Nela Vanadis. Nina Lührs

Nela Vanadis - Nina Lührs


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      Für Angela und Hartmut

      und für meine Testleserinnen Tanja und Petra

      Landkarten

Midgard Altes Chaukenland Kopie.jpg Landkarte Asgard Glitlindi Kopie Kopie.jpg

      Prolog

      Pfad. Ein schmaler Weg, der eine bestimmte Richtung einschlägt, die man nicht beeinflussen kann, aber der man unweigerlich folgt, um sein Ziel zu erreichen. Doch manche Pfade sind steinig, uneben und steil.

      Nelas Pfad verlangt von ihr eine enorme innere Stärke, um gegen die Widrigkeiten anzukämpfen, die die Nornen für sie webten. Tatsächlich steht sie hin und wieder an Kreuzungen, doch gleich, in welche Richtung sie sich wendet, der Pfad scheint unüberwindbar. Doch auf ihrem Weg ist sie nie allein. Stets begleiten sie alte und neue Freunde, helfen ihr den grausamen Pfad der Nornen zu bestehen. Mit jedem Schritt kämpft sie sich durch die qualvollen Hindernisse, hält an ihrer Stärke und Kraft fest, denn irgendwann wird der Pfad sie zu ihrem Ziel führen: der Sieg über einen Feind.

      Ihr Weg führte sie nach Hel, nun sucht sie nach einem Pfad, der sie zurückbringt, zurück zu ihrem Wikinger. Doch ahnt sie nicht, dass der einzige Weg aus Hel einen hohen Preis hat.

       Waffenbrüder

      „Ich bin Balder Odinson von Asgard.“

      Verzweifelt starrten ihre geweiteten Pupillen Balder an. Dunkle Schatten lagen unter ihren Augen, das Gesicht aschfahl. Die von der Stirn bis zu ihrem Kinn verlaufenden Hautabschürfungen schwelten unter der Kruste dunkelrot. Der graue Leinenverband verbarg ihre schmerzende Kopfwunde. Blutverkrustete Haarsträhnen klebten in ihrem Gesicht und ihre gerissenen Lippen zitterten, aber kein Laut.

      Oh nein! Ich bin in Hel. HEL! Verfluchte Nornen, welch grausames Spiel treibt ihr? Jarick nahm mich als seine Schülerin, damit er nicht hierher verbannt werden würde. Und jetzt bin ich hier! In Hel! Jarick und Nanna sind in Asgard; Balder und ich verharren in Hel. Das ist falsch, ungerecht und grausam. Nornen, warum hasst ihr mich so sehr? Habt ihr mich nicht schon genug gequält?

      Warum bin ich in der Unterwelt bei Jaricks Vater? Ein Hoffnungsschimmer, aber kann ich ihm vertrauen?

      „Ihr könnt Eure Hoffnung auf mich setzen, Lunela. Ihr gehört zur Sebjo meines Sohnes, folglich genießt Ihr meinen Schutz. Seid willkommen in meiner bescheidenen Wohnhöhle.“

      Ertappt zuckte Nela zusammen. Konnte Balder ihre Gedanken lesen?

      „Euer Misstrauen steht Euch ins Gesicht geschrieben“, stellte Balder bedauernd fest.

      „Nela, du bist Alvarin?“, mischte Emma sich in das Gespräch ein. „Du kannst Balder vertrauen.“

      „Ja.“ Nela beäugte Emma, setzte ihr Alvarentalent ein, um ihre Daseinsform zu erkennen. Unglaublich leuchtete Emmas Aura in einem satten Grün. Das Grün der Elfen. Zwangsläufig musste Nela an Runa und ihren Verrat denken.

      Runa, meine Kampfgefährtin, wandelte sich in das Böse, nur um die Schlüssel des Großpriors des Ordens Elhaz, meines Vaters, zu stehlen. Ihr Bestreben trieb sie so weit, mich zu erpressen, mich gar zu töten.

      War Emma ebenfalls eine rücksichtlose Späherin, die einem Unschuldigen nach dem Leben trachtete? Hatte auch Emma diese Schuld auf sich geladen? War Hel die Strafe für ein abscheuliches Verbrechen? Unmöglich, nicht Emma!, wehrte sich Nelas innere Stimme gegen diesen furchtbaren Verdacht.

      Unerwartet schlug die Holztür krachend gegen die Felswand, kleine Splitter stoben durch die Luft. Mordlüstern stürzte ein wüster Drauger sich auf Balder. Nela und Emma schreckerstarrt. Blitzschnell wich Balder der hinabrasenden Axt aus und stieß den Eindringling mit einem heftigen Stoß durch die Türöffnung hinaus.

      „Ihr bleibt hier“, sah der Ase Emma entschieden an, bevor er dem Angreifer nachjagte, dabei zog er die Holztür hinter sich zu.

      „Ase!“, brüllte eine Stimme. „Gib mir meine Beute.“

      Ein eiskalter Schauder überfiel Nela. Hektisch sah sie sich um. Nur Fels. Meterdicker Stein. Sofort erkannte sie: Ich sitze in der Falle. Unruhig starrte sie auf die Tür. Tausend Gedanken jagten durch ihren Kopf, schürten ihre Ängste. Wer ist der Angreifer? Bin ich die Beute? Nein! Ich nicht! Merkt euch das, Nornen! Ich ergebe mich nicht kampflos meinem Schicksal.

      Unerträglich waren das Warten und die Ungewissheit. Daher trat sie an das ovale Loch in der Felswand heran. Nur dort draußen lagen die Antworten.

      Eine bedrohliche Ödnis aus grauen Felsen erstreckte sich vor ihr. Hin und wieder spendeten brennende Fackeln vor den Eingängen der wenigen Wohnhöhlen Licht. Doch reichten die Funzeln nicht dazu aus, um die niederdrückende Finsternis zu vertreiben, die sich in dieser Welt hartnäckig eingenistet hatte. Nirgends gab es Farben oder vertraute Pflanzen. Verzweigte, dunkelbraune Wurzeln ragten aus dem steinernen Himmel herab, wanden sich in der Luft zu einem wirren Geflecht, dessen Enden sich in einem tiefschwarzen Teich verloren. Auf einem Wurzelast spreizte ein schwarzer Geier seine Flügel und stieß einen schauerlichen Warnruf aus, bevor er sich in die Tiefe auf einen halbverwesten Kadaver stürzte. Gierig riss er ein großes Stück Fleisch aus dem toten Tier heraus und schlang es hinunter. Der Anblick rief in Nela eine Warnung vor großem Unheil hervor.

      Dann erblickte sie die Störenfriede. Unwillkürlich schreckte Nela zurück. Dort draußen lauerten ausgehungerte Hyänen; furchteinflößende Gestalten. Ihre Auren wabberten in einem schmutzigen Braun, einem trostlosen Schwarz und in einem falschen Eierschalenweiß. Die blutroten Muster verrieten ihre bösartigen Seelen, und diese Verschnörkelungen zeigten die Opfer in ihrem furchterregenden Todeskampf. Jeder Leidtragende starb qualvoll ob der brutalen Ader ihrer Mörder.

      Die skrupellosen Verbrecher mit Narben übersäten Leibern steckten in abgenutzten Fellen, ihre kaltblütigen Augen fixierten Balder, dabei verzogen sich ihre Münder zu einem blutgierigen Grinsen. Jeder führte ein Beil mit sich, deren Schneiden noch eine rostbraune Färbung trugen: das getrocknete Blut ihrer letzten Opfer. Unter ihnen war ihr Entführer. Zweifelslos forderte er sie. Er war ihr wahrhaftig nach Hel gefolgt, aber wer oder was trieb ihn an, dass er sich freiwillig in die Unterwelt begab, nur um sie wieder in seine Gewalt zu bekommen? Er muss einen Ausweg, ein Tor kennen!

      Nela durchfuhr Eiseskälte, dabei ballten sich ihre Hände zu Fäusten. Verzweifelt rief sie über die Schicksalsschnüre nach Jarick und auch nach Tristan. Doch ihre Hilfeschreie prallten auf ihrem Weg gegen die undurchdringliche Felswand und wurden donnernd laut in ihre Gedanken zurückgeschleudert. Nela wusste, keinen Pfad, keine Hilfe.

      „Ich kenne Euch nicht, Mensch“, erwiderte Balder dem Entführer, „gewiss habe ich nichts, was Euch zusteht.“ Flugs sah Nela zu dem Asen. Breitbeinig mit erhobenem Haupt stieß Balder erneut den Drauger von sich, der zuvor in die Wohnhöhle gestürzt war. Dieser flog hoch durch die Luft, schlug hart auf dem Felsboden auf. Schwankend rappelte er sich auf, schüttelte heftig seinen Kopf, um sich von der Benommenheit zu befreien, bevor er brüllend mit erhobenem Beil auf Balder zustürzte.

      „Oh doch! Gebt mir die Walküre oder Ihr seid des Todes“, schrie der Entführer gereizt. Unstet fuhr er mit der Hand über seine Augen, währenddessen der angreifende Drauger zum wiederholten Male auf den harten Steinboden auftraf.

      Balder nutzte die Zeit, betrachtete jeden, schätzte ihre Kräfte und Fertigkeiten ein. Es überraschte den Asen nicht, einen alten Widersacher unter ihnen zu entdecken.

      „Mahr, was führt Euch mit Eurem Gesinde vor meine Wohnhöhle? Dazu noch bewaffnet“, sprach Balder den Dunkelalb an.

      Sofort bemerkte Nela die schwarzen Augen, die dämonisch aus dem blutleeren Gesicht herausstachen. Mahr zeigte kein Anzeichen von Furcht oder Unsicherheit. Im Gegenteil er strahlte das größtmögliche Selbstbewusstsein aus, das ein Wesen besitzen konnte.

      Zynisch antwortete er: „Beile gelten nicht als Waffen. Das müsstet Ihr doch wissen. Ihr verweilt doch bei uns schon seit langer Zeit.“


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