Zwischen meinen Inseln. Ole R. Börgdahl
Vater hat vor ein paar Wochen die Bekanntschaft mit Monsieur Louis Hounier gemacht. Ich schreibe Monsieur Hounier und nicht Mr. Hounier, weil Louis Franzose ist, geboren in Bordeaux. Am Sonntag habe ich Monsieur Hounier ebenfalls kennengelernt. Ich darf ihn auch Louis nennen, darauf besteht er, und Tom soll Onkel Louis sagen, wenn er schon richtig sprechen könnte. Das Interessante an Onkel Louis ist, dass er ein Restaurant hat, direkt in der Innenstadt. Es ist sehr vornehm und bietet feinste französische Küche, so Onkel Louis Worte, und tatsächlich habe ich zuletzt auf Tahiti so gegessen. Leider bin ich selbst nicht in der Lage so gutes französisches Essen zuzubereiten. Das Restaurant ist eine der besten Adressen in Brisbane, das waren Vaters Worte. Er hat es natürlich im Beisein von Onkel Louis gesagt. Das Restaurant hat aber dennoch einen sehr schlichten Namen. Es heißt einfach nur »Chez Louis«, aber gerade das finde ich so passend. Wir gehen zu Louis, sagen die Leute, wenn sie bei Onkel Louis einen Tisch bestellen. Das Chez Louis hat aber auch eine australische Seele und die heißt Maggie, Louis Frau. Onkel Louis kocht und Tante Maggie führt das Geschäft. Während Tante Maggie die Kellnerinnen und Kellner antreibt und immer alles im Auge hat, lässt sich Onkel Louis nur selten blicken, er kommt nur dann aus der Küche, wenn besondere Gäste eingetroffen sind, um sie persönlich zu begrüßen. Seine weiße Jacke und auch die blaue Schürze sind dann immer ganz sauber, was mich zunächst gewundert hat. Heute war ich zum zweiten Mal im Restaurant und Onkel Louis kam wieder aus der Küche und hat auch Vater und mich begrüßt, er hat sich sogar für eine Weile an unseren Tisch gesetzt und einige der Gäste haben neugierig herübergesehen.
Brisbane, 7. Mai 1913
Tom hat heute Geburtstag. Er hat sogar eine Torte bekommen mit einer Kerze darauf. Ich fand die Idee zunächst albern, weil er die Kerze ja nicht selber auspusten kann, was eigentlich dazugehört. Mildred hat die Torte gebacken, und als sie schließlich fertig war, hat sie mit Zuckerguss Toms Namen darauf dekoriert. Ich fand es schon sehr schön. Ich habe mir vorgenommen, dass Tom jetzt jedes Jahr eine Torte bekommen soll, jedes Mal mit einer Kerze mehr und ich hoffe, dass er sie schon nächstes Jahr selbst auspusten kann. Ich werde es jedenfalls mit ihm üben, das Auspusten. Ich will, dass mein Sohn alles lernt, alles, was er braucht und auch die Dinge, die er nicht braucht, die einfach nur schön sind, wenn er sie kann.
Brisbane, 22. Mai 1913
Vater wird nächste Woche wieder verreisen. Ich wünschte oft, er wäre nur Lokalreporter und könnte in Brisbane den Stoff für seine Reportagen sammeln. Er schreibt jetzt schon für sieben Zeitungen und macht auch Fotografien zu seinen Berichten. Vater lernt auf seinen Reisen ganz Australien kennen. Zumeist hält er sich aber in den Städten der Südküste auf. Wenn er wieder einen Artikel veröffentlicht hat, bekommen wir die Exemplare nach Hause geschickt. Außerdem bekommen wir den Courier jeden Tag gratis geliefert. Ich lese daher jetzt viel und erfahre mehr über das Geschehen in der Welt.
Brisbane, 1. Juni 1913
Mit dem Geld hier in Australien komme ich jetzt schon gut zurecht. Ich erwische mich aber immer wieder dabei, wie ich in Francs umrechne. Ich bin dabei ganz fix und habe mit dem Franc-Betrag erst den richtigen Eindruck, was mich eine Ware kostet und ob ich sie mir leisten kann oder will. Wir haben jetzt auch eigene australische Banknoten, die im Wert weiterhin dem britischen Pfund gleichen, aber eben australisch sind. Durch meine Finger gehen am häufigsten die neuen Zwanzig-Schilling-Noten und die Ein-Pfund-Noten. Die Fünf- und Zehn-Pfund-Note sehe ich dagegen seltener und wechsele sie meist schnell in kleineres Geld ein.
Brisbane, 15. Juni 1913
Vater geht seit Monaten zum Postamt, um in seinem Fach nachzusehen. Es gab nichts. Es ist auch nichts aus Tahiti nachgesendet worden, bislang nicht und ich glaube auch nicht daran. Ich will nicht über die Gründe nachdenken und ich werde auch nicht mit Vater darüber sprechen, es sei denn, er möchte es von sich aus.
Brisbane, 8. Juli 1913
Mildred ist kaum ein Jahr bei uns geblieben. Ihr Abschied kam jetzt sehr plötzlich und dabei hatten wir uns doch so gut verstanden. Ich weiß nur, dass sie von nun an in einem Feinkostgeschäft als Verkäuferin arbeitet, oder sie wird dort zur Verkäuferin ausgebildet. Es ist immerhin ein richtiger Beruf und keine Aushilfsarbeit. Mildred hat mir aber versichert, sie könnte immer einmal vorbeischauen, wenn ich für Tom einen Babysitter brauche. Ich habe Vater gesagt, dass ich mich vorerst ums Haus kümmern werde, schließlich muss ich ja auch etwas tun, obwohl mir längst etwas anderes vorschwebt.
Brisbane, 23. Juli 1913
Tom hat schon seit einiger Zeit gebrabbelt und er hört auf seinen Namen. Vater ruft ihn immer und Tom dreht sich dann um und greift in Vaters Richtung. Heute hat Tom nicht einfach nur gebrabbelt, er hat klar und deutlich »haben« gesagt. Vater hatte ein Stück Apfel. »Mama« hat Tom aber noch nicht zu mir gesagt, mir wäre »Mama« lieber als »haben«.
Brisbane, 5. August 1913
Vater und ich haben fleißig gelesen und »Das Glück der Familie Rougon« in diesen Tagen beendet. Es ist ja der Einführungsband, dort wo der Leser die Personen der Handlung kennenlernt. Ich konnte mir nicht alle merken, nur die Hauptpersonen, von denen wir annehmen können, dass sie auch weiterhin vorkommen. Zwei Personen sind mir jedoch ans Herz gewachsen, die ich aber in den folgenden Bänden nicht mehr finden werde, weil Zola sie hat sterben lassen. Es sind die kleine, tapfere Miette und der heldenhafte Silvère. Ich habe so gehofft, dass ihre Geschichte weitergeht, aber Zola war sehr brutal zu ihnen. Miette stirbt im Kampf und Silvère wird auf böse Weise gerichtet, für eine Tat, die zwar schlimm ist, aber noch lange keine Selbstjustiz rechtfertigt. Die beiden waren in ihrer Liebe und dem Leid ihres Erwachsenwerdens so unschuldig. Ich habe Vater gefragt, ob die Zeit so war. Vater ist im Zweiten Kaiserreich geboren, aber sein Bewusstsein hat er erst in der Republik bekommen, wie er mir erklärt hat. Wir werden in den nächsten Tagen mit »Der Beute« beginnen, ich finde es wirklich schade, dass Miette und Silvère nicht mehr sind.
Brisbane, 29. August 1913
Ich war bis zu dem heutigen Tag noch nie bei einem Zahnarzt, bei einem Arzt, der nur für die Zähne zuständig ist und für sonst gar nichts. Früher kannte ich nur einen Arzt für alles. Wenn ich zur Untersuchung war, wurde mir der Puls gefühlt, Fieber gemessen und in den Mund geschaut. Ich weiß, dass der Arzt in Taiohae auch Zähne gezogen hat, aber nicht bei mir, bei mir gab es nichts zu tun und es gibt auch weiterhin nichts zu tun, was jetzt sogar der Spezialist für Zähne festgestellt hat. Ich habe ein Naturgebiss, weil alle Zähne noch vorhanden sind. Ich habe sogar zu viele Zähne. Es sind die Weisheitszähne, von den es zwei oben und zwei unten gibt und die bei mir schon fast durchgebrochen sind. Ich soll sie mir ziehen lassen, weil ich diese Weisheitszähne nicht brauche, sie würden nur stören. Ich darf es mir aber noch überlegen, es kann nämlich schmerzhaft sein.
Brisbane, 17. September 1913
Ich habe gerade Vaters letzten Artikel gelesen. Er hat ihn ausnahmsweise hier in Brisbane geschrieben, obwohl es um ein großes Feuer in Toowoomba, gut siebzig Meilen von hier ging und Vater erst am frühen Morgen zurückgekommen ist. Der Artikel muss schnell telegrafiert werden, weil er in alle Ecken Australiens geht. An die Ostküste sowieso, an Zeitungen in New South Wales und Victoria, aber auch an den Advertiser in Adelaide und den West Australian im fernen Perth und sogar nach Tasmanien, nach Hobart, an den Mercury. In Melbourne hat Vater die Zeitung sogar schon gewechselt und arbeitet nicht mehr für den Herald, sondern für den Age, der mehr zahlt. Vater ist ein reisender Journalist und das macht ihn so einzigartig, denke ich. Wenn er in Perth ist, und über die Ereignisse dort berichtet, findet er Abnehmer in Adelaide, Sydney oder hier in Brisbane. Wenn er in Melbourne ist, so schreibt er für Zeitungen in Perth, Darwin oder Hobart. Es ist sehr spannend, weil uns die Zeitungen, in denen Vaters Artikel abgedruckt sind, immer einige Zeit später zugeschickt werden. Anfangs habe ich die Zeitungen gesammelt, jeweils die gesamte Ausgabe. Als dies zu viel wurde, habe ich