Nela Vanadis. Nina Lührs

Nela Vanadis - Nina Lührs


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als ihr Kopf aus dem Gebüsch herausragte, „ich habe etwas Tolles entdeckt! Komm mit! Das musst du sehen.“ Nela zögerte. „Der Weißdorn wird dir nichts tun. Nimm meine Hand!“

      Nela kniete sich hin, ergriff Emmas Hand und folgte ihr. Es erstaunte Nela, dass der Zugang groß genug war, dass sie sicher durch die Dornen gelangten.

      Es war umständlich, beim Krabbeln Emmas Hand zu halten, deshalb wollte Nela sie lösen, doch ihre Freundin ließ es nicht zu. „Wir haben es gleich geschafft!“

      „Emma, lass los!“, wehrte Nela sich gegen den festen Griff, vermied es, zu nah an die stacheligen Zweige zu gelangen. Doch Emma hielt dagegen und beförderte damit ihre Hand gegen die Dornen. „Au!“, schrie Nela, als ein Dorn sie stach. Der Stich an ihrem Finger blutete, als sie sich ihre Hand ansah.

      „Emma, was sollte das?“ Vorwurfsvoll sah sie ihre Freundin an.

      „Nur ein kleiner Pikser. Das ist nicht schlimm!“, rechtfertigte Emma sich. „Komm!“

      Das Piksen an ihrem Finger war vergessen, als sie sah, was sich im Innern des Weißdornenbusches verbarg: eine verzauberte Weißdornhöhle. Die Zweige und Blätter ließen nur sehr wenig Licht hindurch, tauchten die Laube in ein märchenhaftes Schimmern. Am Boden wuchsen verschiedene Moose und Pilze. Erstaunt betrachtete Nela die leuchtenden Pilze. Dieser zauberhafte Platz schien direkt aus einem Märchen zu entspringen. „Feen“, hauchte sie ehrfürchtig, „hier müssen Feen leben.“

      „Nicht Feen“, korrigierte Emma, „Elfen.“

      In einem Kreis angeordnet, lagen Findlinge, genau die richtige Größe, um sich darauf zu setzen. Nela zählte sie. „Zehn!“, rief sie begeistert. „Zehn Plätze!“

      „Nela, Emma! Wo seid ihr?“, rief Olf nach ihnen.

      „Olf findet uns nicht“, flüsterte Nela begeistert.

      „Wir sind hier! Hinter dem Weißdorn!“, antwortete Emma laut.

      „Emma, nicht“, war Nela enttäuscht.

      Verwundert sah Nela ihre Freundin an, als ihre Freunde weiter nach ihnen riefen, aber nicht auf Emmas Ruf reagierten.

      „Warte hier!“ Emma kroch durch den Ausgang.

      „Da bist du ja. Wo ist Nela?“, hörte sie die anderen sagen.

      „In unserer Elfenhöhle“, antwortete Emma. „Doch ihr könnt nur hinein, wenn ich euch führe.“

      „Was soll denn der Quatsch, Emma“, erwiderte Malvin.

      „Versuche es nur ohne mich, Malvin. Der Weißdorn wird dich nicht hindurchlassen“, forderte Emma ihn heraus.

      „Malvin, spiel mit. Das wird bestimmt Spaß machen“, überredete Olf seinen besten Freund.

      „Gut! Dann spielen wir jetzt das blöde Mädchenspiel“, gab Malvin nach und ergriff Emmas Hand.

      Kurz darauf erschien Emma mit Malvin. „Ich habe mich gestochen“, stieß er verärgert aus, als er die Laube betrat. Auch er vergaß seine kleine Wunde, als er sich staunend umsah.

      „Ist das nicht unglaublich?“, fragte Nela ihren Cousin begeistert. Malvin konnte nur zustimmend nicken.

      Nach und nach brachte Emma all ihre Freunde in die Weißdornlaube.

      „Das wird unser geheimes Versteck“, schlug Bjarne euphorisch vor. „Niemand wird uns hier finden!“

      „Es gibt zehn Steine, also zehn Sitzplätze“, bemerkte Nela.

      „Wir sollten das Schicksal entscheiden lassen, wer welchen Platz bekommt“, schlug Meitje vor.

      „Und wie?“, fragte Ole.

      „Jeder stellt sich in die Mitte, schließt die Augen und dreht sich mehrmals im Kreis. Vor welchem Stein du stehen bleibst, das ist dann deiner“, erklärte Rena.

      „Das wird nicht klappen“, gab Malvin zu bedenken. „Was ist, wenn wir alle auf denselben Stein zeigen?“

      „Lass es uns versuchen“, ignorierte Alva den Einwand. Sie stellte sich in den Mittelpunkt des Steinkreises, senkte ihre Lider und drehte sich schnell um sich selbst. Als sie stehen blieb, öffnete sie die Augen und ging mit einem Lächeln zu ihrem Stein. „Der Nächste“, forderte sie ihre Freunde auf. Nach und nach fanden alle ihren Platz. Zu Nelas Erstaunen zeigte nicht einer der Freunde auf denselben Findling. So ganz wollte Nela nicht daran glauben, dass wirklich das Schicksal ihre Sitzplätze aussuchte. Nachdenklich schaute sie in die Runde, begann zu ihrer Linken: Olf, Emma, Leon, Rena, Ole, Meitje, Malvin, Alva und Bjarne.

      „Wir sind alle Freunde, haben ein geheimes Versteck, dann brauchen wir auch einen Namen für unseren Kreis“, meinte Olf.

      „Wie wäre es mit: Die weißen Dornen?“, schlug Emma vor.

      Alle stimmten begeistert zu.

      „Dann brauchen wir auch einen Schwur“, gab Olf zu bedenken.

      „Alle Dornen für eine und eine für alle“, sprudelte es aus Nela heraus.

      „Ach nö. Wir sind doch keine Musketiere“, fand Ole den Vorschlag nicht gut. „Wir brauchen einen Schwur, der diesem Ort würdig ist.“ Eine nachdenkliche Stille senkte sich über die zehn Freunde.

      „Wir sind die weißen Dornen, das bewirkten die Nornen.

      Wir halten diesen Ort geheim, denn es ist unser Heim.

      Wir sind eins, deshalb schützen wir uns.

      Niemand kann uns entzweien, solange wir in den neun Welten verweilen“, trug Leon seinen Schwur vor.

      „Das ist gut“, entfuhr es Bjarne begeistert.

      „Neun Welten? Wie kommst du denn darauf? Es gibt nur eine Welt“, runzelte Nela ihre Stirn.

      Er zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung! Es klingt gut.“

      „Warum nicht zehn? Wir sind zehn“, wollte Malvin wissen.

      „Es gibt keine zehn Welten“, sagte Ole kopfschüttelnd.

      „Es gibt auch keine neun“, hielt Malvin dagegen.

      „Aber in der Welt der Elfen, Riesen, Zwerge, Hexen, Wölfe und Naturgeister gibt es sie“, erklärte Emma. „Dies ist unsere Elfenwelt.“

      Nela sah sich um. Dieser Ort stammte wirklich aus einer anderen Welt. Er war einfach zu fantastisch.

      „Lasst uns schwören“, sprang Olf von seinem Platz auf. Alle begaben sich in die Mitte, griffen mit der rechten Hand nach dem rechten Handgelenk des linken Nachbarn und mit der linken Hand das linke Handgelenk des rechten Nachbarn, sodass ein verknüpftes Band entstand. Gemeinsam sprachen sie feierlich den Schwur. Eine leichte Brise erfüllte die Weißdornhöhle, es wurde ganz still und für einen kurzen Moment stockdunkel, als sie ihren Eid beendeten.

      ***

      Fünfzehn Jahre später.

      Das Zwielicht der untergehenden Herbstsonne tauchte den Laubwald in einen magischen Orangeton. Leise raschelten die farbenfrohen Blätter im seichten Wind, fielen vereinzelnd auf den grün-gelblichen Farn. Sechs Gestalten näherten sich wachsam einem Weißdorngebüsch. Immer wieder sahen sie sich um, vergewisserten sich, dass niemand sah, wie sie in die Weißdornhöhle verschwanden.

      Im Schatten des Weißdorns verbarg sich eine junge Frau, deren schwarzes Haar und Kleidung sie gänzlich unsichtbar machte. Sie verharrte, traute sich noch nicht, ihren Platz einzunehmen.

      Olf kam zielstrebig aus dem Dornengebüsch und setzte sich auf seinen Platz, dessen Nachbarsteine an diesem Abend verwaist bleiben würden. Weder Nela noch Emma befanden sich derzeit in Midgard.

      „Alva“, bat er die Dunkelalbin sich auf ihren Platz zu begeben. Geschmeidig ließ sie sich auf ihren Stein nieder.

      „Warum hast du uns gerufen?“, fragte


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