasierten Kopf besonders männlich und sexy aussieht.

      „Warum bist du nur so lieb? Wie hab ich das verdient?“

      „Einfach durch deine pure Existenz. Also was?“

      Manchmal würde sich Marlies gerne ganz normal mit Joe unterhalten. Nicht mit diesem ironischen Unterton. Er könnte ja auch „Weil ich dich immer noch liebe wie am ersten Tag“ sagen. Aber würde sie diesen Satz nicht gleich wieder unter ‚gespielte Übertreibung‘ einordnen? Sie weiß, dass sie ihren Anteil an diesem meist spaßig klingenden Umgangston hat. Irgendwie ist es ein Spiel, aus dem sie nur selten herausfinden.

      Joe muss zweimal hin und her gehen, um das Gewünschte zum Tisch zu schaffen. In der Zwischenzeit hat Marlies das Kinoprogramm zum zweiten Mal überflogen. Sie ist nicht fündig geworden und blättert die Zeitung lustlos von vorne durch. Auf der Seite fünf bleibt sie hängen und starrt mit offenem Mund auf den halbseitigen Bericht mit einem Bild vom Lawinenstein.

      „Unbekannte Schifahrerin tödlich verunglückt“, lautet die Schlagzeile. Die Frau mittleren Alters hatte sich vermutlich schon vorgestern bei dichtem Nebel ins Gelände verirrt und war abgestürzt. Erst am nächsten Tag fiel einem Variantenfahrer eine offensichtlich schwer gestürzte Schifahrerin auf, die fünfzig Meter links von ihm unter einem Felsabbruch bewegungslos lag und auch auf Zurufen nicht reagierte. Die Rettungskräfte konnten nur mehr den Tod feststellen. Die Unbekannte trug weder einen Ausweis noch ein Handy bei sich. Die Frau war noch nicht als abgängig gemeldet worden. Auch ein Rundruf in den umliegenden Hotels und Pensionen ist ohne Ergebnis geblieben. Die Polizei bittet um zweckdienliche Hinweise.

      Marlies schaut auf das abgedruckte, unscharfe Foto. Es wurde wohl bei der Bergung aufgenommen. Das Gesicht der Frau ist voller Abschürfungen und blaugrünen Verfärbungen. Trotzdem glaubt Marlies, Anke zu erkennen. Das herzförmige Gesicht mit dem spitzen Kinn, in dessen Mitte ein winziges Grübchen platziert ist, die vollen Lippen mit der nur wenig geschwungenen Oberlippe, die breite Augenpartie.

      „Joe. Schau nur.“

      „Was ist denn so Wichtiges? Wollen wir nicht zuerst frühstücken?“

      „Schau bitte auf das Foto.“

      Sie hält ihm die Zeitung hin.

      Joe überfliegt auch den Text und schüttelt den Kopf.

      „Das ist doch diese Anke, Joe.“

      „Hm, auf dem Foto ist wenig zu erkennen. Außerdem hätte ihr Begleiter sie schon vorgestern als abgängig gemeldet. Spätestens aber beim Anruf im Hotel wäre der Groschen gefallen.“

      „Das ist Anke. Ich bin mir sicher. Schau nur die Augen an, den Mund und das spitze Kinn.“

      Joe zuckt mit den Schultern und schiebt sich Eierspeise auf die Gabel.

      „Ich frag mal den Hubert. Wo sind eigentlich die anderen?“

      „Den Kellner habe ich schon gesehen und einen Cappuccino für dich bestellt. Beruhig dich doch wieder und frühstücken wir erst einmal. Dann kannst du immer noch fragen.“

      Marlies ist aber schon aufgestanden und eilt mit der aufgeschlagenen Zeitung zum Hausdiener.

      „An guten Morgen“, sagt der, als er Marlies auf ihn zukommen sieht. „Was sagen‘s zum Wetter?“

      „Hubert, Sie haben doch auch die Frau gesehen, mit der Herr Kurt vorgestern noch da war.“

      Sie hält ihm die Zeitung hin.

      „Ohne Brille seh ich gar nix. Aber, ich hab’s eh einstecken.“

      Er setzt die Brille auf und schaut auf das Bild.

      „Schrecklich, das is, weil sich die Leut so überschätzen.“

      „Ja, schon gut. Erkennen Sie die Frau auf dem Foto wieder?“

      „Na. Das ist ja so unscharf.“

      „Haben Sie die Frau vom Herrn Kurt gestern gesehen?“

      „Kann mich nicht erinnern. Freitag? Da war ich drei Stunden beim Arzt. Eine Frechheit, wie lange man heutzutage warten muss.“

      Marlies winkt mit der Hand ungeduldig ab. „Bitte Hubert, jetzt denken’s nochmal nach.“

      „Das bringt auch nix. Ich kann mich echt nicht erinnern. Und außerdem, viel Denken macht Kopfweh.“ Seine Mundwinkel machen einen Ausbruchsversuch nach oben. Als dies nicht gelingen will, wendet er sich ab. „Ich muss mich jetzt wieder ums Buffet kümmern.“

      „Wo ist denn die Antonia heute?“

      „Die ist mit den Chefitäten nach Liezen gfahrn. Zum Einkaufen. Sie wissen ja, Shopping macht happy.“

      „Komisch. Am Samstag sind alle drei weg?“

      „Wenn’s um die Abreise geht. Die Rechnung können’s auch bei mir zahlen. Und mit dem Gepäck kann ich ihnen auch helfen, wenn ich da fertig bin.“

      „Hm, kann ich vielleicht einen Blick in die Gästeanmeldungen werfen? Bitte, ich würde nur gerne wissen, wie diese Anke genau heißt.“

      Hubert schaut Marlies kurz mit offenem Mund an. Seine Zähne wirken schmutzig, die Lippen sind voller Risse und passen damit zur zerfurchten dunklen Lederhaut seines Gesichts. Marlies erwartet ein „Das darf ich nicht“ oder etwas ähnlich Abschlägiges.

      „Sie


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