Nela Vanadis. Nina Lührs

Nela Vanadis - Nina Lührs


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muss Nela sich ausruhen, und zwar eine ganze Weile. Sorry, Nela, aber du siehst furchtbar aus“, beharrte Emma. Nur ansatzweise konnte Nela sich vorstellen, wie desolat ihr Erscheinungsbild sein musste. Unweigerlich griff sie an ihre Schläfe, spürte dort den rauen Verband. „Ich habe wieder ein schreckliches Kopfdröhnen.“

      „Gewiss hast du eine Gehirnerschütterung. Damit ist nicht zu spaßen“, stellte Emma fest, während sie Nela auf einen Stuhl zwang. „Du solltest nicht stehen.“

      „Woher habt Ihr die Bisswunden?“, forschte Balder nach.

      Es fiel Nela immer noch schwer, über die Ereignisse zu sprechen. „Ein frevlerischer Drauger namens Fido Tanner entführte mich und ...“

      „Ich verstehe“, sagte Balder mitfühlend, als Nela stockte.

      „Und nur wenig später wurde ich wieder entführt“, fügte Nela hinzu, während ihr Blick auf die Tür zum Keller fiel.

      „Hängt das zusammen?“, fragte Balder nachdenklich.

      „Ich weiß es nicht. Fido wollte sich an mir rächen, weil ich ihn vor seinem Ansu gedemütigt habe. Er ist tot. Ich weiß nicht, ob Theo Frankus hinter der erneuten Entführung steckt.“

      „Theo Frankus?“

      „Er ist der Draugerjarl in Midgard“, gab Emma dem Asen eine Erklärung.

      „Emma, warum bist du hier?“, wollte Nela wissen. „Ich habe dich gesucht. Von heute auf morgen warst du verschwunden. Deine Eltern gaben mir nur die Auskunft, dass du vermisst wirst. Ich hoffte die ganze Zeit, die Polizei möge dich lebend finden.“

      „Sie wussten, wo ich bin“, erwiderte Emma traurig. „Sie forderten diese harte Strafe, um ein Exempel zu statuieren.“

      Verständlichlos starrte Nela die Elfe an. Sie konnte nicht fassen, dass Eltern ihr Kind freiwillig dieses Schicksal aufbürdeten. „Für was? Was hast du getan?“ Ganz gleich, gegen welche Gesetze Emma verstoßen hatte, konnte Nela keine Rechtfertigung finden, dass ihre eigenen Eltern sie nach Hel verbannten.

      „Meine Eltern erfuhren durch einen anonymen Brief von meiner Liebesbeziehung zu Olf.“ Nela wusste, dass Emma und Olf sich ineinander verliebt hatten. Lange verleugneten sie ihre innige Zuneigung, bis sie schließlich ihren Gefühlen nachgaben und ein Paar wurden. Allerdings wussten nur die Freunde aus ihrer Clique von den beiden. Doch wer hatte sie verraten? Nela konnte es nicht glauben, dass einer ihrer Freunde die beiden denunziert hatte.

      „Weil ihr euch geliebt habt, bist du nach Hel gekommen?“, stieß Nela verärgert aus. Das Schicksal ihrer Freundin erinnerte sie an ihr eigenes.

      „Nela, Olf ist ein Wolfsmann. Es ist verboten, dass Elfen und Wolfsmänner sich verlieben.“ Tränen rannen Emma die Wangen hinunter. Sie liebte Olf immer noch. Und Nela war sich ziemlich sicher, dass Olf auch Emma liebte.

      „Es geht Olf gut. Er studiert in Bremen“, ließ Nela sie wissen.

      „Das wollte er immer, obwohl sein Vater dagegen war. Unsere alte Clique gibt es wohl nicht mehr“, bedauerte Emma. „Ich bin hier, Olf in Bremen, Malvin ist tot, du bist nun auch hier. Wo sind die anderen?“

      „Nur Malvin und ich sind in Lüneburg geblieben. Alle anderen studieren in anderen Städten.“

      „Es war klar, dass sie uns irgendwann alle auseinander bringen.“

      „Sie?“

      „Ja, die Großprioren der Orden. Sie sahen es gar nicht gerne, dass sich Walküren, Werwölfe, Berserker, Birger, Disen, Dunkelalben, Zwerge, Riesen und Elfen angefreundet hatten, dass wir eine Art Sebjo bildeten, die auf Vertrauen und Zuneigung basierte. Sie sahen in unserer Gemeinschaft eine Gefährdung für das geltende Gesellschaftssystem.“

      „Du bist eine Elfe, Olf ein Wolfsmann, Malvin ein Walkür und ich eine Walküre. Wer unserer restlichen Freunde ist was?“, fragte Nela verblüfft.

      „Rena ist eine Dise, Alva eine Dunkelalbin, Meitje ist eine Zwergin, Bjarne ein Berserker, Leon ein Birger und Ole ein Riese.“

      „Interessant“, äußerte Balder sich dazu. „Zehn, davon fünf Mädchen und fünf Jungs aus verfeindeten Orden.“

      „Ole ist ein Jötunn?!“, entfuhr es Nela überrascht. „Das kann nicht sein. Er ist viel zu klein.“

      „Sobald Riesen nach Midgard kommen, können sie der menschlichen Körpergröße anpassen“, erklärte Emma.

      „Nicht nur du und Olf wart ein Liebespaar. Ich war überrascht, als nach deinem Verschwinden, sie sich von heute auf morgen trennten.“

      „Verständlich“, murmelte Emma.

      „Mit wem wart Ihr liiert, Lunela?“, hakte Balder neugierig nach.

      „Mit niemandem aus unserem Freundeskreis.“

      „Gab es keinen Vertreter der Lysanen?“, wollte Balder neugierig wissen.

      „Nein. In Midgard leben vor allem Drauger, deshalb war es sehr unwahrscheinlich, einen Lysanen als Kind kennen zu lernen. Wir besuchten alle den gleichen Kindergarten und freundeten uns an.“

      „Welchen Zweck verfolgen die Nornen?“, dachte Balder laut nach.

      „Vielleicht ein erster Schritt, damit wir friedlich zusammenleben“, mutmaßte Emma.

      „Mag sein, aber eure ungewöhnliche Sebjo wurde zerschlagen.“

      „Nein“, war Nela sich sicher. „Auch wenn wir nicht mehr am selben Ort leben und uns regelmäßig sehen, besteht unsere Freundschaft fortwährend. Ansonsten hätte Olf mir in Bremen nicht geholfen und um seinen Freund Malvin getrauert.“

      Die weißen Dornen

      Ein traumhafter Nachmittag in den Sommerferien.

      „Schneller“, rief die zehnjährige Emma ihren Freunden zu, als sie durch den Laubwald rannten.

      „Diesmal findet Olf uns nicht“, war Nela sich sicher. Während Nela mit Emma zusammenlief, rannten die anderen sieben in verschiedene Richtungen.

      Kein Windzug, selbst im schattigen Wald war es heiß. Durch hohen Farn liefen die Mädchen immer tiefer in den Wald hinein. Plötzlich krähte ein Fasan, flog aufgeschreckt einige Meter und verschwand wieder im Farn. Erschrocken blieben die Mädchen stehen, packten sich, lachten und ließen sich in den Farn fallen.

      Beide lauschten. Vogelgezwitscher. Ein Specht klopfte direkt über ihnen an die Baumrinde.

      „Guck mal! Dort oben ist ein Specht“, zeigte Emma auf den rot-schwarz gefiederten Vogel.

      „Der muss doch ständig Kopfschmerzen haben, so wie er gegen den Stamm hämmert“, dachte Nela laut nach.

      Plötzlich hielt der Specht inne und flog davon. Emma griff nach Nelas Arm. „Komm! Wir müssen weiter.“ Die Mädchen durchquerten schnell den Farn, bis sie ...

      „Wow!“, stieß Emma aus und blieb stehen.

      Nela betrachtete das Gebüsch, das ihre Freundin in den Bann gezogen hatte. „Weißdorn! Hier kommen wir nicht weiter. Die Dornen werden uns verletzen.“

      Emma reagierte nicht auf Nelas Warnung, sondern ging auf den Weißdorn zu. „Hier werden wir uns verstecken!“

      „Nein, das ist kein gutes Versteck“, widersprach Nela, suchte vergeblich nach einem besseren Unterschlupf.

      Mittlerweile musste Olf mit dem Zählen fertig sein und sich auf die Suche nach seinen Freunden machen. Nela beneidete Olf um sein Suchtalent. Stets entdeckte er viel zu rasch seine Freunde in den besten Verstecken.

      Ehrfürchtig betrachtete Emma den Weißdorn, berührte vorsichtig die Blätter und Zweige. „Das Heim der Elfen“, wisperte sie, bevor sie sich hinkniete und in das Dickicht hineinkrabbelte.

      Nela schüttelte über die Unvernunft ihrer Freundin den Kopf. Eindeutig las Emma zu viele Märchen,


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