Nela Vanadis. Nina Lührs
voneinander getrennt. Während es den Lebenden möglich ist, Hel zu verlassen, da sie nur verbannt wurden, ist es den Toten unmöglich, denn der Tod ist etwas Endgültiges; sie können nicht mehr ins Leben zurückkehren. Allerdings gibt es einen Ort in meinem Reich, der es gestattet, die endgültige Grenze zwischen Leben und Tod zu überwinden. Genauso wie ich beide Seiten in mir vereine, verbindet auch dieser Ort das Diesseits mit dem Jenseits. Lunela, wenn Ihr Euch an diesem Ort befindet, denkt an meine Warnung, Ihr dürft nur die Pforte, durch die ihr den Ort betretet, auch wieder verlassen, wählt Ihr die Pforte zum Totenreich, werdet Ihr sterben. Nur mir ist es gegeben, in beiden Welten zu verweilen. Auch werden Eure Eltern nicht durch die Pforte der Lebenden schreiten können.“
„Ich darf meine Eltern treffen“, konnte Nela es nicht glauben. Tränen stiegen ihr in die Augen.
„Ja. Auch wenn mir bewusst ist, dass diese Begegnung für Euch und auch für Eure Eltern äußerst mitreißend wird, denn es ist von der Natur nicht vorgesehen, dass sich Lebende und Tote begegnen. Aber ich bin davon überzeugt, dass Ihr diese mentale Kraft besitzt, Euch dieser Herausforderung zu stellen und keinen Schaden nehmen werdet.“
„Für wie lange?“
„Da Zeit an diesem Ort keine Rolle spielt, gewähre ich Eurem Vater, Euch zur Großpriorin auszubilden. Meine Wachen werden Euch bald zu diesem Ort geleiten.“
„Ich danke Euch, aber welchen Nutzen hat es hier in Hel, wenn ich Großpriorin bin“, stockte Nela. Ihre Gefühle waren das reinste Chaos. Freude, Trauer, Angst.
„Ein sehr guter Einwand“, bemerkte Hel. „Ihr müsst wissen, dass Lebewesen, die abrupt aus dem Leben gerissen werden, oft keinen Frieden finden, weil sie eine wichtige Angelegenheit nicht vollenden konnten. Euer Vater gehört zu ihnen. Wenn er Euch unterwiesen hat, wird er seinen Frieden finden können.“ Nela bemerkte die Sorge, die in Hels Stimme mitschwang. Verwundert sah sie die Herrscherin an.
„Ich habe den Ruf sowohl nachsichtig und liebenswert, als auch unerbittlich und grausam zu sein. Ich behandele jeden so, wie er es verdient. Euer Vater ist eine gute Seele und daher liegt mir sein Wohlergehen auch im Tode am Herzen. Mir ist durchaus bewusst, dass Ihr in meinem Reich ein Leben unter Mördern, Verbrechern und Frevlern führen müsst. Denkt niemals, dass ich Euch zu denen zähle. Solange Ihr meine Gesetze befolgt, wird Euch von mir keine Gefahr drohen. Allerdings werdet Ihr Euch den Lebensbedingungen in Hel anpassen müssen, ansonsten landet Ihr schneller auf der anderen Seite meines Reiches, als Euch lieb ist. Bevor Ihr geht, hört meine Warnung: Meine Urhunde bestrafen jeden Ungehorsam grausam. Jeder Fluchtversuch wird mit dem Tode bestraft. Jedoch solltet Ihr auch wissen, falls es doch jemanden gelingen sollte, was sehr unwahrscheinlich ist, mein Reich zu verlassen, gebe ich ihn frei, sobald er eine der anderen Welten betritt.“
Nela verbeugte sich, bevor sie von den Wachen zurück zum Palasteingang geführt wurde. Dort überließen sie Nela ihrem Schicksal. Tief atmete Nela durch, um das Zittern unter Kontrolle zu bringen. In Kürze würde sie ihre toten Eltern treffen. Einerseits tobte unbändige Freude in ihrem Herzen, aber andererseits fürchtete sie sich davor. Was würde sie erwarten? Konnte sie es ertragen, die Leichenblässe in den Gesichtern ihrer Eltern zu sehen?
Tragen Sie noch die Spuren der Todesursache? Sind Sie noch dieselben?
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