Voll erwischt. Ellen Sommer
Somit hatten wir geklärt, wo Omas „Stullen“ demnächst landen würden und ich war mit dieser Lösung mehr als zufrieden. Ich fragte sie sogar, ob sie irgendwas nicht essen würde und sie antwortete mit bierernstem Gesicht: „Artischocken“. Ich musste so lachen, dass mir die Cola zur Nase wieder raus kam und ich erst mal ein Taschentuch brauchte. Sara drückte mir ein reichlich ramponiertes Teil vors Gesicht und lachte auch. Das war jetzt fast so nett wie mit Judy.
So ganz aus dem Kontext fragte ich sie dann auch noch nach den Handballvereinen und zu meinem Erstaunen lachte sie mich nicht aus, sondern erzählte mir, dass sie just heute Nachmittag selber zum Training gehen würde. „Kommst du mit? Ist heute das erste Training nach den Ferien. Wir könnten gleich nach der Schule los.“
Ich sagte spontan zu und rief gleich auch kurz Oma an, um es mit ihr abzuklären. Sie war zum Glück noch nicht bei den Vorbereitungen für das Mittagessen und versprach mir, meine Sportsachen zur Schule zu bringen.
„Bestimmte Sachen?“
„Nur die Joggingschuhe und die Leggings, das T-Shirt müsste auch noch über dem Schreibtischstuhl hängen, danke.“
„Schon gefunden, ich warte nach der Schule an der Bushaltestelle auf dich.“ Es war klar, dass sie auch was zum Essen dabei haben würde.
Ich freute mich sehr, dass Sara mich gleich mit eingeladen hatte. Als hätte ich jetzt eine Schleuse aufgemacht, begann sie mir ganz begeistert von dem großen Herbstturnier zu erzählen, das am übernächsten Wochenende stattfinden sollte. Sie erzählte, dass sie sich schon das ganze Jahr auf dieses Turnier gefreut hatte, weil sie das erste Mal auch über Nacht mit dort bleiben durfte. „Und am allerbesten ist, dass es ein Mixed-Turnier ist, d.h. unsere Jungs aus der A-Jugend fahren auch mit.“ Was da jetzt so toll dran sein sollte, leuchtete mir nicht so ganz ein, aber ich war mir sicher, dass ich das auch noch herausfinden würde. Zunächst sonnte ich mich aber in dem warmen Gefühl, heute etwas Eigenes vorzuhaben und mich nicht wieder mit Selma, Luise und Co treffen zu müssen. Sara erzählte nonstop durch, bis wir vor dem Bioraum ankamen und sie mich den Mädels vorstellte, die dort schon gestanden und gelästert hatten.
Eine davon war Lisa, die ich vorhin ja auf dem Mädchenklo angesprochen hatte. Sie lächelte leicht angesäuert und sagte Sara, dass wir uns bereits kennen gelernt hätten. Sara zog nur eine Augenbraue hoch. Wow, das hatte ich bisher noch nie gesehen und war beeindruckt, dass jemand nur eine Augenbraue bewegen konnte. Sie ignorierte meinen verblüfften Blick, aber sagte nichts mehr, sondern schob mich an den Mädels vorbei in den Klassenraum. Dann winkte sie mir noch kurz zu und verschwand zu ihrer Geschichtsstunde. Gestern war ich vor lauter Aufregung gar nicht dazu gekommen, mir das Klassenzimmer genauer anzuschauen, aber jetzt hatte ich noch einen Moment Zeit, bis Direktor Hofmann kam. Ich setzte mich in die dritte Reihe ans Fenster, wo ich gestern schon gesessen hatte.
Der Raum erinnerte mich an das Biozimmer in meiner alten Schule und ich hatte fast den Eindruck, außer gestern schon öfter hier gewesen zu sein, aber wahrscheinlich gab es in ganz Deutschland mehrere identische Klassenräume in Gebäuden gleichen Baujahres, so dass mich das jetzt nicht wirklich irritierte. Nach und nach füllte sich das Klassenzimmer, der Platz neben mir blieb aber erst mal frei. Doch da kam Christopher als einer der Letzten um die Ecke gebogen und schaute sich hastig um, um dann an Boris vorbei zu sprinten, der auch auf unsere Reihe zuhielt, um sich neben mich zu setzen. Boris hockte sich neben ihn und kurz darauf erschien Herr Hofmann in der Klasse mit einem Netz Kartoffeln in der linken Hand.
Mit einem Schlag waren alle still – alle Achtung, er schien sich Respekt verdient zu haben. So trantütig, wie er gestern schien, war er nämlich gar nicht. Ich war ziemlich erstaunt. Er reichte das Netz herum und jeder sollte sich eine Kartoffel herausnehmen. Als nächstes verteilte er Skalpelle und schaute jeden von uns durchdringend an: „Wir haben heute nicht den Erste Hilfe Kurs- also bitte keine Messerstechereien – ich hoffe jeder ist mit seinem Sitznachbarn auf gutem Fuß…“ Das war eine komische Ansprache, aber die Message kam an. Chris grinste mich von der Seite an und ignorierte Boris komplett, dem das aber gar nichts auszumachen schien. Die nächsten 30 Minuten waren erfüllt von konzentrierter Ruhe wegen der Versuche, die wir mit den Kartoffeln durchführen sollten und ich war überrascht, was man mit so ollen Knollen alles anstellen konnte. Zwischendurch schwadronierte Herr Hofmann über die Vorzüge von „Linda“, „Bintje“ und wie sie nicht alle heißen für Reibekuchen und Kartoffelpüree – ich wusste nicht, dass es für jedes Gericht eine passende Kartoffel gab und fragte mich, ob irgendwer das sonst noch mitbekam. Auch diese Doppelstunde war schneller um, als gedacht, und ich freute mich schon auf die 2. große Pause.
Kurz vor Schluss kam ein Zettel von rechts: „Heute schon was vor???“ Ich schaute zu ihm rüber, seine Augen lagen im Schatten und ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht wirklich deuten. Gespannt? Neugierig? Auf jeden Fall interessiert und das freute mich irgendwie schon. Ich wusste nicht, wieso er mir plötzlich so viel Aufmerksamkeit schenkte, aber ich versuchte es fürs Erste mit einem Lächeln und schrieb dann auf den Zettel: „Ich gehe mit Sara zum Handball.“ Ein Grinsen glitt auf sein Gesicht: „Na dann, bis später.“ In dem Moment läutete die Schulglocke und er sprang zur Tür und verschwand, bevor ich auch nur die Chance hatte, zu reagieren. Was meinte er mit später? Boris packte langsam seine Sachen in den Rucksack und fragte mich: „Was hast du als nächstes?“ „Chemie.“ „Weißt du, wo das ist?“ „Jep, ich hab ´nen Plan…“ „O.k. dann bis nachher.“
Hey, was war das? Plötzlich fluppte es- wie kam ich denn dazu? Ich war so überrascht, dass ich nicht mal rot wurde. Ich schaute mich zu Sara um, die vor dem Klassenzimmer auf mich wartete und mich angrinste: „Du hast nicht nur einen Plan, du hast auch mich, ich habe nämlich auch Chemie…“ Ich strahlte sie an, der Tag wurde immer besser.
Zu den letzten 2 Stunden gab es nicht viel zu sagen, sie gingen schnell um und es passierte absolut gar nichts. Erstaunlich, dass jetzt schon niemand mehr starrte, ganz so als wäre Sara am Arm der Türöffner oder mein Schutzschild.
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