Nela Vanadis. Nina Lührs

Nela Vanadis - Nina Lührs


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Schatten huschte über ihr Gesicht, bevor sie Jarick ein freundliches Lächeln schenkte. „Jarick“, sprach sie ihn vertraut an, „ich hörte von Lunelas Verschwinden. Ich möchte dir bei der Suche helfen.“

      „Möchtet Ihr das“, zweifelte Jarick kühl. Denn Gersimi tat nichts ohne Grund, ohne eine Gegenleistung. Was versprach sie sich davon?

      „Ja“, blickte sie sich im Lager um. „Sie müssen überstürzt aufgebrochen sein.“

      „So scheint es. Nur weshalb?“, betrachtete Jarick die Vanin wachsam.

      „Vermutlich hat dieser Nichtsnutz dich gespürt“, mutmaßte Gersimi.

      Jarick runzelte seine Stirn. „Wer?“

      „Till, natürlich!“, entfuhr es ihr erbost. „Von Anfang an macht er nur Ärger. Jetzt wagt er es auch noch, dich zu schmähen, indem er dir deine Schülerin vorenthält.“

      „Wieso sollte Till meine Schülerin entführen?“, entfuhr es Jarick ungehalten.

      „Entführung? Das glaubst du? Jarick, öffne deine Augen. Die beiden sind durchgebrannt.“

      „Durchgebrannt?“ Irritiert sah Jarick zu der Vanin.

      „Jeder weiß es, nur der Meister nicht“, entfuhr es ihr belustigt. „Die Liebe zwischen Lunela und Till ist ein beliebtes Gesprächsthema auf Glitlindi.“

      „Nein. Lunela weiß, dass sie über solche Angelegenheiten mit mir sprechen kann. Sie ist nicht durchgebrannt.“

      „Jarick, ich verstehe, dass du nicht einsehen möchtest, dass du zum Narren gehalten wurdest. Aber Till weilte nicht mehr auf der Burg, als ich dort eintraf. Gewiss hat er sie dazu überredet, ihr eingeredet, es gäbe keine andere Möglichkeit.“ Ihm entging nicht, dass Gersimi sich immer wieder verstohlen umsah.

      „Erwartet Ihr jemanden?“, forschte Jarick nach.

      Zwar lächelte Gersimi, aber Jarick spürte einen Hauch Unsicherheit. „Nein, Till wird nicht so dumm sein, hierher mit ihr zurückzukehren, wenn wir hier sind.“

      „Ihr solltet zur Burg zurückkehren“, forderte Jarick kühl.

      „Gewiss“, stimmte Gersimi ihm ohne Widerworte zu, sogleich wendete sie ihr Pferd. Argwöhnisch sah Jarick ihr hinterher, verharrte, wartete, bis die Vanin hinter den mächtigen Laubbäumen verschwand.

      ‚Tristan, sammle hier alles ein und bringe es zur Burg‘, wies Jarick ihn an. Noch befand die Vanin sich in Hörweite.

      ‚Was hast du vor?‘

      ‚Ich folge Gersimi.‘

      ‚Weshalb?‘, fragte Tristan seinen Meister mental.

      ‚Ihr Verhalten war sonderbar.‘

      Als Gersimi außer Reichweite war, konzentrierte Jarick sich, nutzte seine angeborenen Fähigkeiten, um seine lysanische Identität zu verbergen. Zurück blieb die Aura eines Menschen.

      „Was?“, stieß Tristan überrascht aus, als er die Veränderung seines Meisters wahrnahm. Kein Ase, kein Vane und kein Drauger konnten die Aura eines Menschen annehmen. Doch Jarick gelang es. Wie war das möglich?

      „Ich bin besonders, Tristan. Du bist mein Schüler und mein Freund. Ich vertraue dir“, forderte Jarick das Versprechen seines Schülers ein.

      „Natürlich!“

      „So kann ich Gersimi unbemerkt folgen. Sie wird mich nicht weiter beachten.“

      „Sobald ich in der Burg bin, werde ich Nelas Kemenate nach Spuren durchsuchen.“ Jarick stimmte dem Vorhaben seines Schülers zu, bevor er sich auf Samru schwang.

      Mit genügend Abstand folgte er der Vanin, die weiter Richtung Nordosten ritt anstatt zur Burg. Immer wieder führte sie ihr Pferd weiter in den Wald hinein, kehrte um und suchte erneut an einer anderen Stelle. Es war offensichtlich, dass sie die Umgebung nach Nela und Till durchkämmte. Jedoch wusste Jarick, dass sie weder Nela noch Till, der sich mit Bado im Dorf aufhielt, finden würde. Was versprach Gersimi sich? Warum suchte sie nach Nela? Denn Jarick kaufte ihr die Sorge um ihre Verwandte nicht ab. Gersimi besaß kein Mitgefühl, sie war durch und durch eine Egoistin. Sie sorgte sich nur um ihr eignes Wohl und scherrte sich nicht um das Schicksal anderer, ausgenommen es brachte ihr einen Vorteil ein.

      Plötzlich änderte sie die Richtung, kam direkt auf ihn zu. Schnell trieb Jarick Samru tiefer in den Wald hinein. Natürlich registrierte sie ihn nicht, obwohl sie wissen musste, dass sich ein Mensch in ihrer Nähe befand und zufällig dieselben Wege einschlug. Jarick hätte diese Person längst gestellt, um zu erfahren, warum diese ihm folgte. Doch Gersimi war keine Kriegerin, besaß nicht den Instinkt, dass selbst ein einfacher Mensch sie ausspionieren könnte.

      Als Gersimi ihn passiert hatte, nahm er die Verfolgung wieder auf. Es wunderte ihn nicht, dass sie zum Lager zurückkehrte, das mittlerweile nur noch aus den Überresten des Lagerfeuers bestand.

      „Verdammt!“, hörte Jarick die Vanin fluchen. „Wohin sind sie?“

      Im halsbrecherischen Galopp schlug sie den Weg zur Burg ein. Während Gersimi die Festung durch das große Tor betrat, gelangte Jarick durch einen Geheimgang ins Innere. Fortwährend menschlich getarnt, beobachtete und belauschte er die Vanin aus einer dunklen Nische.

      „Ansa“, sprach der Hausmeier Walter Meinhold die Vanin respektvoll an, „Ihr ...“

      „Ist der Burgherr schon zurückgekehrt?“, unterbrach sie ihn barsch.

      Walter stutzte überrascht, denn er kannte Gersimis herrische, unhöfliche Seite nicht. „Nein. Mein Ansu kümmert sich um Alvarenangelegenheiten.“

      „Ist Till Vegard zurückgekehrt?“

      „Ja, zusammen mit Bado Behrens von den Berserkern.“

      „Wo ist er?“, forderte Gersimi ungehalten.

      „In der Halle“, ließ Meinhold sie wissen. Unhöflich ließ sie ihn stehen und betrat das Gemäuer.

      Jarick ließ seine Tarnung fallen und begab sich zu Nelas Kemenate, in der Tristan sich mit Hedda unterhielt. Die Magd wirkte mitgenommen.

      „Gibt es einen Hinweis?“

      „Nein“, antwortete Tristan niedergeschlagen. „Hedda war schon bewusstlos, als Nela entführt wurde.“

      „Es tut mir so leid“, weinte Hedda demütig.

      „Dich trifft keine Schuld, Hedda“, beruhigte er die Magd. Jarick wusste, dass Nela es ihm nicht verzeihen würde, wenn er ihre Magd für etwas verantwortlich machte, wofür sie nichts konnte.

      Jarick sah sich in der Kemenate um. Der Frühstückstisch war nicht angerührt worden, alles befand sich noch an dem Platz, als Nela entführt wurde. Ihr Bogen lag auf der Waffentruhe anstatt in ihr. Der Kleiderschrank war geöffnet, Gewänder fehlten, die sich nun in der Truhe befanden, die Tristan aus dem Wald mitgebracht und neben die Tür gestellt hatte. Nelas geliebte Ledertasche mit dem Schwanenmuster lag auf ihrem Bett. Nachdenklich zeichnete er mit seiner Hand das Muster nach. Diese Tasche bedeutete ihr so viel. Nirgends ging sie ohne sie hin. Jetzt hatte sie nichts bei sich, bis auf die Gewandung, die sie an ihrem Leib trug.

      „Welche Gewandung trug Nela diesen Morgen?“, fragte Jarick besorgt.

      „Ihr Alvarengewand“, antwortete Hedda.

      Verwundert wandte er sich der Magd zu. „Weshalb?“

      Hedda zuckte mit den Schultern. „Fräulein Nela trägt gerne Hosen. Vielleicht entschied sie sich an diesem Morgen deshalb gegen ein Kleid.“

      „Tristan, pack Nelas Gewänder ein. Wir brechen in einer Stunde nach Asenheim auf“, wies Jarick ihn an. Er griff nach Nelas Tasche, bevor er die Kemenate verließ.

      Auf dem Gang zu seinem Gemach traf er auf Till, Bado und Gersimi. „Sag, dass du sie gefunden hast!“, entfuhr es Till besorgt.

      „Nein.“


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