Nela Vanadis. Nina Lührs

Nela Vanadis - Nina Lührs


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Sie ist ihrem Ansu loyal.“

      „Genauso wie du“, bemerkte Balder achtungsvoll. „Es muss schwer für euch sein, zu zwei verschiedenen Sebjos zu gehören.“ Veit nickte betrübt. „Ich habe keine Wahl, denn ich muss wissen, wer dein Ansu ist und weshalb du Lunela entführtest.“

      „Ihr werdet nichts von mir erfahren!“, blieb Veit seinem Ansu treu.

      „Das ehrt dich, allerdings befürchte ich, ist dein Ansu ehrlos.“ Nun drückte Balder seinen Daumen auf die Arwa, Veit schrie vor Schmerz auf, wehrte sich instinktiv gegen den Asen. Balder reduzierte den Druck, bannte Veit mit seinem eindringlichen Blick. „Wer ist dein Ansu?“

      „Ich kann nicht“, stieß Veit aus, daraufhin verstärkte Balder wieder den Druck, ein schwaches rotes Leuchten ging von der Arwa aus.

      „Sag es mir, und der Schmerz verschwindet.“

      „Nein“, schrie er schmerzerfüllt auf.

      „Veit, gib nach. Du musst die Schmerzen nicht erdulden. Ich erfahre es ohnehin, wer dein Ansu ist. Nur wird es für dich ein qualvoller Weg sein.“

      „Ihr lügt. Wenn ich es nicht will, werdet Ihr es nie erfahren.“

      „Da täuscht du dich, Mensch!“, wusste Balder es besser und übte noch mehr Kraft auf seine Arwa aus. Augenblicklich schrie Veit auf.

      „Deine Arwa glüht, nicht wahr? Bald wird sie furchtbar brennen.“

      „Ich fürchte den Schmerz nicht!“, blieb Veit standhaft.

      Grob griff Balder nach seiner anderen Hand, drehte sie, damit die Pulsader nach oben zeigte, sogleich biss er zu, fortwährend lag sein Daumen auf der Arwa. Veit wimmerte, als Balder schmerzhaft von ihm trank. Nela zitterte am ganzen Körper, unschlüssig stand sie neben dem Geschehen. Sie wusste, sie konnte Balder nicht aufhalten, obwohl er Veit solche Schmerzen verursachte. Balder zog sich zurück. Wieder sah er ihm fast hypnotisierend in die Augen. „Zeig mir, wer dein Ansu ist?“, forderte Balder ihn mit einer sanften Stimme auf.

      „Nein!“, wehrte Veit sich noch immer, dessen Gesicht schmerzverzerrt war.

      „Wie du willst.“ Bedächtig legte Balder seine Hand auf die Bisswunde. Allmählich umschloss er das Handgelenk fester. Zuerst wimmerte Veit nur, doch schließlich brüllte er den unsagbaren Schmerz heraus.

      Unruhig verharrte Nela. Sie gab Balder ihr Wort sich nicht einzumischen, aber diese durch Schmerz hervorgerufenen Aufschreie konnte sie nicht ertragen. „Balder, bitte“, flüsterte sie, wissend, dass der Ase sie hören konnte.

      „Sag mir seinen Namen!“, befahl Balder kühl, ohne seine Tortur zu unterbrechen.

      „Nein!“

      Blitzartig versenkte Balder seine Fangzähne in die unsichtbare Arwa. Wieder hallte ein markerschütternder Schrei durch das enge Kellergewölbe.

      „Balder!“, entfuhr es Nela, „es muss einen anderen Weg geben!“ Im nächsten Moment stand sie neben dem Asen und versuchte, ihn von ihrem Entführer fortzuziehen. Balder glich in diesem Moment einem zentnerschweren Steinblock, der sich nicht einen Millimeter von der Stelle rührte. Erschöpft ließ sie sich neben ihn sinken, als Balder seine Fangzähne aus dem Handgelenk löste. Der Ohnmacht nahe lehnte Veit den Kopf gegen die Felswand, seine Atmung ging stoßweise und sein Gesicht nahm Züge der Erleichterung an.

      Langsam wie durch Zauberhand wurde die Arwa sichtbar. Die beiden schlichten Einstichlöcher, die Balder hinterlassen hatte, wurden von einem roten Fadengeflecht umwunden. Zu Nelas Bedauern konnte sie nicht erkennen, welche Arwa er trug und wer sie ihm verliehen hatte.

      „Nein! Nein!“, wiederholte Veit immer wieder dasselbe Wort. Er konnte es nicht glauben, dass sich seine Arwa ohne seinen Willen offenbarte.

      „Warum hat deine Ansa dir befohlen, Lunela Vanadis, die Schülerin meines Sohnes, zu entführen?“, fuhr Balder mit dem Verhör fort.

      „Sie teilte mir ihre Gründe nicht mit. Ich hinterfrage die Befehle meiner Ansa nicht“, blieb Veit stur.

      „Ansa?“, entfuhr es Nela verblüfft. Doch Balder konzentrierte sich weiter auf seine Befragung.

      „Wie lautet dein Befehl?“

      Veit rang mit sich, versuchte sich Balders Bann zu entziehen, doch der Ase war stärker, gewann dieses geistige Kräftemessen, nicht zuletzt, weil Balders Endorphine sich in Veits Blutbahn ausbreiteten und auf ihn einwirkten. „Verabreiche Lunela Dämmerschlaf, schaff sie ungesehen aus der Burg und warte mit ihr im Wald nordöstlich der Burg, bis ich sie hole. Sie darf dir nicht entkommen, und sie darf nicht sterben.“

      „Welche Burg?“

      „Glitlindi.“

      „War deine Ansa zu Gast dort?“

      „Ja.“

      Nelas Gedanken rasten. Gersimi und Syn waren zu Gast auf Glitlindi. Welche der beiden Frauen hatte einen Grund, sie zu entführen? Kälte lief ihr den Rücken hinunter. Wusste eine von ihnen von ihrer Liebe zu Jarick? Wollte sie Jarick erpressen?

      „Warum war sie zu Besuch?“

      „Das weiß ich nicht.“

      „Wer ist deine Ansa? Gersimi oder Syn?“, konnte Nela sich nicht länger zurückhalten.

      „Beantworte ihre Frage“, befahl Balder frostig. Veit sah mit glasigen Augen zu ihr. „Meine Ansa ist Gersimi Vanadis.“

      Nela fühlte sich zutiefst von ihrer Vorfahrin verraten. Zuerst zwang Freya ihr dieses verfluchte Alvarenbündnis auf und nun ließ Gersimi sie entführen. Noch nie hatte Nela solch eine Arglist erlebt. Angestrengt dachte sie an die kurzen Begegnungen mit Gersimi.

      „Hast du mir Dämmerschlaf während der Alvarenzeremonie in den Wein gegeben?“, wollte Nela nun wissen.

      „Ja.“

      „Warum?“

      „Meine Ansa wollte verhindern, dass Ihr das Bündnis eingeht. Sie hatte andere Pläne für Euch.“

      „Welche?“

      „An jenem Abend wollte sie Euch Euren gesetzlichen Vormund übergeben. Meine Ansa hielt es für eine äußerst gute Idee, wenn Ihr Euren Wächter Eike Ferdinand ehelicht, anstatt Alvarin zu werden. Der Plan missglückte, und nun war es nicht mehr möglich.“

      „Eike Ferdinand ist nicht mein Wächter!“, stieß Nela erbost aus.

      „Weißt du, warum deine Ansa solch großes Interesse an Lunela hat?“, hakte Balder nach. Denn Balder wusste, dass es Freya nicht erfreuen würde, wenn Gersimi sich ungefragt in die Belange der Göttin einmischte. Ging es um einen Machtkampf zwischen Mutter und Tochter?

      Veit zuckte mit den Schultern.

      „Gab es einen Namen für das Vorhaben?“

      „Ja.“

      „Wie lautet er?“

      „Das Spiel um Deurias Sebjo.“

      „Mit wem spielt deine Ansa? Wen will sie herausfordern?“, fragte Balder nach.

      „Das weiß ich nicht, aber ich vermute Forseti.“

      Nela glaubte, sich verhört zu haben. Das konnte doch nicht wahr sein. Gersimi benutzte sie als Spielfigur, um Jarick herauszufordern? „Warum?“

      „Meine Ansa spielt sehr gerne“, plauderte Veit mittlerweile geradezu mitteilungsbedürftig, obwohl Balder keinen Schmerz mehr auf ihn ausübte.

      Balder lachte auf. „Gersimi ist eine Meisterin der Ränke. Jedoch hat sie sich nun den falschen Gegner ausgewählt.“

      Heikle Hindernisse

      Graue Regenwolken bedeckten den Himmel, als Jarick und seine Gefährten in Asenheim eintrafen. Galoppierend ritten sie durch die verwaisten Straßen. Orangefarbenes Licht schimmerte durch die unzähligen


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