Nela Vanadis. Nina Lührs

Nela Vanadis - Nina Lührs


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werde mit den Wachen sprechen. Wehe dem, der Nela mit ihrem Entführer entkommen ließ“, entfuhr es Tristan wütend, bereits aus der Tür hinaus, bevor Jarick sich aus seiner Starre befreien konnte. Er fasste es nicht, dass Nela in kürzester Zeit zweimal entführt wurde. Sie war doch für alle nur seine Schülerin. Was bei Hel, brachte die Nornen dazu, ihr solches Leid widerfahren zu lassen?

      „Wer hatte Wache am Tor?“, verlangte Jarick zu wissen, als er ins Quartier der Wachen trat. Tristan redete bereits auf den Obermeister ein.

      „Ansu“, verneigte sich der Obermeister, „dieselben, die auch jetzt am Tor sind.“

      Jarick trat vor die Tür, sah zum Tor und beobachtete die Wachhabenden. Gerade überprüften sie eine Magd, die einen Korb mit Gemüse bei sich trug. Sie schäkerten mit ihr. Unbemerkt kam ein Knecht herein. Jarick biss die Zähne zusammen. Er konnte nicht fassen, dass seine Anordnung so sträflich missachtet wurde.

      „Das glaube ich jetzt nicht“, entfuhr es Tristan und marschierte wütend auf die Wachhabenden zu. Auch seinem Schüler war es nicht entgangen, dass die menschlichen Huscarls ihre Arbeit unzureichend nachgingen.

      „Huscarl“, rief Jarick dem Obermeister seiner Burg Glitlindi zu, „ersetzt die Wachhabenden durch gehorsame Huscarls.“ Jarick wartete die Bestätigung des Obermeisters nicht ab, sondern ging schnellen Schrittes zum Tor, wo Tristan bereits die Huscarls vorwurfsvoll auf ihre Unachtsamkeit aufmerksam machte.

      „Kümmert Euch um Eure Angelegenheiten, Alvare“, blaffte ihn einer der Wachhabenden an.

      „Ihr missachtet den Befehl Eures Ansus“, entfuhr es Tristan erzürnt.

      „Wirklich? Wir überprüfen diese Magd doch mit viel Sorgfalt“, lachte der zweite Wachhabende anzüglich.

      „Außerdem“, fügte der andere noch hinzu, „passiert hier doch nichts. Es ist der langweiligste Ort in ganz Asgard.“

      „Ist dem so?“, hakte Jarick kalt nach.

      Erschrocken wandten sich die beiden menschlichen Huscarls zu ihrem Herrn um. „Ansu“, sprachen sie ihn unisono ehrfürchtig an, während sie eine Verbeugung andeuteten.

      „Ihr missachtet meinen Befehl, und dazu habt Ihr nichts Besseres zu tun, als diese Magd zu belästigen. Ihr seid unwürdig, noch länger Lidam meiner Sebjo zu sein.“

      „Ansu, es ist doch nichts geschehen“, versuchte sich der Kleinere herauszuwinden.

      „Unter Euren Augen wurde meine Schülerin entführt. Wie konnte das geschehen? Wenn Ihr Eure Aufgabe gewissenhaft erledigt hättet, wäre das nicht passiert.“

      Furchtsam, was ihnen nun bevorstand, gaben sie sich schuldbewusst, doch Jarick konnte es ihnen ansehen, dass sie sich keiner Schuld bewusst waren.

      „Hat jemand eine bewusstlose Frau aus diesem Tor hinausgetragen?“

      „Nein, Ansu.“

      „Wurde eine große Truhe, in die ein Mensch passen würde, an diesem Morgen aus der Burg gebracht?“

      „Ja, Ansu. Vor nicht all zu langer Zeit passierte ein Händler das Tor.“

      „Warum habt ihr die Kiste nicht durchsucht?“

      „Es gab keinen Grund, den Tand des Händlers zu durchwühlen.“

      „Wie lautete mein Befehl?“, presste Jarick die Worte wütend heraus.

      „Jeden und alles zu überprüfen, Ansu“, wiederholten die Wachhabenden seine Anordnung.

      „Obermeister, sperrt diese beiden in den Kerker. Ich befasse mich mit ihnen, wenn ich zurück bin.“

      „Tristan, hol unsere Pferde“, befahl Jarick kühl.

      „Was ist geschehen?“, wollte der Hausmeier wissen, der auf Jarick zu gelaufen kam, als der Obermeister die beiden Befehlsbrecher zum Kerker führte. Beide baten inständig um Gnade, doch Jarick fand für sie momentan kein Gehör. Er musste sich zügeln, um sie nicht auf der Stelle zu bestrafen. Zuerst musste er Nela finden.

      „Meine Schülerin wurde entführt. Gnaden dem Entführer die Nornen, wenn ich ihn finde“, stieß Jarick viel zu zornig hervor. „Die Magd Hedda liegt bewusstlos in der Kemenate meiner Schülerin. Bringt sie zu einem Heiler.“

      „Natürlich, Ansu.“ Augenblicklich befolgte er der Anweisung.

      In vollem Galopp preschten Jarick und Tristan den Weg gen Norden. Es war unwahrscheinlich, dass dieser vermeintliche Händler in südlicher Richtung unterwegs war, denn sonst wäre er das Risiko eingegangen, ihn zu treffen.

      „Ich denke, dass er sich im Schutze des Waldes hält“, erwog Tristan.

      „Ja. Ihm muss bewusst sein, dass wir Nelas Verschwinden schnell bemerken“, stimmte Jarick seinem Schüler zu.

      Jarick richtete seine Sinne auf die nähere Umgebung, weitete den Radius aus, als er seine Nela nicht spürte. Schließlich gewahrte er einen Hauch ihrer Aura. „Hier entlang“, befahl Jarick und lenkte Samru in den Wald nordöstlicher Richtung.

      ‚Jarick, es ist schon wieder passiert‘, erklang Nelas furchtsame Stimme in seinem Kopf. ‚Im Apfelsaft war ein Schlaftrunk und ein Mann, ein Mensch entführte mich.‘ Erleichterung durchflutete Jarick. Nela war wach und nicht mehr weit entfernt.

      ‚Wo bist du?‘, wollte Jarick sofort wissen. Es würde die Suche erheblich erleichtern, wenn er ihren genauen Standort kannte.

      ‚In der Wildnis. Ich fliehe be...‘

      Entsetzt brachte Jarick Samru zum Stehen und starrte fassungslos auf seine Hand. Die unsichtbaren Schnüre dehnten sich, das allgegenwärtige Kribbeln wandelte sich in ein taubes Gefühl. Nela befand sich plötzlich nicht mehr in Asgard. Wie war das möglich? Es gab hier kein Schicksalstor.

      „Was ist?“, verlangte Tristan zu wissen, während er sein Pferd wendete und besorgt auf ihn zuritt.

      „Nela hat Asgard verlassen. Aber es ist nicht möglich. Nicht hier. Nicht in Glitlindi.“

      „Lass uns den Ort finden und dort nach Spuren suchen“, behielt Tristan einen kühlen Kopf, während Jarick gegen seine Emotionen kämpfte. Er durfte sich nicht von seinen ohnmächtigen Gefühlen leiten lassen, durfte sein lysanisches Ich nicht die Kontrolle überlassen, denn er musste einen kühlen Kopf bewahren. Nur so würde er Nela finden.

      Die hungrigen Urhunde

      Nela stand am Fenster, möglichst weit entfernt von ihrem Entführer. Am liebsten würde sie auch die Wahrheit aus ihm herausprügeln, aber das ließ ihr Gewissen nicht zu. Aber wie konnte sie ihn zum Sprechen bringen?

      Ihr Schädelbrummen kehrte zurück, erschwerte ihr das Denken. Während sie ihre Schläfen massierte, schloss sie ihre Augen, konzentrierte sich auf den angenehmen Druck, den ihre Finger ihr bescherten. Schließlich ließ sie die Hände fahren, öffnete die Augen und seufzte erleichtert. Anstatt sich eine Strategie für das Verhör zu überlegen, wanderten ihre Gedanken fortwährend zu Jarick. Nicht zuletzt, weil das taube Gefühl an ihrer Hand sie wissen ließ, dass Jarick und sie nicht in derselben Welt verweilten. Schnellstmöglich musste sie einen Weg hinaus aus Hel finden. Groll gegen ihren Entführer wallte in ihr auf. Nur seinetwegen befand sie sich in der Unterwelt, war getrennt von Jarick und Tristan.

      Im Augenwinkel bemerkte Nela eine Bewegung; lenkte sie von ihrer Wut ab. In den zerklüfteten Felsen tappte einer der Urhunde. Wachsam verfolgte Nela seinen Weg, der zielstrebig auf die Wohnhöhle zuhielt. Als er inmitten der Verletzten und Toten stehen blieb, hob er seinen Kopf. Sein Blick war direkt auf Nela gerichtet, ein warnendes Knurren drang aus seiner Kehle. Eine unmissverständliche Drohung, die Nela das Blut in den Adern gefrieren ließ.

      Langsam kamen weitere Urhunde hinzu, gesellten sich zu dem Ersten und wiederholten das beunruhigende Gebaren. Das Knurren schwoll an, hallte durch die Unterwelt, verdrängte jedes andere Geräusch, schwoll ohrenbetäubend laut an. Abrupt brach das Knurren


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