Der verborgene Erbe. Billy Remie
drängte Melecay auf eine Erklärung.
»Der Regenwald fordert viele unschuldige Opfer«, flüsterte Wexmell nervös. »Die verwirrten, ruhelosen Seelen locken die Finsternis an. Und so tief in der Wildnis gibt es Nichts, das ihnen Einhalt gebieten könnte.«
Melecays Gesicht flog zu Wexmell herum, er begriff endlich.
Hinterher wünschte Wexmell, er hätte den Großkönig nichts erklärt, denn der kurze Moment der Ablenkung genügte, um ihren Feinden einen Vorteil darzubieten. Ein Schatten sprang Melecay frontal an, so schnell, dass kein Pfeil oder Zauber ihn hätte aufhalten können, und riss ihn umgehend von den Beinen.
Knurrend kämpfte Melecay gegen das dunkle Wesen, das ihm das Gesicht mit klauenartigen Fingern zerkratzen wollte, er hatte das Schwert beim Sturz fallen lassen. Wexmell hob sofort ein Bein, um den kleineren Dämon von Melecays Kopf zu treten, doch da traf den Feind bereits ein heller Lichtblitz. Zischend, wie Wasser, das auf Glut traf, wurde das Wesen gegen einen Baum geschleudert. Es rutschte schlaff zu Boden, atmete noch einmal stockend durch die spitzen Zähne aus, dann zerfiel es zu Asche.
Verwundert drehten sie sich alle um. Karrah hielt die Kugel des Hexenstabs noch auf Melecay gerichtet, der sie fassungslos anstarrte. Sie blickte von ihm zu Wexmell und nickte knapp. Er lächelte dankbar und stolz zurück.
In jenem Moment brach das Chaos los.
Mehrere kleine Schatten kamen zischend und fauchend aus dem Regenwald gesprungen und schlugen ihre Klauen in ihre Opfer. Sofort zischten Pfeile, Blitze und faustgroße Feuerkugeln durch die Luft, trafen hier und dort einen Feind im Sprung, oder verfehlten und blieben in Baumstämmen stecken. Allahad und Lazlo sprangen den Dämonen entgegen, während Wexmell Melecay wieder auf die Beine zog und ihm das Schwert in die Hand drückte.
»Deswegen vertraue ich Euch«, sagte Melecay plötzlich, und hielt Wexmells Arm noch einen momentlang fest. »Weil Ihr, obwohl sie Eure Ziehtochter ist, niemals Partei ergreifen würdet, wenn wir beide im Unrecht sind. Und weil die Menschen auch dann auf Euch hören, wenn Ihr sie zurechtweist.«
»Karrah ist ein kluges Mädchen, jedoch so stur und stolz wie Desiderius«, erklärte Wexmell traurig, »Ihr könnt ihr vertrauen. Habt gelegentlich Nachsicht mit ihrem Temperament, so wie ich Nachsicht mit dem Eurem habe.«
»Sie ist stark und nützlich, und die Mutter meines Erben, Frau meines Bruders«, sagte Melecay, »ich würde Ihr nichts tun. Aber ich fürchte, dass sie das genau weiß.« Lachend schlug er gegen Wexmells Schulter. »Kommt, bevor keine Feinde zum Abschlachten mehr da sind!«
Wexmell rang sich ein mattes Lächeln ab. Selbst gegen dunkle Wesen wie Dämonen erhob er ungern das Schwert. Das Töten hatte nie in seiner Natur gelegen, doch wenn man ihm keine andere Wahl ließ, wusste er sich zu verteidigen.
Als Allahad aufschrie, fuhr Wexmell herum. Ein Dämon saß auf seinem Rücken und schlug ihm die Zähne in die Schulter. Sofort wirbelte Luro den Bogen zu ihm herum und schoss einen gezielten Pfeil ab, der im Rücken des Dämons landete. Das Wesen fiel tot zu Boden.
Allahad kämpfte sofort weiter, wirbelte wie ein Sturm aus Klingen herum und zerschnitt seine Feinde schon in der Luft, ehe erneut einer von ihnen seine Krallen in ihn schlagen konnte. Wexmell schloss sich dem Kampf an, und rettete Melecay davor, erneut umgerissen zu werden.
»Euer hübsches Gesicht schuldet mir was«, rief Wexmell über den Kampflärm hinweg.
Melecay lachte dreckig, während er sein Schwert wie eine Peitsche vor sich herschwang, um die Dämonen von sich fernzuhalten.
Pfeile und Zauber surrten knapp an ihnen vorbei und retteten ihnen eins ums andere Mal das Leben.
»Luro! Links!« Allahads Schrei schrillte durch die Morgendämmerung.
Jetzt griffen die Dämonen von allen Seiten an. Die Fernkämpfer hielten Wexmell und seinen Schwertkämpfern die Flanken frei. Doch sie waren umzingelt.
»Durchbrechen, Lazlo!«, brüllte Melecay. »Mach die Biester fertig.«
Der Krieger mit dem vernarbten Gesicht war eine wahre Naturgewalt. Er hackte sich einen Weg durch die Dämonen, wie eine Sense durch ein Kornfeld. Schwarzes Blut bedeckte bald seine mit Eisenplatten besetzte Lederkluft.
Luro schrie schmerzerfüllt auf, ein Dämon musste zu ihm durchgekommen sein, doch Wexmell konnte es sich im Kampf nicht erlauben, sich umzudrehen. Er vertraute auf die Kämpfer, die bei Luro standen.
»Melecay, zu mir!«, rief Wexmell den Großkönig zurück zu seiner Stellung. »Verlasst nicht eure Posten. Allahad! Sofort zurück! Schließ die Lücke!«
»Aber … Luro …« Allahad stand einige Schritte hinter Wexmell, der sich plötzlich gezwungen sah, gegen einen ganzen Schwarm alleine anzukämpfen. Er schwang das Schwert wie ein Berserker, mit gebleckten Zähnen und angespannten Kiefern, seine Arme begannen zu schmerzen, die keinen Bruchteil eines Augenblicks eine Pause einlegen konnten, weil die Dämonen wie eine dichte Nebelwand auf ihn zu schwärmten.
Doch Melecay war nicht fern, er sprang Wexmell zur Hilfe.
Mehrere dunkle Wesen stürzten sich auf Melecays Beine, umklammerten sie wie anhängliche Kinder, um den großen Barbaren zu Fall zu bringen. Zwei Dämonen gelang es, ihren Schwertern zu entgehen, sie attackierten umgehend Wexmells Kopf, der mit den Armen fuchtelnd versuchte, sie abzuwehren, doch ihre Krallen zerkratzten bereits seine Stirn. Tiefe Wunden zogen sich kreuz und quer über sein ganzes Gesicht. Er brüllte wütend, packte einen Dämon wie eine Katze im Genick und versuchte, ihn von seinem Kopf zu zerren, was ihm leider nicht gelingen wollte.
Der Dämon war zu stark, seine Krallen saßen zu tief in Wexmells Haut. Strauchelnd stieß Wexmell in seiner Gegenwehr gegen Melecay, und riss diesen fast von den Beinen.
Der Großkönig fluchte. »Janek! Dainty! Herrgott, Pfeile, Zauber, sofort!«
Auf den Ruf ihres Großkönigs hin, konzentrierten sich die beiden Elkanasai auf diesen und Wexmell. Janeks Pfeile und Daintys Feuerkugeln befreiten Melecays Beine von Dämonen und verschafften ihm etwas Luft zum Kämpfen.
Allahad hatte endlich seine Priorität gesetzt und sprang zurück an Wexmells Seite. Zwei Hiebe mit seinen Schwertern zerteilten die Dämonen und befreiten Wexmells Kopf.
Wexmell fuhr mit einem entsetzten Blick zu dem Schurken herum.
Allahad starrte ihn ebenso schockiert über sich selbst an. »Wex, ich …«
»Später«, beschloss Wexmell und stürzte sich wieder in den Kampf. Es kamen immer mehr Dämonen, die Götter wussten, wie viele noch um sie herum nur darauf warteten, anzugreifen.
»Verdammte Biester!« Melecay wurde immer und immer wieder angegriffen, die Klauen und Zähne der Dämonen hatten das Leder seiner Hose in Fetzen gerissen, nicht einmal seine dicke Haut hielt den Bissen und Kratzern stand. Dainty versuchte, seinen König zu befreien, doch dabei verbrannte er ihm die Haut.
»AHHH! Verdammt, Dainty!«, schrie Melecay auf.
Dainty zog scharf die Luft ein. »Verzeihung!«
Lazlo grunzte, während er seine Feinde niederstreckte. Karrah beschwor einen flimmernden Schutzschild herauf, der die Fernkämpfer abschirmen sollte. Luro, der eine blutende Bisswunde am Hals trug, schützte Wexmell und Allahad, die zusammen mit Melecay in einen weiteren Schwarm Dämonen gerieten.
Janeks und Iwankas Pfeile sausten durch die Luft, doch die Dämonen waren zu zahlreich, um sie dadurch zu schwächen. Donnergrollen erklang am Himmel, so laut, dass der Boden unter ihren Füßen erbebte.
»Es sind zu viele!«, brüllte Janek über den Lärm hinweg.
»Da kommen noch mehr«, warnte Lazlo.
Luro ließ den Bogen fallen und verließ Karrahs magischen Schild. Er zog sein Schwert und sprang Wexmell und Allahad zur Seite. Doch auch gemeinsam mit ihm, wurden sie von Dämonen umschwirrt. Wie ein Schwarm wildgewordener Vögel sausten die dunklen Wesen auf ihre Köpfe hinab, schlugen Krallen und Zähne in Haut, Haar und Rüstung, ließen