Two in Isolation. Linn Marie Flow
dass Zucchini so gesund sei, weil sie unter anderem besonders viel Kalium enthalte. Seitdem zweifel ich an dem Wahrheitsgehalt sämtlicher Artikel in dieser Zeitschrift. Wenn sie es nicht mal schaffen, den Kaliumgehalt einer simplen Zucchini zu recherchieren, kann ich wohl davon ausgehen, dass auch alle weiteren Informationen in dieser Zeitschrift nur geraten sind.
Woher ich das so genau weiß? Nun, ich bin der Kaliumprofi, und ich koche drei Mal pro Woche Zucchini für the Kid, weil sie eben verhältnismäßig wenig Kalium enthält. Sie gehört zu den wenigen Gemüsesorten, die ich nicht über Nacht wässern und dann stundenlang in der zehnfachen Menge Wasser kochen muss, bis sämtliche wasserlöslichen Vitamine und Mineralstoffe mit dem Kochwasser weggeschüttet werden können. Denn fast alles, was gesund ist, enthält Kalium, und Kalium ist Gift für the Kid.
Seit der Transplantation und der entsprechenden Medikamenteneinstellung hat the Kid erhöhte Kaliumwerte. Akut bedeutet das, dass ein zu hoher Kaliumwert einen Atem- und Herzstillstand auslösen kann. Auf lange Sicht deutet es darauf hin, dass the Kid durch die Medikamente einen Nierenschaden bekommt. Dann muss ich jetzt wohl auch meine Niere schonen, ich hab ja noch ein Organ vorrätig…
Es ist zum wahnsinnig werden, wenn man genau darüber nachdenkt. Aber das kann ich mir nicht erlauben. Denn zur Zeit kann ich nichts an der Situation ändern. Ich kann mich nur damit ablenken, Gemüse klein zu schnippeln. Und damit, kaliumreduziertes Milchpulver und Reisflocken abzuwiegen. Aber bitte nicht zu viele Vollreisflocken. Die sind zu gesund, enthalten einfach zu viele Mineralstoffe.
Zum Glück gibt es diese babygerechten Reiswaffeln. Die sind der Hit und bei the Kid als Sättigungsbeilage sehr beliebt. Wenn nur nicht diese Krümel wären. Die finden die kleinste Ritze unter der Spielmatte und im Parkettfußboden. Super, wenn alles keimfrei sein soll.
In der Schwangerschaft hatte ich die besten Vorsätze. Ich war überzeugt davon, dass ich meinen Sohn von Anfang an, an die gesunde Ernährungsweise heranführen würde. Viel Gemüse, kein Zucker, kein Weißmehl. Alles wird probiert und bei „Nichtgefallen“ beim nächsten Mal anders zubereitet und nochmal probiert. Nun darf the Kid Karotten, Zucchini, Sellerie, Pastinake, Apfelbrei, Polenta und Reis probieren. Seit Wochen, jeden Tag aufs Neue. Das sind die natürlicherweise verhältnismäßig kaliumarmen und dennoch gesunden Lebensmittel. Da gäbe es zwar noch Zwiebeln und diverse Kohlarten, aber die will ich meinem Baby verständlicherweise noch nicht antun.
Aber Kartoffeln beispielsweise, die Babybreigrundlage schlechthin, sind absolut tabu. Das sind regelrechte „Kaliumbomben“. Genauso wie Tomaten. Dabei sind gekochte Tomaten doch so gesund und waren bis vor kurzem ein fester Bestandteil in meiner Küche. Oh, und meine geliebten Ofenkartoffeln in Olivenöl mit Rosmarin! Was, wenn the Kid sie später verschmäht und stattdessen täglich nach seinem Zucchinirisotto mit Apfelpolenta verlangt? Geschmack wird doch angeblich in den ersten Lebensjahren geprägt.Andererseits, je länger ich darüber nachdenke, ist das vielleicht gar nicht so schlecht. Er wird dann wenigstens nicht jeden Tag Pommes mit Ketchup essen wollen. Und während andere Kinder sich in der Pubertät fast ausschließlich von fettigen und übersalzenen Chips ernähren, wird mein Sohn stattdessen nach seinen heißgeliebten Reiswaffeln verlangen. An die Krümel werde ich mich bis dahin bestimmt gewöhnt haben.
Elternabende
Ich kann nicht mit normalen Eltern. Bitte nicht persönlich nehmen. Ich würde viel darum geben, zu normalen Eltern zu gehören. Und bevor jetzt alle auf die Barrikaden gehen, lasst mich eine kleine Geschichte erzählen.
Vor kurzem hatte ich beschlossen, mich zu einem Kurs anzumelden. Einmal die Woche für eine Stunde etwas anderes machen, unter Menschen kommen, die Isolation unterbrechen. Also habe ich mir das neueste Volkshochschulprogramm vorgenommen. Die Auswahl schien ja gar nicht so klein zu sein. Vielleicht irgendetwas mit Musik. Kinderlieder auf der Gitarre begleiten. Das klang doch ganz gut. Dann käme ich unter Menschen und würde trotzdem etwas machen, wovon auch the Kid profitiert. Außerdem habe ich früher schon Gitarre gespielt, das war zwar eher Indie, aber ich bin ja offen für Neues. Gleich am nächsten Tag wollte ich mich anmelden.
Am selben Abend wurde ich spontan auf den Geburtstag eines alten Freundes eingeladen. Der Kindsvater hatte Zeit, auf the Kid aufzupassen, und ich war seit Monaten nicht mehr aus. Die Gelegenheit konnte ich mir also nicht entgehen lassen. Endlich mal wieder einen normalen Abend mit anderen Menschen verbringen.
Und dann war ich auf dieser Party und habe es gemerkt: Ich kann nicht mit normalen Eltern. Ich hatte die Jungs und Mädels schon seit einigen Jahren nicht mehr gesehen. Es war spannend zu erfahren, wie sie sich verändert hatten. Aus Menschen, die während des Studiums keine Party ausließen, waren vernunftbegabte Eltern geworden. Ich wollte nicht, dass unsere Situation zum Thema des Abends wird. Also erzählte ich, dass auch ich einen Sohn habe und zeigte, wie die anderen, süße Fotos von meinem kleinen Fratz auf dem Handy herum. Und dann begannen die üblichen Elterngespräche. Wie toll, ich gehörte dazu, und konnte mich mit den anderen austauschen. Ein ganz neues Lebensgefühl. Mia, deren Sohn genau so alt ist wie the Kid, fragte mich, was ich tue, wenn der Kleine sich an Möbeln hochzieht. „Janni fällt ständig auf seinen Kopf. Deshalb verbiete ich ihm das jetzt. Wie machst Du das?“ Was sollte ich antworten? Mein Sohn hat durchtrennte Bauchmuskeln und ich bin froh, dass er gerade gelernt hat, sich auf den Bauch zu drehen? Stattdessen sagte ich: „Ich glaube, das ist normal. Das gehört wohl dazu.“ Zum Glück drehte sich in dem Augenblick Andreas zu uns um, früher bekannt für seine stets glänzende Single-Wohnung und nun Vater eines zehn Monate alten Sohnes und begann, mich in ein Gespräch zu verwickeln: „Ich weiß ja nicht, ob Du schon einmal in dieser Situation warst, Marie, aber bei uns läuft es momentan sehr schlecht. Unser Sohn Justus, hat seinen ersten Schnupfen. Und stell Dir vor, es geht ihm so schlecht. Wir leiden furchtbar mit.“
Ich: „Oh, das tut mir leid. So ein Babyschnupfen ist nicht schön, aber das gehört ja eigentlich schon dazu. Ich lasse meinen Kleinen dann immer inhalieren.“
Andreas: „Echt? Das ist doch ganz schrecklich für das Kind. Also Justus würde das nicht mit sich machen lassen. Ach, da hast Du es echt gut! Du weißt ja gar nicht wie schlimm das ist.“
Ich: „Doch. Ich kann mir das schon vorstellen.“
Andreas: „Nein, das glaub ich nicht. Bei uns ist das besonders schlimm. Gestern zum Beispiel, da hat er drei Stunden nicht schlafen können und heute …“
Das würde nicht gut gehen. Langsam schnürte sich mir die Kehle zu. Mein erster freier Abend seit Monaten und ich sollte ihn damit verbringen, mir die Sorgen anderer Eltern anzuhören, die mir nur vor Augen hielten, wie gut es ihnen ging. Und dann auch noch Mitleid vortäuschen? Vielleicht würde es ihnen doch gut tun zu erfahren, dass es Schlimmeres gibt?
Also habe ich doch unsere Geschichte erzählt. Eine Kurzfassung zwar nur und eine möglichst harmlose Variante, aber der Effekt war doch unerwartet. Andreas war zutiefst schockiert. Er war so aus dem Gleichgewicht gebracht worden, dass ich von mehreren Seiten darauf angesprochen wurde, wie unsensibel ich doch sei, den armen Andreas so zu traumatisieren. Das sei doch kein Thema für so einen Abend, manche Menschen würden solche Geschichten nicht verkraften. Sorry, Andreas, auch das ist die Realität. Ich kann leider keine Rücksicht auf Menschen nehmen, die es nicht verkraften, solche Geschichten zu hören. Denn ich habe sie sogar erleben müssen.
Um solche Situationen also in Zukunft zu vermeiden, habe ich folgendes beschlossen: In den zwei Stunden, die ich pro Woche frei habe, werde ich etwas tun, das absolut nichts mit Kindern zu tun hat. Ich blättere durch den Volkshochschulkatalog. „Hacken für Nerds“ klingt doch ganz gut. Da geht es garantiert nicht um Babies.
Wenn Du Dein Kind nicht mehr impfen darfst
Ich habe neulich eine Freundin verloren. Das ist jetzt nicht so dramatisch, wie es im ersten Augenblick klingen mag. Sie lebt mit ihrer Familie glücklich in einem Vorort und veranstaltet gerade vermutlich eine Masernparty. Aber so genau weiß ich das nicht, denn wir haben keinen Kontakt mehr. Seit einem Streit, in dem es um Prioritäten ging.
Alles fing damit an, dass sie mich anrief und mir mitteilte, dass