Der verborgene Erbe. Billy Remie

Der verborgene Erbe - Billy Remie


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ehe er die verhassten Worte sprach. »Jedes Jahr, das vergeht, bringt mich meinem Tod näher. Du kannst es ruhig sagen, ich fürchte mich nicht davor.«

      »Aber ich.« Allahad erschauderte. »So sehr, wie ich sonst nichts fürchte.«

      »Du kannst mich nicht davor bewahren, Allahad. Ich bin ein Mensch, ich werde sterben, noch lange bevor deine Zeit gekommen ist.« Luro legte kurz seinen Kopf auf Allahads Schulter, seine Nähe war die Kraft, die Allahad Leben schenkte. »Damit musst du dich auseinandersetzen, bevor es dich unerwartet trifft. Du kannst ohne mich leben, so wie Wexmell ohne Desiderius. Es gibt ein Leben nach mir, und die Erinnerung an die Zeit zusammen, wird dich begleiten.«

      »Das ist für dich leicht gesagt, weil du derjenige bist, der zuerst von dieser Welt scheidet«, konterte Allahad gereizt. Luro so nahe zu sein, und doch daran denken zu müssen, ihn irgendwann nicht mehr zu spüren, machten ihm einfach Angst. »Aber frag mal Wexmell, wie es sich ohne die Liebe seines Lebens lebt.«

      Traurig hob Luro den Kopf und sah ihn an, wusste aber offensichtlich nichts mehr zu sagen.

      Allein der Gedanke, dieses Gesicht nicht mehr sehen zu können, ließ Allahad verzweifeln. Mit Tränen in den Augen hob er eine Hand und berührte Luros Wange. Luro schmiegte sich mit geschlossenen Augen in die Handfläche.

      »Ich verlor meine Frau und Söhne. Ich könnte nicht ertragen, auch noch dich zu verlieren«, hauchte Allahad bekümmert.

      »Aber es gibt ein Widersehen.« Luro legte seine Hand über Allahads und sah ihm entschlossen in die Augen. »Ich werde in der Nachwelt auf dich warten. Mit deiner Frau und deinen Söhnen, mit Niegal und Zasch – und Desiderius! Denk nicht an die Jahre ohne mich, denk an die Ewigkeit mit mir – und mit all unseren Freunden, die auf uns warten.«

      Allahad lächelte zwar, doch Trost schöpfte er nicht aus Luros Worten. Allerdingst gab es auch nichts, was sein Liebster hätte sagen können, um Allahad aufzumuntern. Das Leben meinte es nicht gut mit ihnen. Sie hatten immer gewusst, dass es so kommen würde, doch dass die Zeit so schnell verstrich, wenn man glücklich war, hätte keiner von ihnen erwartet. Es war einfach so ungerecht. Sie sollten gemeinsam leben oder gemeinsam sterben. Allahad wollte keine Jahrhunderte ohne Luro zurückbleiben.

      »Lass uns die Jahre, die wir noch haben, nicht in Trauer verbringen«, bat Luro und umfasste nun seinerseits Allahads Wange, »und tu mir den Gefallen und erinnere mich nicht ständig an meinen baldigen Todestag.«

      Letzteres scherzte er.

      Allahad musste tatsächlich auflachen. Nur Luro vermochte es, ihm in solch düsteren Momenten ein Lachen abzuringen. Er legte die Stirn an Luros, und sie rieben die Köpfe wie zwei schmusende Löwen aneinander, wie es ihnen eigen war. Manches konnte eben so viel schöner, so viel intimer sein als Küssen.

      »Streitet euch nicht.«

      Luro und Allahad blickten auf. Hinter ihnen lehnte mit einem wissenden Lächeln ihr Prinz an einem Baum und stieß sich ab.

      »Das tun wir nicht«, erwiderte Luro keck. »Dann fiele die Versöhnung wesentlich … nackter aus.«

      Allahad trat Luro leicht vor das Schienbein, damit er Wexmells Gefühle nicht versehentlich mit unangebrachten Anzüglichkeiten verletzte, die den Prinzen nur daran erinnern würden, was ihm fehlte. Zumal es ohnehin eine Lüge gewesen war, da Allahad und Luro seit Desiderius‘ Tod nicht mehr auf diese Weise zusammen gewesen waren. Darüber hatten sie jedoch noch nicht gesprochen. Allahad wollte Luro zu nichts drängen, gleichzeitig fürchtete er die Antwort auf die Frage, weshalb Luro keine körperliche Nähe, die nach Erlösung verlangte, mehr bei Allahad suchte.

      Wexmell kam zu ihnen und drängte sich zwischen sie. Sie rutschten zur Seite, damit er in ihrer Mitte Platz nehmen konnte.

      »Es tut mir leid, Wexmell«, begann Allahad aufrichtig demütig.

      Doch Wexmell legte ihm eine Hand auf die Schulter und lächelte ihn beruhigend an. »Ich weiß nicht, ob ich meinen Posten nicht auch verlassen hätte, hätte an Desiderius‘ Hals ein Dämon gehangen. Böse bin ich dir also nicht, weil mein Leben nicht gefährdet war, dennoch war ich erschrocken, wie schnell die Männer, denen ich am meisten Vertrauen entgegenbringe, meine Seite verlassen können.« Er lachte auf, um zu zeigen, dass er es Allahad trotzdem nicht übelnahm.

      Ernst fuhr er fort: »Es war unser erster Kampf seit Langem, und er zeigte uns unsere Schwachpunkte. Lasst es uns eine Lehre sein.«

      Allahad streckte eine Hand aus und strich Wexmell eine goldene Strähne aus dem zerkratzen Gesicht. »Meinetwegen wurdest du verletzt. Diese Schuld trage ich mit mir.«

      »Und meinetwegen seid ihr beiden überhaupt hier. Ich trage die Schuld, dass ihr eure Heimat verlassen musstet, um mich zu beschützen. Wir tragen alle irgendeine Schuld, das sollte uns jedoch nicht in Verzweiflung versetzen. Machen wir das Beste aus dem, was das Schicksal für uns bereithält.« Er sah Allahad schmunzelnd an. »Und verlassen nie wieder die Formation.«

      Allahad nickte lächelnd. »Ihr habt mein Wort, mein Prinz.«

      »Und nein, Allahad«, sagte Wexmell traurig, »es ist kein schönes Leben, das ich ohne Desiderius führe. Und doch lebe ich.«

      Bekümmert nickte Allahad. Er wollte sich nicht einmal vorstellen, mit welchem Schmerz Wexmell von nun an leben musste.

      »Genießt die Jahre, die Euch bleiben«, riet Wexmell ihnen, während er vor sich ins Leere starrte und seine eisblauen Augen sich mit Tränen füllten, »ich weiß nur zu gut, wie plötzlich alles vorbei sein kann.«

      Luro rutschte unbehaglich auf dem Baumstamm herum, er sprach nie gern darüber, dass er vor ihnen allen sterben würde. Allahad wusste, dass er sich aufgrund seines Alters unattraktiv fühlte, dabei war er für ihn noch immer das schönste Geschöpf in dieser und jeder anderen Welt.

      »Ich liebe dich«, hauchte Allahad.

      »Danke«, scherzte Wexmell, »ich liebe dich auch.«

      Sie lachten zu dritt miteinander, wie sie es schon lange nicht mehr getan hatten. Ihnen allen fehlten Luros Scherze, die, seit Desiderius nicht mehr bei ihnen war, gänzlich ausgeblieben waren. Dabei könnten sie nun mehr denn je die Aufheiterung durchs Luros schmutzigen Humor gebrauchen. Doch Luro erfüllte ihnen diesen Wunsch nicht.

      »Was meinst du«, fragte er stattdessen, »werden die Dämonen zurückkommen?«

      Wexmell schüttelte nachdenklich den Kopf. »Ich glaube nicht.«

      »Was hat sie vertrieben?«, fragte sich Allahad.

      »Ich denke, es war Melecay«, vermutete Wexmell leise. »Sie hatten Respekt vor ihm, wie vor einem Meister. Ich glaube, Zazar hat einem Fürsten das sterbliche Leben geschenkt. Ich nehme an, er erschuf unseren Melecay.«

      »Weshalb glaubst du das?«, fragte Luro verwundert.

      Wexmell zuckte mit den Schultern. Allahad hatte das Gefühl, das Wexmell irgendetwas verschwieg, doch er drängte nicht, erfragte nichts, wollte Wexmell keine Zweifel entgegenbringen, da zurzeit so vieles das Herz des Prinzen belastete.

      »Welche andere Erklärung könnte es geben?«, erwiderte Wexmell nachdenklich.

      »Ist Zazar dazu im Stande?«, hakte Luro nach.

      »Als Gott der Toten, gewiss doch.«

      »Ist das schlecht für uns?«

      »Nein.«

      »Bist du dir sicher?«, mischte Allahad sich ein. »Und wenn Melecays Seele einst die Seele eines Fürsten war? Ist er dann nicht gefährlich?«

      »Ganz und gar nicht.« Wexmell lächelte sie nacheinander an. »Wenn ich Recht habe, ist es ohne Bedeutung, denn durch die Widergeburt wurde die Seele gereinigt. Bellzazar hat vermutlich dadurch die größte Güte gezeigt, die mir je untergekommen ist. Er heilte einen Dämon von der Finsternis, und machte ihn neutral. Er gab einem von den Göttern bereits verurteilten Wesen eine zweite Chance auf ein sterbliches Leben. Und damit eine Chance auf eine bessere Nachwelt.«

      Allahad


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