Zwischen meinen Inseln. Ole R. Börgdahl
John noch wird, aber ich fühle mich glücklich, wenn ich an ihn denke.
Brisbane, 10. Juni 1915
Aus Europa hören wir von den ANZAC-Truppen und dem Versuch, die Halbinsel Gallipoli zu erobern. Es hat leider schon große Verluste gegeben, aber die Verbündeten sind voller Hoffnung, die Osmanen zu besiegen.
Brisbane, 23. Juni 1915
Ich glaube John und ich sind jetzt ein Paar. Ich habe nicht die Erfahrung, zu unterscheiden, ob wir nur befreundet, eng befreundet, oder schon ein Liebespaar sind. Die Menschen hier in Brisbane verhalten sich natürlich anders als auf Ua Huka. John hält immer meine Hand, wenn wir spazieren gehen und er küsst mich, wenn wir uns begrüßen oder verabschieden. Obwohl ich schon einmal verliebt war, ist es mit John etwas ganz Neues und darüber bin ich auch sehr froh. Ich bin jetzt einfach nur glücklich, immer wenn ich mit John zusammen sein kann. Ach, ich komme mir so albern vor. Ich kenne John jetzt ein halbes Jahr, ein ganzes halbes Jahr. Für mich ist es lang genug, um einen Menschen kennenzulernen. Ich weiß, dass ich John lieben kann, wenn auch er mich liebt, wenn auch er mich will, mich und meinen Tom. Es passt alles so gut, ich fühle es und genau das scheint der Grund für meine Bedenken, für mein Grübeln zu sein. Gefühle sind so wichtig, aber nur Worte geben Gewissheit. John und ich haben noch nie über uns gesprochen. Wie das klingt, über uns gesprochen, aber es sind die richtigen Worte, um unsere Situation zu beschreiben. Ich ärgere mich über meine Gedanken, weil ich jetzt sofort, wo ich diese Zeilen schreibe, daran denke, wie albern ich doch bin. Sechs Monate, ein halbes Jahr, ein Dutzend Treffen, ein einziger Familienbesuch. Was erwarte ich eigentlich, will ich alles kaputtmachen. Warum gebe ich uns keine Zeit, damit wir uns weiter prüfen können, ob wir wirklich zusammengehören. Was ich da denke, ist alles Unsinn, natürlich gehören John und ich zusammen, John, Tom und ich.
Brisbane, 5. Juli 1915
Ich war heute mit Tom wieder beim Doktor. Es ging um Toms Rücken. Wir könnten ihm für die Nacht ein Gipskorsett anfertigen lassen. Tom würde abends in dem Korsett festgeschnallt, um damit zu schlafen. Viele Kinder würden so etwas jetzt tragen, einige sogar auch tagsüber. Es kommt aus Amerika. Ich habe den Doktor gefragt, ob er in Amerika war und er hat mir erklärt, dass er es in einer Fachzeitschrift gelesen hätte. Ich bin mir nicht sicher. Ich bin doch auch frei aufgewachsen, ohne ein Korsett und Onoo erst recht. Ich möchte natürlich für Tom nur das Beste, aber ich denke wir lassen es. Der Doktor soll sich Toms Rücken alle paar Monate ansehen und dann können wir uns ja immer noch entscheiden.
Brisbane, 19. Juli 1915
Am Donnerstag habe ich John nicht gesehen, ich hätte ihm so gerne zu seinem Geburtstag gratuliert. Erst gestern haben wir uns getroffen, in einem Café. Ich habe die ganze Woche überlegt, was ich ihm schenken könnte und ob ich es überhaupt soll. Ich wollte aber unbedingt etwas mitbringen und so ist mir Tom zu Hilfe gekommen. Er hat ein Bild gemalt, ein wunderschönes Bild. Ich habe es in einen goldenen Rahmen gesetzt und fertig war das Geschenk. John war ganz überrascht. Er hat sich das Bild lange angesehen. Später hat er an einem Stand im Park eine Tüte Bonbons gekauft. Ich sollte sie Tom von ihm geben. Es hat mich nur gewundert, dass John sie ihm nicht selber bringen wollte, wo er mich doch sonst immer nach Hause begleitet. Gestern hat er mich aber nicht begleitet, gestern nicht.
Brisbane, 5. August 1915
Vielleicht habe ich einen Fehler gemacht. Ich habe John vorgeschlagen, dass seine Eltern und mein Vater sich endlich kennenlernen. Natürlich haben wir kein so repräsentatives Haus wie die Altsmiths, aber ich dachte daran, dass Vater uns alle ins Chez Louis einlädt. Es soll ganz ungezwungen sein, ein Dinner, auf einem Sonntag, höchstens ein oder zwei Stunden. Ich habe bisher nur mit John darüber gesprochen. Er sagte, dass er mit seinen Eltern sprechen wolle. Irgendetwas kam mir an seiner Antwort merkwürdig vor. Natürlich muss er erst mit seinen Eltern sprechen, aber es hört sich so an, als ob er um Erlaubnis fragen muss. Ich weiß nicht, welche Reaktion ich von John erwartet hatte, ich weiß gar nichts. Vielleicht hätte Vater selbst die Einladung an John oder besser noch an Johns Eltern richten müssen. Ich kenne mich hier in Australien manchmal nicht richtig aus, oder liegt es nicht an Australien? Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass John mir böse ist. Er wird seine Eltern fragen und am Ende sind alle meine Bedenken nichtig und es wird eine schöne Einladung, über die sich alle freuen.
Brisbane, 17. August 1915
Ich habe es gar nicht richtig gemerkt. Tom kann beim Sprechen ohne nachzudenken zwischen Französisch und Englisch wechseln. Vater hat von Anfang an fast nur auf Französisch mit ihm gesprochen, ich dagegen meistens nur Englisch. Ich habe es unbewusst gemacht, denn Vater und ich reden ansonsten auch nur auf Französisch miteinander. Es ist auch lustig, wenn Tom Mrs. Lovegrove erst auf Französisch anspricht und er dann merkt, dass sie es nicht versteht. Er wiederholt es dann wie selbstverständlich auf Englisch. Dabei mischt er auch manchmal Französisch und Englisch.
Brisbane, 26. August 1915
Jetzt bin ich mir meiner Gefühle nicht mehr sicher. Es ist genau drei Wochen her, dass John und ich über die Einladung gesprochen haben. Als ich vorgestern mit ihm reden wollte, ist er mir ausgewichen, er weicht mir ohnehin aus, seitdem ich das Thema aufkommen ließ. Seit Anfang August haben wir uns nur zweimal gesehen, Vorgestern und am letzten Sonntag. Mir ist es zunächst nicht aufgefallen und ich habe mir nichts dabei gedacht, aber jetzt weiß ich, dass John mir ausweicht, ich bin davon überzeugt. Er war es immer, der meine Nähe gesucht hat, der die Verabredungen geplant hat. Ich weiß nicht, was sich jetzt geändert hat. Ich denke über unsere Beziehung nach. Haben wir überhaupt eine Beziehung. Über Liebe haben wir nie gesprochen. Habe ich mir eingebildet, dass da mehr war, zwischen John und mir. Ich will auch nicht diejenige sein, die einem Mann hinterherläuft. Ich werde gar nichts mehr unternehmen, es ist an John, zu handeln. Vater war mir in diesen Tagen auch keine Hilfe, denn er ist erst heute von einer seiner Reisen zurückgekehrt. Er hat sich wahrscheinlich gewundert, dass ich ihm nicht geschrieben habe, aber ich war eben mit meinen Gedanken zu beschäftigt. Vater hat seinen letzten Artikel beinahe druckfrisch mitgebracht. Er hat einen kleinen Ort irgendwo im Landesinneren, in den Weiten von New South Wales besucht. Dieser Ort war bis vorgestern als Germantown bekannt, ein unhaltbarer Zustand, wo unsere Jungs in Europa gegen die Deutschen kämpfen und sterben. Ein gewisser Kapitän Holbrook hat jetzt seinen Namen gegeben und die Stadtväter haben ihren Ort umbenannt. Ich überlege gerade, dass es doch immer wieder Kriege geben kann und dann jede Stadt und jedes Dorf umbenannt werden müsste, wenn der Ortsname etwas mit den jeweiligen Gegnern zu tun hat. Vielleicht müssen sich auch jene Bürger umbenennen, deren Groß- oder Urgroßväter einmal aus Deutschland nach Australien eingewandert sind. Irgendwann ist der Krieg doch auch vorüber und wir werden wieder Gutfreund mit den Deutschen, dann kann Holbrook wieder Germantown heißen. Kurz vor Vaters Rückkehr kam ein Paket an. Monsieur Chazaud hat eine neue Kamera geschickt, ein ganz neues Modell der Brownie Balgenkamera. Vater hat sich dann auch in sein Zimmer zurückgezogen, um mit seinem neuen Fotoapparat zu spielen.
Brisbane, 6. September 1915
Eine Anwaltskanzlei hat mir einige Briefe zur Übersetzung gegeben, mein erster richtiger Auftrag. Am Anfang soll ich drei Briefe aus dem Französischen übersetzen. Wenn ich damit fertig bin, muss ein Anwalt der Kanzlei die Antwort schreiben, die ich dann wieder vom Englischen ins Französische übertrage. Über das, was in den Briefen steht, muss ich aber Stillschweigen.
Brisbane, 3. Oktober 1915
Es wäre genau die Zeit für ein Picknick auf dem Lande. Der Frühling breitet sich aus. Ich habe schon daran gedacht, nur mit Tom einen Ausflug zu unternehmen, nur wir beide allein, Mutter und Sohn. Vater ist auf einer Seereise. Er hat einen Auftrag, der ihn in das ferne Hawaii führt. Ich kenne Hawaii noch nicht, habe mir aber vorgenommen, es kennenzulernen. Es soll mich an Tahiti erinnern. Tom und ich werden Vater nächstes Jahr besuchen und dann mit ihm zusammen nach Australien zurückkehren. Warum