Nela Vanadis. Nina Lührs

Nela Vanadis - Nina Lührs


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„Und daran ist deine Sebjo schuld!“ Mit tiefschwarzen Augen funkelte die Dunkelalbin Leon hasserfüllt an.

      „Malvin hat uns verlassen“, mischte Olf sich beschwichtigend ein. Nie hätte er gedacht, dass ihm einmal die Rolle des Schlichters zukommen würde. „Wir alle trauern um ihn, auch Leon. Du kannst ihn nicht für die Taten anderer verantwortlich machen.“ Eingehend betrachtete Olf die Dunkelalbin. Bevor Malvin ermordet wurde, trug sie farbenfrohe Kleidung, besaß eine unbändige Lebensfreude, doch nun glich sie einem ernsten Schatten.

      Leon räusperte sich. „Mein Orden ist unschuldig, was das Massaker der Familie Vanadis betrifft. Eine Gruppe Abtrünniger hat sich einem gewissen A.F. angeschlossen. Mein Vater sucht nach ihm, denn er will ihn zur Rechenschaft ziehen, weil er im Namen der Birger mordete.“

      „Warum hast du Nela nicht eingeladen? Sie gehört zu uns“, ergriff Rena das Wort. Die blonde Dise sah den Wolfsmann eindringlich an.

      „Um ehrlich zu sein, ich wusste nicht, wie. Sie lebt jetzt in Asgard.“

      „Asgard!? Sie wurde also nach dem Massaker eingeweiht“, stellte Bjarne fest.

      „Ja, das wurde sie. Soweit ich weiß, wurde sie von ihrem Schicksalswächter Tristan Paladin gerettet und auch von ihm über die eingeweihte Welt aufgeklärt“, ließ Olf die anderen wissen.

      „Weiß sie auch, wer wir sind? Weiß sie, dass sie eine Lidam einer sehr besonderen Sebjo ist?“, wollte Meitje wissen.

      „Nein, ich denke nicht“, gab Olf widerwillig zu. „Ich konnte es ihr nicht sagen, als ich sie in Bremen traf. Sie floh vor Elhazen.“

      „Vor ihren eigenen Leuten?“, entfuhr es Ole fassungslos.

      „Ich habe euch um dieses Treffen gebeten, weil ein Mitglied unserer Sebjo in Gefahr schwebt: Nela. Dieser A.F. ist noch nicht gefasst. Er wird weiterhin versuchen, Nela zu töten. Zudem hat Nela Probleme in ihrem eigenen Orden. Ihr wisst alle, dass sie die rechtmäßige Großpriorin der Walküren und Walkür ist. Doch dieses Amt bekleidet dieser Ansgar Ferdinand. Übrigens, sein Sohn verfolgte Nela in Bremen. Er ist ein sehr unangenehmer Zeitgenosse. Zu gerne hätte ich ihm die Kehle herausgerissen.

      Vor Jahren brachen wir unseren Eid, als wir nichts unternehmen konnten, um Emma vor der Verbannung zu bewahren. Wir dürfen unsere Sebjo nicht wieder verraten. Wir müssen Nela helfen.“

      Eine nachdenkliche Stille senkte sich über die Freunde. Leise flüsterten sie die Worte ihres Schwurs, den sie sich als Kinder gaben. Eine leichte Brise wirbelte bunte Weißdornblätter auf.

      „Wen hat sie an ihrer Seite?“, fragte Bjarne.

      „Ihren Schicksalswächter Tristan Paladin, den Drauger Till Vegard und einen Asen namens Jarick Richter.“

      „Der fehlende Orden“, murmelte Rena ehrfürchtig.

      „Niemand kann Malvin ersetzen“, entfuhr es Alva ungehalten.

      „Das wird auch niemand“, versetzte Olf ruhig.

      „Wer geht nach Asgard?“, wollte Meitje wissen.

      „Immer die Person, die so ...“

      „Ole, bitte! Dies ist ein ernstes Gespräch“, wies Meitje den Jötunn zurecht.

      „Olf, du solltest gehen“, schlug Leon vor.

      „Ich bin ein Wolfsmann! Ich werde niemals zu Nela vorgelassen.“

      „Vielleicht sprichst du zuerst mit Tristan Paladins Familie. Möglicherweise können sie Kontakt zu ihm und Nela aufnehmen“, erwog Rena eine Möglichkeit.

      „Wir anderen werden uns umhören. Irgendjemand muss etwas über diesen A.F. wissen. In vier Wochen treffen wir uns wieder“, beschloss Bjarne, bevor er sich von seinem Platz erhob.

      Alle anderen taten es ihm gleich. Im Chor verabschiedeten sie sich, wie sie es an diesem Ort immer getan hatten: „Wir sind die weißen Dornen, dass bewirkten die Nornen. Wir halten diesen Ort geheim, denn es ist unser Heim. Wir sind eins, deshalb schützen wir uns. Niemand kann uns entzweien, solange wir in den neun Welten verweilen.“

      Auf der Suche

      Wie vom Erdboden verschluckt, dachte Jarick, als er sich abermals das Lager ansah. Der alte Gaul war noch vor dem maroden Karren gespannt. Die Truhe, in der der Entführer Nela versteckt hatte, stand direkt daneben. Nelas Kleidungsstücke lagen verstreut um und über der Holzkiste. Neben dem mittlerweile erloschenen Lagerfeuer lag eine Leinendecke. Jarick kniete sich daneben, nahm das Tuch, dabei stieg Nelas schwacher Geruch in seine Nase. Jedoch mischte sich ihr unverwechselbarer Vergissmeinnichtduft mit dem Dunst der Angst. Wütend umschloss er das Stück Leinen mit seiner Hand. Der Entführer würde dafür büßen.

      Sie konnte fliehen, nur wohin? Jarick folgte die immer schwächer werdende Fährte, die seine Minamia hinterlassen hatte und sich mit der des Entführers, eines Menschen, überlagerte. Natürlich war er seinem Opfer hinterhergeeilt. Doch die Fährte brach plötzlich hinter dem Gesträuch vor einem großen Felsen ab. Es gab keine Spur, keine Fährte, keinen Hinweis, wohin sie verschwunden waren. Hier musste sich ein natürliches Schicksalstor befinden, denn Nela befand sich nicht mehr in Asgard. Nur wo? Wo versteckte sich dieses verfluchte Tor?

      Akribisch betrachtete der Lysane den Felsen, suchte nach einer Spalte, die ein geheimes, unentdecktes Schicksalstor bilden könnte. Doch die Spalten im Felsen waren zu schmal, als dass ein Mensch hindurchpasste. Nichts. Kein Durchgang und keine Energie der Fäden, die einen Reisenden von einer Welt zur anderen zogen. Zu seinem Ärger hatte er sich nicht eingehend mit diesen verborgenen Toren beschäftigt. Er wusste nur, dass es sie gab. Das war in diesem Moment nicht sehr hilfreich. „Verflucht!“, machte er seiner Angst um Nela Luft, indem er mit der Faust auf den Stein schlug. Durch die Wucht seines Schlages lösten sich kleine Brocken und wirbelten durch die Luft.

      „Sie lebt“, versicherte Tristan. „Ich weiß, dass sie lebt. Das Schicksalsband verrät es mir.“

      „Ja, sie lebt.“ Auch Jarick spürte, dass seine Minamia am Leben war. Das Band zwischen ihnen wurde nicht durchtrennt, wie es geschah, wenn jemand starb, der seine lebenslange Arwa trug. Das war ein sehr gutes Zeichen, bewahrte ihn davor, dem Rachedurst zu erliegen. Auch sein lysanisches Ich wusste, dass er Ruhe bewahren musste, um seine Nela zu finden. Solange sie lebte, würde er nach ihr suchen. Das hatte oberste Priorität. Falls sie jedoch starb, bei dem Gedanken wurde ihm schwer ums Herz, würde er seine ganzen Bemühungen darauf verwenden, ihre Mörder zu finden und sie qualvoll zur Strecke zu bringen. Konsterniert kehrten Tristan und Jarick zum Lager zurück.

      „Hier werden wir keine Antworten finden. Vielleicht gibt es einen Hinweis in ihrer Kemenate. Etwas, das wir vorhin in der Eile übersahen“, sah Tristan sich bedauernd um.

      „Möglich. Allerdings können wir nur von einer Person erfahren, in welche Welt Nela verschwunden ist“, wusste Jarick.

      „Wer könnte das wissen?“

      „Heimdal. Er ist der Herr der Schicksaltore. Er weiß alles über sie. Er erfährt wann und wo jemand durch ein Tor geht und auch wohin.“

      „Also werden wir nach Asenheim aufbrechen, sobald wir ihre Kemenate untersucht haben.“ Sein Meister nickte nur zustimmend. „Wer könnte Nela entführen wollen?“

      „Armin Falk, Ansgar Ferdinand, Theo Frankus?“, nannte Jarick die Namen, die ihm spontan einfielen.

      „Was ist mit Runas Familie?“

      „Unwahrscheinlich. Aber trotzdem denkbar.“ Jarick stockte und drehte sich um. Jemand näherte sich. Rasch erkannte er die Aura. Gersimi! Was hatte sie hier verloren?

      ‚Kein Wort‘, wies Jarick seinen Schüler mental an.

      Beunruhigt schaute dieser seinen Meister an. ‚Wer kommt?‘

      ‚Gersimi‘, stieß Jarick gereizt aus. Wenn sie auf der Suche nach ihm war, um sich für ihr Benehmen zu entschuldigen oder um ihn mit ihren Schmeicheleien gütig zu stimmen,


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