Die Frau des Kommissars. Mart Schreiber
geht zur Rezeption vor und gibt ihr den Ordner mit den Anmeldungen. „I muss wieder zruck. Aber zum Schaun brauchens mi eh net.“
Marlies blättert die Gästeblätter eine Woche zurück. Sie findet weder einen Kurt noch eine Anke. „Da stimmt was nicht, da ist was faul“, sagt sie halblaut zu sich.
Als sie zum Tisch zurückkommt, wird sie von Joe mürrisch empfangen.
„Kannst du nie Ruhe geben? Ich habe mich echt auf ein gemütliches Frühstück mit dir gefreut.“
„Es tut mir schrecklich leid, mein Schatz.“
Sie setzt sich wieder auf ihren Platz und nimmt einen Schluck vom Kaffee, den sie sofort wieder ausspuckt.
„Der ist ja kalt.“
„Wundert’s dich? Du bist seit mehr als zehn Minuten weg.“
„Du, Joe. Stell dir vor. Bei den Gästeanmeldungen gibt es weder einen Kurt noch eine Anke.“
„Ach, Frau Kommissar ermitteln schon.“
„Hör auf. Ich finde das nicht zum Lachen. Übernehmen halt Sie, Herr Kommissar.“
Joe schaut Marlies versonnen an.
„Also, fassen wir den bisherigen Stand deiner Ermittlungen zusammen. In der Umgebung des Lawinensteins wird eine tödlich verunglückte Frau gefunden. Vermutliche Todesursache ist ein schwerer Sturz und möglicherweise anschließendes Erfrieren. Am Abend des gleichen Tages ist nur mehr ihr Galan zu sehen. Frau Anke ist vermutlich im Zimmer geblieben. Möglicherweise hat sie sich unwohl gefühlt. Dafür spricht, dass sie gestern spät zum Frühstück gekommen sind. Jedenfalls haben wir sie und diesen Kurt nicht gesehen. Ich nehme an, dass sie dann wegen ihrer Erkrankung abgereist sind. Und jetzt kommt’s. Die Gästeblätter der beiden sind nicht im Ordner.“
„Und das findest du nicht im höchsten Maße suspekt? Der Kurt sitzt am Abend des Unfalltages alleine im Speisesaal und am nächsten Tag ist auch er weg.“
„Bitte, Marlies. Ich hab’s grad zu erklären versucht. Die Polizei hat in allen Hotels und Pensionen angerufen und nach einer abgängigen Frau gefragt. Spätestens da hätte man an diese Anke gedacht. Für das fehlende Gästeblatt kann es eine einfache Erklärung geben. Der Kurt wird nichts bezahlt haben. Ein Gegengeschäft sozusagen für die Betreuung des Abrechnungssystems.“
„Ich habe die Anke aber auf dem Foto wiedererkannt.“
„Ja, aber nur du. Was sagt der Hausdiener dazu?“
„Der tut so, als würde er nichts wissen und spielt außerdem auf halbblind.“
„Okay, Marlies. Was schlägst du jetzt vor?“
„Ich weiß es doch auch nicht. Was würdest du machen? Du bist doch der Profi.“
„Also, mit dem Frühstück bin ich fertig. Ich geh schon mal nach oben und beginne zu packen. Kannst ja nachkommen.“
Marlies zieht die Lippen zu einem Schmollmund zusammen.
Joe ist schon aufgestanden und schaut sie fragend an. Er bemüht sich um ein freundliches Gesicht.
„Bist einverstanden?“
„Du, Joe. Hab ich nicht noch einen Wunsch frei?“
Joe lacht: „Glaube ich nicht. Der Saldo steht auf Null.“
„Ich könnte aber einen Vorschuss auf meinen nächsten freien Wunsch nehmen. Der kommt eh früher, als du glaubst.“
Joe setzt sich wieder hin, denn Marlies sieht ihn treuherzig wie ein kleines Mädchen an, das ganz lieb um ein Eis bittet. Sie weiß, dass sie damit Joes Widerstand brechen kann.
„Und was soll das für ein Wunsch sein?“
„Ich trau mich`s gar nicht sagen. Wirst auch nicht böse sein?“ Wieder der Liebes-Mädchen-Blick.
„Sag schon.“
„Also, wir machen es so, wie du willst. Lass mich bitte noch ein Joghurt essen und dann packen wir unsere Sachen zusammen. Wir fragen den Hubert, wo wir unser Gepäck lagern können, und fahren dann hinauf zum Lawinenstein.“
„Warum das? Es ist heute viel zu viel los.“
„Du kannst auch dableiben und auf der Terrasse die Sonne genießen. Ich würde mir halt gerne die Unfallstelle ansehen.“
„Wozu? Willst schon wieder Frau Kommissar spielen? Außerdem, wie willst die Stelle finden?“
„Ich hab eine Beschreibung von den Bergrettern. Bitte, bitte, Joe. Mir lässt die Sache keine Ruhe. Wennst nein sagst, darfst dich dann nicht wundern, wenn ich ganz unausstehlich werde.“
Sie beugt sich vor und gibt Joe einen Kuss.
„Okay. Aber nur, weil das Wetter so schön ist. Nach dieser Aktion ist Schluss mit deinem Detektivspiel. Versprochen?“
Marlies zeigt eine Schwurhand und grinst: „Joe, du bist mein Traummann. Wie hab ich dich nur verdient?“
„Ist das Gelände dort schwer zu fahren?“
„Ich zeig dir die beste Spur. Glaub schon, dass du das kannst.“ Sie sind beide aufgestanden und Marlies fällt Joe um den Hals. Sie bemerkt Hubert, der mit verschränkten Armen neben dem Buffet steht und zu ihnen herüber grinst.
Die Aufbewahrung des Gepäcks sei überhaupt kein Problem, erklärt Hubert. Außerdem könne er den Umkleideraum zur Sauna für sie aufsperren. Dort gäbe es auch Duschen. Das wäre doch einne kleine Entschädigung für die defekte Sauna.
Eine halbe Stunde später gleiten sie wieder über das flache Gelände. Es ist schon fast zehn und ungewöhnlich warm. Marlies verstaut die Haube in ihrem kleinen Rucksack und öffnet die Schijacke. Sie schaut zu Joe, der durchaus zufrieden wirkt, und drückt sich an ihn. Joe legt den Arm um ihre Schultern und beginnt eine Melodie zu pfeifen.
„Uns geht’s doch gut, Joe. Findest du nicht?“
Joe pfeift weiter und zieht sie noch fester an sich.
Oben angekommen fahren sie sofort zum Sessellift des Lawinensteins hinüber. Dazu müssen sie nur noch einen kurzen Schlepplift auf halber Strecke nehmen, um etwas Höhe für den flachen Übergang zur Talstation des Lawinensteins zu gewinnen. Die Pisten sind schon leicht sulzig. Der Andrang der Menschen hält sich noch in erträglichen Grenzen. Beim Sessellift zum Lawinenstein stehen nur wenige Schifahrer.
„Was erwartest dir denn?“, fragt Joe, gleich nachdem sie den Sicherheitsbügel geschlossen haben. Sie haben den sechssitzigen Sessel für sich alleine.
„Keine Ahnung. Vermutlich werden wir eh nichts finden.“
„Und stellt Frau Kommissar dann ihre Ermittlungen ein?“
Marlies atmet seufzend aus: „Hab ich doch versprochen.“
Nach dem Aussteigen lassen sie die Hütte links liegen und stapfen den flachen Hang hinauf, der zur Bergstation der Gondel führt.
„Das auch noch“, schnauft Joe hinter Marlies im Grätschschritt watschelnd.
„Sind ja nur ein paar Meter.“
Sie errreichen die Kuppe, auf der der Seillift zur Hütte endet. Schifahrer, die vom Lawinenstein kommen, können damit den kurzen Gegenanstieg einigermaßen bequem bewältigen. Marlies fährt bis zum Begin des Seillifts in der flachen Senke. Dort schwingt sie am linken Pistenrand ab und inspiziert die Spuren, die ins Gelände führen. Rechts von ihr ist der zunächst nur leicht fallende Beginn schon ziemlich zerfahren. Einzelne Spuren sind nicht mehr zu erkennen. Kein Wunder, das ist auch die übliche Einfahrt zur Variante, die man weit hinunterschwingen kann, um irgendwann rechtshaltend auf die Piste der Mittersteinabfahrt zu stoßen. Eine einzelne Spur verläuft aber wesentlich weiter links in das Gelände. Die Spur ist sehr breit angelegt, was für einen unsicheren Schifahrer spricht. Marlies rutscht näher hin und stellt fest, dass es zwei Spuren sein müssen. Die breite