Voll erwischt. Ellen Sommer

Voll erwischt - Ellen Sommer


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      Er hatte heute die „Burgerschicht“, d.h. er fing früh morgens an, schnipselte das Gemüse und die anderen Zutaten und setzte schon mal den Teig an. Wenn es dann so ab 11 Uhr losging, schwitzte er bis 14 Uhr durch und verschwand bis um 20 Uhr, um dann wieder als zweiter Pizzabäcker dazu zu stoßen. Meine Schicht ging bis 22 Uhr, aber meistens kam ich nicht vor Mitternacht raus. Der Vorteil an dem Job war, man konnte sich das Mittag- und Abendessen selber frisch zubereiten und es gab nicht jeden Tag Tante Almas Ravioli aus der Dose oder gar nichts, wenn meine Tante wieder mal einen schlechten Tag hatte und erst am Abend aufstand. Ich blickte kurz auf die Zettel, die Claudio am Klemmbrett befestigt hatte und machte mich an die Pizza Diavolo und Machiavelli, die am Tisch 7 erwartet wurden.

      In den Ferien hatte ich Claudios Schicht übernommen, damit er heim zu seiner Mama und den Bambini konnte und wusste, wie nervig es war, nur daheim zu sein, um zu schlafen und viel zu wenig Freizeit zu haben, um mal mit Freunden ins Schwimmbad zu gehen oder abends mal auszugehen. Nicht, dass hier das Wetter öfter für Schwimmbadbesuche getaugt hätte, aber grundsätzlich wäre es nett, mehr Zeit zu haben…

      Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal ausgeschlafen hatte. Trotzdem war ich froh über den Job und hätte auf keinen Fall den ganzen Tag daheim bei meiner Tante abhängen wollen. Ich überlegte schon länger, ob ich gleich an meinem 18. Geburtstag ausziehen oder erst dann mit der Wohnungssuche anfangen sollte. Ich setzte Wohnungssuche auf Prio 1 meiner inneren Liste.

      Wenn mir heute schon jemand ein Zimmer angeboten hätte, wäre ich sofort eingezogen, aber die paar Wochen würde ich jetzt auch noch hinter mich bringen. Ich schluckte und knetete den Teig für zwei Pizza Frutti di Mare an Tisch 8 und dann schaltete ich die Gedanken aus und machte Pizza bis am Abend Claudio wieder kam.

      Sara

      Musste der Typ sich schon wieder neben mich setzen? So was Penetrantes hatte ich noch nicht erlebt. Er schien nicht zu merken, dass ich jedes Mal wieder dieses Zittern bekam und am liebsten aus dem Bus gesprungen wäre. Stattdessen kam er immer wieder an und tat so, als sei nie was gewesen und seine Fröhlichkeit ging mir ziemlich auf den Senkel.

      Ich wollte ihn nicht als KUMPEL, wenn ich ihn als FREUND nicht haben konnte, dabei hatte es im letzten Schuljahr gar nicht so schlecht angefangen. Wieso ihn dann diese Celia aus der Pizzeria abgeschleppt hatte, war mir ein echtes Rätsel. Seitdem hatte ich kein Wort mehr an ihn gerichtet und nur geantwortet, wenn es sich gar nicht vermeiden ließ. In der Schule jedenfalls, in der Freizeit wollte ich mir den Krampf nicht auch noch antun. Ich würde Lille morgen vor ihm warnen müssen, die hatte er offensichtlich gleich mit seiner Prinz-Charming-Masche eingefangen und auf der Treppe hatte sie ihn vorhin völlig paralysiert angestarrt, wie das Kaninchen die Schlange. So was ging gar nicht! Fing ja wirklich prima an.

      Da fiel mir ein, dass ich sie jetzt gar nicht gefragt hatte, weshalb sie eigentlich hierher gewechselt hatte und wo sie herkam. Sie hatte jedenfalls gar keinen französischen Akzent, was man bei dem Namen doch zumindest vermutet hätte. Mal sehen, ob wir morgen auch irgendwas zusammen hatten. Deutsch war erst wieder am Mittwoch dran und morgen standen Mathe, Chemie und Geschichte an – alles Fächer, die ich nicht freiwillig ausgewählt hatte. Ich fragte mich, ob Nils wieder mit mir Mathe hätte und hoffte es sehr. Vermutlich würde er aber wegen Informatik und Physik an einem anderen Tag Mathe haben oder bei einem anderen Lehrer. Nils wäre meine Hoffnung, in diesem Jahr auch tatsächlich durchzukommen und im nächsten Jahr würde mein Mathelehrer mich nur noch von weitem sehen! Nur noch ein Jahr. Ich schloss die Augen und wünschte mir „Nils“. Dann hielt der Bus und ich musste in den Regen raus. Zu Hause war wieder das übliche Chaos. Mum hatte Baby Lisa und Elmar versucht synchron zu füttern und Nina und David trabten in der Küche um den Tisch herum und spielten Pferdchen, was die Kleinen total begeisterte. Dafür sah die Küche wie ein riesiges Schlachtfeld aus mit verkleckertem Möhrenbrei, herumfliegenden Papier-fetzen und umgestürzten Zeitungshaufen „Sara!“, schallte es mir mehrstimmig entgegen und ich wusste, bis heute um 8 würde nichts aus den Hausaufgaben werden…

      

      Lille

      Oma wartetet schon in der Küche auf mich (wo sonst?) und hatte sich den Vormittag mit der Zubereitung meines Mittagessens verkürzt. Es gab Marillenknödel mit Vanillesauce und zum Nachtisch Joghurt mit Früchten, Nüssen und Honig. Meine Leibspeisen: Da ging für mich die Sonne auf. „Na meine Liebe, wie war dein erster Schultag?“

      Ich brachte zwischen den Bissen ein: „Na ja, ging so...“, heraus was sie natürlich neugierig machte und Details verlangte. Also erzählte ich ihr kurz von Sara und dass ich von Christopher einen Plan gezeichnet bekommen hatte, um morgen nicht völlig doof dazustehen.

      Oma schüttelte kurz den Kopf und meinte: “Dass die das von der Schule nicht besser organisiert haben. Zu meiner Zeit hatten wir Paten, die uns im ersten Monat herumführten und überall hin mitgenommen haben, so dass man danach dann auch schon jede Menge Leute kannte und wusste, wo man hin musste.“ Sie wollte auch wissen, wie denn die Lehrer so seien und ich erzählte ihr offen von den Typen und sie lachte laut auf, als ich meine imaginäre Brille abrutschen ließ und Frau Maier imitierte: „Na, dann lesen sie mal bis Freitag…“

      Nach dem Essen verkrümelte ich mich in mein Zimmer und las genüsslich die 33 SMS, die Judy mir geschrieben hatte. Es waren immerhin 3 mehr als ich in der Zeit hätte tippen können. Ich warf mich an meinen Rechner und klickte mich in mein E-Mailprogramm. Auch dort wartete eine lange Mail von Judy, die sie offensichtlich gestern Abend noch vom Internetcafe geschickt hatte. Ich begann zu schreiben und hatte ihr nach einer Stunde alles soweit erklärt, dass ich die Mail abschicken konnte. Danach setzte ich mich auf mein Bett und kramte nach meinem „Effi Briest“ Buch. Es war durchgehend bunt unterstrichen – mein ganzer Stolz.

      Zu jedem Thema hatte ich eine andere Farbe genommen, so dass ich Zitate viel schneller finden konnte. So sahen alle meine Bücher aus, ich konnte nicht anders. Judy hatte sich regelmäßig kringelig gelacht, wenn sie meine kunterbunte Ausgabe in die Finger bekam.

      Einmal musste ich in Latein die Lektüre an den Lehrer übergeben und bekam für die Klausur sein ungefärbtes Exemplar, damit Chancengleichheit für alle bestünde, wie er meinte. Danach durfte ich meine eigenen Bücher bei allen Lehrern behalten, denn ich bekam trotzdem 15 von 15 Punkten…Frau Maier würde ich so eine Aktion auch zutrauen.

      Plötzlich klingelte mein Handy und ich ging mit Judy noch mal den kompletten Vormittag durch, inklusive genauer Beschreibung von Christopher, der sie am meisten interessierte. Wie Sara aussah, wollte sie nicht wissen. “Wird es was Ernstes?“, war eine der ersten Fragen, die sie mir stellte und ich fragte sie entrüstet, wie sie denn auf so was käme. Daraufhin kam nur ein lakonisches: „Ich kenne dich doch…“ und diesmal hatte ich das erste Mal die Frage im Kopf: „Wie denn, ich kenne mich ja selbst nicht mal?“ Doch zum Fragen kam ich nicht, denn während sie mich zu textete, spähte Oma durch die Tür und fragte, ob ich sie in die Stadt begleiten würde. Es war keine Frage sondern klang eher nach: „Los, komm gleich mit, sonst sind wir zu spät zu unserem Treffen.“ Was auch immer sie vorhatte, sie wollte mich unbedingt dabeihaben. Ich würgte Judy also ab und schaltete das Handy anschließend komplett aus.

      Danach warf ich mich in die Gummistiefel und die Regenjacke und stapfte zu Omas Auto. Shopping mit Oma, wer träumte nicht davon. Nachdem ich in den letzten 14 Tagen aber fast täglich die Tour mit ihr hinter mir hatte, fand ich es nicht mehr so erstrebenswert, meine Nachmittage mit Oma zu verbringen. Trotzdem ging auch so die Zeit rum. Meist ging es in diverse Lebensmittelläden, wo sie für den nächsten Tag frisch einkaufte und anschließend trafen wir uns mit Luise, Selma oder Clara oder allen gleichzeitig in Omas Haus- und Hofkonditorei zum ellenlangen Kaffeeklatsch, bei dem die Damen sich rundum gegenseitig einluden. Heute war als wöchentlicher Höhepunkt die Bergische Kaffeetafel gedeckt und ich fragte mich, ob Oma nach dem Berg noch vorhatte, ein Abendbrot zu machen, denn die Zutaten hatten wir vorhin schon gekauft und im Auto verstaut. Ich musste mir schleunigst eine Aktivität für den Nachmittag suchen, wenn ich hier nicht als Hefekloß enden wollte. Selma fragte mich gerade, ob ich eigentlich Sport treiben würde


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