Zwischen meinen Inseln. Ole R. Börgdahl
der vor fünfundzwanzig Jahren aus Schottland nach Australien gekommen ist. Der Artikel ist wirklich sehr gut gelungen. Dann übersetzt Vater auch noch Nachrichten aus Europa vom Französischen ins Englische. Letzte Woche ist er sogar nach Sydney gereist und hat dort recherchiert. Wir leben von seinem Einkommen und von dem, was Vater sich erspart hat. Ich habe mich nie richtig dafür interessiert, doch jetzt führe ich für uns Buch. Vater hat immer einiges von seiner Besoldung zurücklegen können, weil für uns das Leben in der Kolonie nicht sehr teuer war. Ich würde auch gern etwas zu unserem Einkommen beitragen, aber mit einem Kind, das ich zu versorgen habe, ist dies nicht so einfach. Ich bin seit fast drei Monaten Mutter und ich gehe vollständig in dieser Rolle auf. Ich weiß, dass Mutter mit Thérèse und mir um die halbe Welt gereist ist, als wir in dem Alter waren, in dem Tom jetzt ist. Tom lässt mich nachts nur selten durchschlafen. Zum Glück ist unser Haushalt nicht so groß, sodass ich mich tagsüber ausruhen kann. Vater lässt sich durch Tom aber nicht stören, wie denn auch, schließlich kann nur ich ihn stillen, wenn er in der Nacht aufwacht und zu schreien beginnt. Letzte Woche haben sich ein paar Mädchen vorgestellt. Es war Vaters Idee und ich bin ihm auch dankbar für den Vorschlag. Ich habe mir schon eine ausgesucht, sie heißt Mildred und ist sechzehn. Mir war es wichtig, dass das Hausmädchen nicht älter ist als ich selbst. Es haben sich auch einige Mamsells beworben, bei denen ich mir nicht sicher war, dass sie den nötigen Respekt aufbringen würden. Mit Mildred habe ich eine gute Wahl getroffen. Sie ist höflich und hat sich schon in den ersten Tagen bemüht, mir alles recht zu machen. Meine nächtlichen Einsätze kann sie mir natürlich nicht abnehmen, aber sonst alles andere. Ich habe jetzt auch die Möglichkeit, einmal tagsüber wieder alleine in die Stadt zu gehen, wenn Mildred auf Tom aufpasst.
Brisbane, 17. August 1912
Ich war am Hafen, ich bin in den letzten Tagen häufiger am Hafen gewesen. Es ist für mich Entspannung und Hoffen zugleich. Gestern hieß es, ein Frachter aus Tahiti wird erwartet. Das Schiff ist am frühen Morgen wirklich eingelaufen, beladen mit Sandelholz. Ich habe zugesehen, wie ein Teil der Ladung gelöscht wurde. Ich habe am Anfang gehofft, dass Onoo unter den Arbeitern, unter den Matrosen, sein würde, dass er sich auf diese Weise die Überfahrt verdient. Es wird eine Illusion bleiben. Ich bin auch nicht dazu da, auf ihn zu warten. Ich weiß aber auch, er wird nicht schreiben und ich weiß, es ist meine einzige Hoffnung, dass er eines Tages vor mir steht, ohne jede Ankündigung, ohne vorheriges Zeichen.
Brisbane, 4. September 1912
Tom besitzt jetzt ein eigenes Bankkonto, nicht einmal ich habe ein Bankkonto. Vater hat es eingerichtet, für seinen Enkel. Er ist zu einer Poststation gegangen und hat bei der Commonwealth Bank of Australia ein Konto eröffnet. Die Bank selbst hat ihren Sitz in Melbourne und Vater wollte auch erst nach Melbourne reisen, aber es geht eben auch über die Post, die alle Ein- und Auszahlungen übernimmt. Ausgezahlt werden soll aber vorerst nichts. Tom hat jetzt ein Guthaben von dreißig Pfund, eine Menge Geld. Vater will jeden Monat zwei Pfund für ihn aufbringen. Ich kann selbst nicht viel zurücklegen, aber auch wenn es nur ein paar Schillinge sind, will ich sie auf das Konto einzahlen, es wird mir Freude machen, für meinen Sohn zu sparen.
Brisbane, 8. September 1912
Es ist Frühling in Brisbane. Vater ist jetzt viel unterwegs. Er hat sein Talent als Journalist entdeckt. Seine Artikel und Aufsätze werden vom Brisbane Courier angenommen. Es sind jede Woche zwei oder drei. Alles, was in Brisbane geschieht und was von Bedeutung ist, verkauft er dann zusätzlich noch an den Daily Telegraph nach Sydney, natürlich erst, wenn er es umgeschrieben hat. Der Telegraph veröffentlicht auch Fotografien und so hat Vater recht gute Einkünfte. Er hat auch schon angeregt, ganz nach Sydney zu ziehen. Die Entscheidung ist aber noch nicht gefallen. Ich fühle mich in Brisbane wohl und verstehe mich so gut mit Mildred, dass ich sie bei einem Umzug nicht missen möchte.
Brisbane, 22. September 1912
Tom hatte vergangene Woche Fieber. Es war seine erste richtige Krankheit, aber er hat sich tapfer gehalten. Heute ist schon alles wieder vorbei. Ich bin mit ihm auch noch einmal zu meiner Hebamme gegangen. Sie sagte jedoch, dass nur ein Arzt Tom untersuchen dürfe. Sie hat mir dann aber noch ein paar Ratschläge gegeben, wenn das Fieber einmal wiederkommen sollte.
Brisbane, 30. September 1912
Ich habe mich nach einer Schule erkundigt. Ich würde gerne Sprachen studieren. Ich habe mich daran erinnert, wie ich vor ein paar Jahren auf Hiva Oa von einem Kapitän ein paar Worte Portugiesisch gelernt habe. Auch in Onoos Muttersprache konnte ich mich recht gut unterhalten. Vielleicht habe ich das Talent zu Sprachen. Ich will es mit Spanisch und Portugiesisch versuchen. Das Englische ist mir ja bereits zu einer zweiten Muttersprache geworden. Es gibt in Brisbane einige Colleges. Es sind Privatschulen, deren Unterricht bezahlt werden muss. Vater kennt meinen Wunsch und wird mich sicherlich unterstützen. Ich muss eine Schule finden, die nicht zu teuer ist. Ich spreche ja schon Französisch, was aus Sicht der Australier bereits eine Fremdsprache ist, aber das reicht natürlich nicht. Ich habe mich beraten lassen. Als Übersetzerin sollte ich in jedem Fall Spanisch und Portugiesisch sprechen können und Niederländisch, was mich zuerst gewundert hat, aber dann kam die Erklärung. Australien treibt schließlich auch Handel mit den holländischen Kolonialgebieten in Indonesien.
Brisbane, 12. Oktober 1912
In diesen Tagen wurde ein neues Gesetz verabschiedet. Australien hat immer noch sehr wenige Einwohner, aber die Regierung will dies ändern, indem es künftig ein Geldgeschenk für jeden neugeborenen Bürger gibt. Vater hat schon vor zwei Wochen über die Einzelheiten des Gesetzes berichtet und es sogar recht scharf kommentiert. Zunächst möchte ich feststellen, dass ich für Tom die ausgelobten fünf Pfund nicht erhalten werde, weil die Geburt einige Monate zu früh kam. Ich hätte das Geld gerne auf Toms neues Bankkonto überwiesen. Obwohl Vater und ich Franzosen sind und wie Vater betont auch bleiben werden, so habe ich doch zumindest meinen Sohn diesem Land geschenkt, denn Tom hat die australische Staatsbürgerschaft. Wir haben ihn aber auch in unserer Botschaft angemeldet, sodass er zu unserem Stolz auch Franzose ist. Mein Fall mag schon nicht ganz so gerecht sein, ist aber nichts gegen die Ungerechtigkeit, die den Ureinwohnern Australiens widerfährt, denn für sie gilt dieses Gesetz nicht. Sie erhalten kein Geld, obwohl sie es sicher sehr gut gebrauchen könnten. Vater hat dies angeprangert, zwar sehr moderat, aber er hat es verurteilt.
Brisbane, 15. Oktober 1912
In der Nacht ist Vater aus Queenstown auf Tasmanien zurückgekehrt. Er war einer der Ersten, die über die schwere Feuerkatastrophe in der Mount Lyell Kohlenmine berichtet hat. Ich weiß nicht, wie Vater es geschafft hat, so schnell dorthin zu kommen. Er ist mit dem Schiff vom Festland nach Tasmanien übergesetzt, mit der Loongana. In seinem Artikel berichtet er dann auch von diesem Schiff und seiner Mannschaft, weil sie es geschafft hat, in Rekordzeit nach Queenstown zu fahren. Die Loongana hat wichtige Ausrüstung nach Tasmanien gebracht, Beatmungsgeräte, mit denen die Feuerwehrleute in die verrauchte Mine erst eindringen konnten. Solche Geräte gab es nur bei den Minengesellschaften auf dem Festland. Die Loongana hat es gebracht und Vater hatte Glück, dass sie ihn mitgenommen haben. Vater hat dafür auch vor Ort, in Queenstown, geholfen. Er konnte wohl nicht viel tun, aber er hat mit angefasst.
Brisbane, 10. November 1912
Heute habe ich die letzte Lieferung aus der Buchhandlung geholt und auch noch das ausstehende Geld bezahlt. Der Zyklus Rougon-Macquart endet mit den Romanen »Der Zusammenbruch« und »Doktor Pascal«. Inzwischen habe ich alle Bände in Vaters Bücherregal eingestellt. Ich musste extra Platz schaffen. Wenn ich diese lange Strecke von Büchern sehe, glaube ich nicht, dass wir sie in einem Leben zu Ende lesen können. Das Vorlesen stockt ja auch immer, wenn Vater auf Reisen ist.
Brisbane, 25. November 1912
Vaters berufliche Aktivitäten weiten sich aus. Er kommt erst heute aus Melbourne zurück, wo er bei einer Zeitung vorgesprochen hat, dem Herald. Er war