Nela Vanadis. Nina Lührs

Nela Vanadis - Nina Lührs


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      Schwerfällig erhob sich der verletzte Drauger. Blut lief über seine Schläfe, das er mit seiner Hand abwischte, ungläubig starrte er die rote Flüssigkeit an, bevor er Balder rachlüstern fokussierte.

      Mahr lachte hämisch auf. „Macht Euch nicht zum Gespött, Ase. Das steht Euch nicht gut zu Gesicht.“ Kurz traf Mahrs eiskalter Blick Nela, sogleich spürte sie eine erdrückende Last auf ihrer Brust, die ihr das Atmen erschwerte. Es gab keinen Zweifel, Mahr war der lebendig gewordene Albtraum. „Ich spalte lieber Knochen als Äste.“

      „Natürlich konntet Ihr Euch bei der Aussicht, Eurem Steckenpferd zu frönen, nicht zurückhalten, aber dennoch würde ich gerne wissen, bevor Ihr versucht, meine Knochen zu spalten, wieso Ihr diesem Mann Eure Dienste anbietet und ihn nicht zu Kleinholz verarbeitet habt?“, hakte Balder nach, während er gegen den angriffslustigen Drauger kämpfte.

      „Dieser hier“, Mahr schlug Nelas Entführer auf den Rücken, „kennt einen geheimen Weg, der uns aus diesem vermaledeiten Verlies herausführt.“

      Geschickt wich Balder den wütenden, unkontrollierten Hieben aus. Schließlich beendete der Ase den Kampf, indem er den Drauger abermals mit einem kraftvollen Schlag durch die Luft schleuderte. Diesmal traf er auf eine spitze Felskante, die seinen Schädel spaltete. Leblos blieb der Drauger liegen, was einen gellenden Zornesschrei eines anderen Draugers auslöste. Jedoch hielt er sich zurück, kam seinem Rachedurst nicht augenblicklich nach, überlegte, zögerte, wog seine Chancen ab.

      „Viele behaupten, sie wüssten einen ...“, zweifelte Balder, doch Mahr unterbrach ihn respektlos. „Ich erkenne einen Lügner. Ich kann die Angst riechen, die sie verströmen, wenn sie die Unwahrheit sagen.“

      „Mit welchem Recht beansprucht Ihr eine Walküre?“, wandte sich Balder grimmig an den Entführer.

      „Das geht Euch nichts an“, brüllte der Entführer ihn gehetzt an. Seine Schultern krümmten sich leicht unter Balders stechendem Blick, dennoch sah er von seiner Forderung nicht ab. „Gebt sie mir und Ihr könnt unbeschadet Eurer Wege ziehen.“

      „Wirklich? Ich bezweifel, dass Eure neuen Verbündeten das zuließen. Ich werde sie Euch keinesfalls übergeben“, zischte der Ase leise mit einem unterschwelligen Versprechen, dass er die Angreifer töten würde.

      „Wie Ihr wollt“, schrie der Entführer mit hochrotem Gesicht und wedelte mit der Hand in der Luft. Sogleich setzte sich die mörderische Horde mit einem markerschütternden Schlachtruf in Bewegung, während Balder blitzschnell seinen Dolch aus dem Stiefel zog.

      Gehetzt sah Nela sich in der kargen Höhle um. Die verfluchten Nornen ließen ihr nie Zeit, erwarteten stets von ihr das Wissen, Können und die Erfahrung, die sie noch nicht besaß.

      „Wonach suchst du?“, entfuhr es Emma schrill. Berechtigte Panik stand in ihrem Gesicht geschrieben. Davon ließ Nela sich nicht beirren. Zwar war sie gerade wenige Wochen eine Alvarin, aber eines wusste sie genau: Nur ein kühler Kopf gepaart mit Kampfkunst und mit ausreichendem Respekt vor dem Gegner entschied in einem Kampf über Leben und Tod.

      „Waffen“, erwiderte Nela dennoch hastig.

      Sofort eilte Emma an eine Truhe, deren Deckel sie mit Wucht öffnete. Das Ächzen des Holzes, als es auf die Steinwand traf, vermischte sich mit dem geifernden Knurren des Werwolfs.

      Einen Wimpernschlag später hielt Emma krampfhaft ein Kurzschwert in der Hand. Ihre Augen verrieten fortwährend ihre Angst vor den Angreifern, aber der entschlossene Zug um ihren Mund zeigte ihre Kampfbereitschaft. Mit Nachdruck reichte Nela ihrer Freundin ein zweites Schwert. „Für Balder.“ Verstehend nickte Emma.

      Instinktiv griff die Walküre nach dem Bogen und Köcher mit Mistilapfeilen. Während sie sich den Köcher auf den Rücken schnallte, sahen sich die beiden Frauen entschlossen an. Auf dem Weg zum Ausgang spannte Nela den ersten Pfeil. Kurz hielt Emma inne, bevor sie die Tür aufriss. Rasch verschaffte Nela sich einen Überblick. Balder kämpfte überlegen gegen zwei rasende Drauger, ein dritter lag mit mehrfach gebrochenem Rückgrat, das den Körper in eine unnatürliche Lage brachte, unweit der Kämpfenden. Sein schmerzverzerrter Blick traf Nela, doch konnte sie in diesem Moment kein Mitgefühl für den Verletzten aufbringen. Denn sie wusste, dass dieser Drauger, sie ohne mit der Wimper zu zucken, töten oder weit Schlimmeres mit ihr anstellen würde. Während ihr Entführer mit verschränkten Armen einige Schritte entfernt den Kampf beobachtete, warteten drei weitere Drauger auf ihren Einsatz. Ungeduldig umkreisten sie mit ihren Beilen die Kämpfenden. Ein großer, hagerer Drauger, der des Wartens müde war, schlug mit seinem Beil unüberlegt zu. Jedoch trieb er nicht Balder die Schneide in den Leib, sondern seinem Mitstreiter. Sofort quoll Blut aus der Wunde, seine Adern auf der Stirn traten hervor, als er sich seinem Peiniger unbeirrt zuwandte. Mit einem gekonnten Hieb trennte er ihm seinen Schwertarm ab. Ein doloroser Schrei hallte durch die steinige Unterwelt, während der Körperteil leblos herabfiel, färbte das herausströmende Blut den felsigen Boden rot. Der Hagere sackte vor Schmerz auf seine Knie. Ohne Zögern vollendete der Drauger seine unverzügliche Rache, indem er ihn mit einem gezielten Hieb köpfte. Blut spritzte in sein mit Narben übersätes Gesicht. Doch störte er sich nicht daran, sogleich stürzte er sich wieder in den Kampf.

      Am Rand des Geschehens stehend, wirkten der verwandelte Wolfsmann und der Dunkelalb Mahr fast unbeteiligt. Mit gefurchten Brauen beobachteten sie den Kampf. Kurz blickte Mahr auf das Dach der Wohnhöhle, Nela folgte unweigerlich seinem Blick. Auf dem gewölbten Felsen pirschte sich ein weiterer Dunkelalb heran. Seine Konzentration lag vollends auf Balder, der mit dem Rücken zu ihm stand. Der Angreifer verharrte am Rand des Felsens, bereit zum Sprung, hob er seine rechte Hand, in der sich ein Mistilapflock befand. Nela spannte die Sehne, peilte das Ziel an. Der Pfeil schnellte durch die Luft. Mit Wucht bohrte sich die Metallspitze in die Brust des Dunkelalbs. Im Moment seines Todes sah er Nela verwundert an, griff zum Pfeil. Seine Lippen formten noch die Worte „Verfluchte Walküre“, bevor er leblos vom Felsen vor die Wohnhöhle fiel.

      Erstaunt nickte Balder ihr zu, bevor er dem korpulenten Drauger seinen Dolch ins Herz rammte. „Emma!“, rief der Ase fordernd. Sogleich warf die Elfe ihm das Schwert zu. Gekonnt fing er es am Heft auf, schwang es in einer fließenden Bewegung, während sich der beleibte Drauger torkelnd von dem Dolch zu befreien versuchte. Gerade, als er die Klinge aus seiner Brust zog, erwischte ihn das messerscharfe Schwert, das seinen Torso in zwei Hälften zerhieb.

      „Lunela! Der Werwolf“, befahl Balder ihr unmissverständlich. Nela zielte auf den Werwolf, doch dieser war bereits gewarnt und wich dem ersten Pfeil geschickt aus. Der Pfeil klapperte über den unebenen Steinboden. Auch der nächste Pfeil erreichte nicht sein Ziel. Emma griff hingegen den Dunkelalb an, dessen bleiches Gesicht sich zu einer erfreuten Grimasse verzog, da er sich gewiss war, der Elfe mit Leichtigkeit ihre Knochen zu spalten.

      Derweil ermüdete es den Werwolf, Nelas Pfeilhagel auszuweichen. Mit gefletschten Zähnen setzte er zum Sprung an. „Nein!“, schrie der Entführer. Doch der Zorn des Wolfsmanns war geschürt und nichts konnte ihn von seinem wutgetriebenen Angriff abbringen. Tief atmete Nela durch, bevor sie den nächsten Pfeil abschoss. Zu ihrem Leid streifte das Geschoss den Werwolf nur. Zwar hinterließ er eine Wunde an der rechten Flanke, aber den Wolfsmann brachte die Verletzung noch nicht einmal aus dem Tritt.

      „Durchatmen, Ziel anvisieren und Schuss“, rief Balder ihr einen kühlen Befehl zu. Der zuversichtliche Ton ermutigte Nela nicht nur, sondern auch die ihr so bekannte Klangfarbe seiner Stimme. Sie glich Jaricks sehr.

      Tief durchatmend, schloss Nela kurz ihre Augen, visierte den heranpreschenden Werwolf an und löste die rechte Hand von der Sehne. Surrend flog der Pfeil auf den verwandelten Wolfsmann zu.

      Emma versetzte dem Dunkelalb eine klaffende Wunde am Bein. Zornesröte verlieh dem kalkweißen Gesicht Farbe. Unbeherrscht ließ er sein Schwert auf Emma hinabsausen, die den Angriff abfing, jedoch ging sie unter der Kraft des Hiebes in die Knie.

      Ein Aufheulen ertönte, als der Pfeil sich in die Schulter des Werwolfs bohrte. Er strauchelte, gab Nela damit die Gelegenheit erneut auf ihn zu schießen. Doch die Alvarin erkannte die tödliche Gefahr, in der Emma schwebte, anstatt den Werwolf endgültig unschädlich zu machen, schoss


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