Two in Isolation. Linn Marie Flow
Sohn, ist jetzt 10 Monate alt, und ich versuche, ihm, trotz seiner Krankheit, ein möglichst normales Leben zu bieten. Das wird nicht einfach, doch ich hoffe, mit der Zeit wird es besser. Ich will nicht klagen. Vor einigen Monaten, als the Kid wochenlang auf der Intensivstation lag und wir täglich aufs Neue um sein Leben bangen mussten, war die Vorstellung, mit ihm zu Hause zu sein, das höchste Glück auf Erden. Und das ist es auch immer noch und wirklich und täglich.
Trotzdem ist unser Leben anders und irgendwie auch komplizierter als andere. Ich höre oft: „Die Zeit der Transplantation muss der Horror für Euch gewesen sein. Aber nun ist ja alles gut. Jetzt kann er ein normales Leben führen.“ Aber so einfach ist das nicht. Und weil ich mich nicht immer wieder aufs Neue erklären kann, weil es so viele Kleinigkeiten sind, die unser Leben anders machen, erzähle ich, schreibe ich und beschreibe in diesem Blog unser Leben. Weil wir isoliert sind und sich das Leben irgendwo da draußen fern von uns abspielt und wir nicht daran teilhaben können, habe ich beschlossen, wenigstens einen Teil von unserem Alltag nach draußen zu tragen.
Wir sind zwar isoliert, aber wir sind trotzdem da. Und vielleicht hilft unser Blog ja auch ein bisschen, zu verstehen…
Über uns
Ich lebe mit meinem Sohn, the Kid, in München. Als Biologin habe ich früher mit Tieren gearbeitet (hauptsächlich Hunden, aber auch Luchsen, Vögeln und Affen), ihr Verhalten erforscht und ihnen bei Problemen geholfen. Ich habe Ratgeber und Fachartikel geschrieben, war tagelang in der Natur unterwegs, monatelang in fremden Ländern, und habe Interessierten ihre Besonderheiten erklärt.
Seit the Kid da ist, besser: seit seine Krankheit in unser Leben getreten ist, habe ich keine Zeit mehr, bei Wind und Wetter durch die Natur zu stapfen, aber auch nicht, mich stundenlang hinter meinem Schreibtisch zu verschanzen und mich Forschungsarbeiten zu widmen. Meine Gedanken wandern einfach immer wieder zurück zu „unserem Thema“, vor allem wenn mich dieses bezaubernde, kleine, zahnlose Wesen durch die Gitterstäbchen seines Laufställchens anlacht und Mamas Aufmerksamkeit einfordert.
The Kids Erkrankung ist auch eine Laune der Natur, wenn man so will. Ca. eines von 15 000 Neugeborenen hat diese Form der Gallengangsatresie, bei der die Gallenflüssigkeit nicht abfließen kann, und die Leber sich innerhalb kurzer Zeit selbst vergiftet. Was zur Folge hat, dass den Kindern früher oder später eine Lebertransplantation blüht. Bei uns war es früher.
The Kid hat seine neue Leber, seit er drei Monate alt ist. Und seitdem ist nichts mehr wie es war. Denn ein neues Organ zu haben, bedeutet nicht automatisch, dass jetzt alles gut ist.
Wenn ich nun also zwischen Spielen, Kuscheln, Trösten, Waschen, Wickeln, Putzen, Wischen, Desinfizieren, Vaporisieren, Arztterminen und 'Sorgen machen' einmal 10 Minuten Zeit finde, dann schnappe ich mir meinen Laptop und schreibe über unser wunderbares, anstrengendes, beängstigendes, manchmal einfach nur komisches, etwas anderes Leben, das viel zu oft zwischen Angst und Hoffnung schwankt. Wie sagt man so schön: Wenn es nicht zum Weinen wäre, wäre es zum Lachen oder auch umgekehrt.
Einleitung
Der Tag, an dem mein drei Monate alter Sohn völlig unvermittelt in die Klinik kam, hat unser gesamtes Leben verändert. Und dennoch sind wir dankbar, dass wir lebend da raus gekommen sind. Trotzdem begleitet uns die Angst seitdem. Hauptsächlich mich. Denn ich versuche natürlich, meinem Kind ganz viel Hoffnung und Mut zu schenken. Im Alltag geht das meistens. Wenn es mal wieder kritisch wird, ist das Ganze für mich eine Bewährungsprobe.
Anfangs war da nur der Versuch, überhaupt wahrzunehmen, wo wir jetzt stehen, es zu schaffen, zu überleben. Und ich dachte damals noch, dass es mit der Zeit leichter wird.
Dann fing ich an, über unseren Alltag zu schreiben, den Alltag in einer besonderen Situation und den Versuch, der Außenwelt ein wenig ein Gefühl dafür zu geben, wie es ist, ein Leben im Schatten einer chronischen, lebensbedrohlichen Welt zu führen.
Ich begann zu bloggen und das Feedback war erstaunlich, vor allem, weil ich merkte, es geht nicht nur uns so.
Tatsächlich gibt es Familien mit Kindern, die unter einer chronischen Krankheit oder Behinderung leiden. Die Lobby für diese Familien ist klein. Es gibt kaum Hilfe und Unterstützung und die meisten Eltern werden zwangsläufig in eine Ecke gedrängt, wo sie sich allein gelassen fühlen. Man fühlt sich isoliert von der Welt da draußen, nicht nur, wenn das Kind, wie meines unter Immunschwäche leidet und deshalb tatsächlich oft isoliert ist. Es ist auch das Nicht-gesehen-werden, das fehlende Verständnis, und vielleicht auch eine gewisse Hemmung, die die normalen Menschen von uns trennt.
Oft war es dieses „Nicht-gesehen-werden“, das alles noch viel schwerer gemacht hat, mit dieser bedrohlichen Situation umzugehen.
Je ausgeschlossener ich mich fühlte, umso schwerer wurde die Last. Und dann las ich einem Forum den Spruch: Wir lassen uns durch die Krankheit die Freude am Leben nicht nehmen.
Mein Sohn und ich sind nicht die einzigen, die in einer solchen Situation leben. Alleine mit seiner Erkrankung wird eines von 15 000 Kindern geboren. Das bedeutet jährlich erkranken 35-40 Kinder an der Gallengangsatresie. Das ist nicht viel. Doch für jeden einzelnen Betroffenen, die Welt.
Manche kommen besser damit zurecht. Der Verlauf ist einigermaßen harmlos, für andere bedeutet es das Ende. Ich habe in den 5 Jahren seit der Geburt meines Sohnes viele erlebt, bei denen alles viel einfacher lief, aber auch mindestens genauso viele, bei denen alles viel schlimmer war.
Manche hatten Familie oder Freunde, die sie unterstützten, Geld macht es auch sehr viel einfacher, andere mussten alles mit sich alleine ausmachen. Viele Ehen sind an den Erkrankungen ihrer Kinder zerbrochen, oder an den Begleitumständen, andere wiederum hat es zusammengeschweißt und sie haben trotz aller Widrigkeiten ihre Familie mit weiterem Nachwuchs noch vergrößert.
Unsere Geschichte steht stellvertretend für viele andere Familien mit Kindern, die eine chronische oder lebensbedrohliche Erkrankung haben.
Ihnen allen ist gemein, dass das Ganze nicht spurlos an ihnen vorüber gezogen ist.
Manche schaffen es trotzdem, ihr Leben zu genießen. Wie schafft man das, wenn die Angst immer dabei ist? Es gibt so viele unterschiedliche Widrigkeiten, die einem das Leben schwer machen können. Krankheiten oder Behinderungen, Verlust, Hass, schmerzhafte Entscheidungen, Kriege, Existenzängste, Trauer. Jeder kann in Situationen kommen, die ihm die Lebensfreude nehmen.
Ich habe in den vergangenen Jahren versucht, eine Lösung zu finden, das Leben wieder zu spüren, nicht nur mit seinem Leid, sondern auch mit seinem Glück und der Lebensfreude.
Teil 1
Wie alles begann
Mein Bruder, der im fernen Kanada lebt und für den ich ursprünglich mit dem Schildern unserer Situation begonnen habe, schlug mir vor einiger Zeit vor, zu beschreiben, wie alles begann. Ich habe lange darüber nachgedacht. Schließlich wäre es meinen LeserInnen gegenüber nur fair, etwas Genaueres über unsere Situation zu erfahren. Ich habe wirklich lange darüber nachgedacht und mir die Entscheidung nicht leicht gemacht. Aber ich kann nicht darüber erzählen. Noch nicht.
Es fehlen mir die Worte, um zu beschreiben wie es ist, wochenlang in der Klinik zu sein. Jeden Morgen aufs Neue beim Aufwachen nicht zu wissen, ob dein Kind den Tag überlebt. Jeden Tag aufs Neue mit Todesangst zu beginnen. Noch bevor man aus dem Bett steigt, bevor man die Augen öffnet, zu spüren, wie die Angst sich von der Wirbelsäule aus den ganzen Körper entlang frisst und alles lähmt, was Hoffnung ist, oder Leben, oder sich echt anfühlt. Ich kann und möchte das nicht beschreiben.
Deshalb alles nur in ein paar kurzen Worten: Als mein vermeintlich gesunder Sohn zwei Monate alt war, verstärkte sich eines Abends mein ungutes Gefühl (das schon vorher immer wieder mal aufgeflammt, aber von Kinderärzten und Hebammen als übertrieben abgetan worden war) so sehr, dass ich mitten in der Nacht in die Notaufnahme fuhr. Zu dem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass wir die nächsten drei Monate nicht