Das Monster im Schatten. Andreas Ellermann

Das Monster im Schatten - Andreas Ellermann


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sie nicht sechs Krallen wie die Hände, sondern nur vier. Doch auch hier sind die eigentlichen Nagelkrallen länger als der ganze Fuß. Sie besitzen die gleiche Farbe wie die der Hände und wirken richtig tödlich spitz. Fast scheint es so, als könne die Kreatur mit einem Fuß bereits ein Tier in der Mitte zerreißen. Die Kreatur wirkt wie aus einem Albtraum entsprungen. Es ist der personifizierte Tod, der keinerlei Unterschied im Angesicht seines Opfers macht. Der Kopf selbst wirkt zum restlichen Körper regelrecht klein, beinahe menschlich. Wenn da nicht die achtundvierzig großen und breiten Zähne wären, die selbst bei normalem Tageslicht eher Messerklingen als Zähnen ähneln. Doch am schlimmsten sind die Augen.

      Die Augen sind die wahre Hölle. Aus ihrem Innerem scheint ein tiefes, dunkles, abgründiges rotes Feuer zu herrschen. Sie glühen dunkelrot auf, während es seine Hauer in die eben geschlagene Beute schlägt und genüßlich Teile des Körpers herausreißt und verschlingt. Mit seiner bekrallten Hand schlägt es nochmals in den noch zuckenden Körper des Mädchens, um den Brustkorb zu öffnen. Mit einem weiteren Griff zieht es das Herz und die anderen inneren Organe heraus, und reißt nur jene Teile ab, die es zu essen gedenkt. Dies ist einmal das Herz, die Leber, die Nieren und ein sehr großer Teil des Darmes. Der Rest des Kadavers, der inzwischen in seinem Blut schwimmt, wirkt uninteressant und wird einfach liegengelassen.

      Die Kreatur schaut nicht einmal zurück, als sie wieder in den dunkleren Teil des Bambuswaldes verschwindet. Fast scheint es, als würde sie ein Teil der Schatten. Ein Teil des wandernden Nichts.

      3. Kapitel

      Der Abend dieses ereignislosen Tages dämmerte bereits, als dem Hauptmann der Wache einige Bewohner des Nachbardorfes gemeldet wurden. mißmutig macht sich Hauptmann Asano auf den Weg. Es ist nichts ungewöhnliches daran, wenn immer wieder einmal in Takumoru Bewohner der anderen beiden Lehnsdörfer hier erscheinen. Doch an diesem Abend sind die Männer des Nachbardorfes ungewöhnlich unruhig. Selbst seinen im ersten Wachhaus stationierten Soldaten fällt dieses Verhalten auf. Die Männer lassen sich sonst wenig aus der Ruhe bringen. Heute ist alles anders. Seine Soldaten sind nervös, also rufen sie ihn, weil sie die Situation allein nicht händeln können.

      Hauptmann Asano war ein stattlicher Mann. Er war nicht kräftiger als andere, doch an ihm wirkte seine einfache Hauptmannsrüstung irgendwie mächtiger. Sein Blick traf die Bauern, die sich eingefunden hatten. Das Dorf in Richtung Aishi hatte bei den letzten Angriffen Glück gehabt und brachte nun genug ein, um selbst Takumoru mit versorgen zu können.

      Doch die Bauern waren aus einem anderen Grund so aufgebracht. Einer der Männer trat vor, verbeugte sich höflich vor dem Hauptmann und sagte dann im verwaschenen Akzent der Gegend: »Herr, eine unserer Frauen wollte heute an euren Brunnen gehen und Wasser holen. Doch sie kam bisher noch nicht zurück!«

      Hauptmann Asano besah sich den Mann näher. Er kannte ihn. Es war einer der Bauern, die sich in den vergangenen Wochen nicht eben mit guten Worten über den Kriegsherrn in seinem Dorf hervorgetan hatte. Die Wache führte eine Liste mit jenen, bei denen man mit Schwierigkeiten oder gar Ärger rechnen mußte. Im Allgemeinen ignorierte er diese Liste, doch es war immer wichtig, die Namen derjenigen zu kennen, die Ärger machen konnten, weil sie entsprechend Gehör beim einfachen Volk fanden. Der Name des Mannes lautete irgendwie auf Omaho!

      »Herr Omaho, meinen Männern fiel keine eurer Frauen auf. Und es wird bereits dunkel. Wir werden morgen früh nach ihr suchen gehen, falls sie sich bis dahin nicht wieder bei euch eingefunden hat.«

      Der Bauer wollte aufbrausen, doch einer seiner Begleiter hielt beschwichtigend seinen Arm fest. »Laß es, Hauptmann Asano wird dich bestrafen!«, sagte er dann leise. Auch hier mußte der Hauptmann einen Moment überlegen, wie dieser Bauer nun wieder hieß. Es war ärgerlich, daß sie bisher noch keine Volkszählung hatten durchführen können. In diesen Zeiten wurde dies immer wichtiger.

      Die Männer entzündeten ihre mitgebrachten Fackeln am Feuertopf der wache und gingen dann wieder den Weg zurück, den sie gekommen waren. Hauptmann Asano kannte den Weg von dem anderen Dorf bis hierher unterhalb der Festung. Sie waren bereits einige Stunden unterwegs gewesen, bevor sie sich schließlich mit der Wache anlegten.

      Hauptmann Asano ging in das Wachhaus. Wie immer schliefen die anderen sechs Wachen, die am Westtor auch mit abwechselnd Wache hielten. Widerwillig rüttelte er zwei von den sechs Männern wach. Danach ging er mit ihnen nach draußen und erklärte ihnen die Lage.

      »Aus dem Nachbardorf wird eine Frau vermißt, angeblich soll sie an unserem Brunnen Wasser geschöpft haben. Doch niemand hat anscheinend auf sie geachtet, ob sie durch das Dorf kam oder nicht. Nehmt euch Fackeln, wir gehen hoch zum Brunnen und sehen nach, ob jemand dort gewesen ist.«

      Die beiden Soldaten zeigten ihre Ehrbezeigung und gingen dann sofort zu dem winzigen Ausrüstungsraum neben ihrer kleinen Kaserne, um sich Fackeln zu holen. Als sie sich auch fertig ausgerüstet hatten, trafen sie Asano am südlichen Haupttor.

      Der Hauptmann hatte sich inzwischen auch so weit ausgerüstet. Die Wache am südlichen Tor war bereits eifrig in ihrem Dienst und öffnete das schwere Tor bereits wieder. Hauptmann Asano sah den beiden Männer der Wache fest ins Gesicht.

      »Auch ihr habt Niemanden gesehen, der sich in Richtung des Brunnens bewegte?«, wollte er dann wissen.

      Einer der Soldaten deutete eine Verbeugung an und erwiderte: »Wir sahen in der Mittagswache nur Asuka, die Tochter des Schmieds, und Suda, die Tochter des Seifensieders, wieder einmal Kräuter und Gemüse sammeln. Außerdem waren am Morgen die Bauern durch das Tor gekommen, um sich um ihre Felder zu kümmern. Keine weiteren Vorkommnisse, Hauptmann.«

      Bei diesen Worten entfleuchte Asano ein leichtes Lächeln. Seine Soldaten waren gut trainiert. Wenn sie also niemand fremdes wahrgenommen hatten, war dieser wohl auch nicht durchgekommen. Denn auf das Wort seiner Leute konnte er sich im Allgemeinen verlassen.

      Die beiden Soldaten, die ihn begleiten sollten, entzündeten an einem Feuertopf ihre Fackeln und traten hinter ihn. Die beiden Männer machten keinen sonderlich nervösen Eindruck, obwohl der nahe Bambuswald im indirekten Licht der Fackeln und der Feuertöpfe direkt hinter dem Tor schon etwas unheimliches hatte. Fast schien es, als würden rot leuchtende Augen die Männer in der Finsternis beobachten.

      Hauptmann Asano trat mit seinen beiden Leuten durch das Tor und gab noch eine letzte Anweisung: »Verschließt das Tor wieder. Wenn ihr uns wieder zurückkommen seht, öffnet ihr wieder. Aber auch nur auf ausdrücklichen Befehl, keine Eigenmächtigkeiten.«

      Ein lautes »Hai« ertönte von der anderen Seite des Tores, als es schwerfällig Wieder in seinen Rahmen fiel. Der Hauptmann mußte sich keine weiteren Sorgen machen. Wenn es also etwas in diesem Bambuswald gab, würden sie es finden. Womöglich hatte die Wasserträgerin nur einen anderen Weg genommen.

      Am kommenden Morgen würde er dies dann mit den Bauern genauer überprüfen gehen. Jetzt wollte er sich erst einmal einen kleinen Überblick verschaffen. Auch wenn Asano und seine Soldaten trainierte Soldaten waren, war der gut dreißig Meter lange Anstieg in den Bambuswald eine anstrengende Angelegenheit. Selbst ein geübter Krieger konnte am Scheitelpunkt, an dem die Abzweigung zum Brunnen lag, außer Puste geraten.

      Die drei Männer erreichten mit ihren blackenden Fackeln die kleine Wegkreuzung. Sie schwenkten ihre Fackeln ein wenig, das Licht flackerte unheimlich. Dann schrie mit einem Mal einer der Soldaten auf.

      Der Hauptmann und der andere Soldat traten sofort zu ihm. Jetzt sahen sie gleichfalls die Bescherung. Neben dem Weg, halb im Gras, lag ein halb ausgeweideter Kadaver. Der Kimono war halb vom Körper gerissen und zerfetzt, genauso wie der Kadaver selbst. Hier war eine grausame Bestie am Werk gewesen. Das Gesicht der jungen Frau war noch gut zu erkennen, doch alles war blutverschmiert und eine kleine Blutpfütze hatte sich unter dem Leichnam gebildet.

      Der graue Kimono war nun eher rot, genauso wie der weiße Unterstoff. Beides sah aus, als wäre es in Himbeersirup getränkt worden. Doch viel schlimmer war es die geöffnete Bauchhöhle zu sehen, in der wirklich nichts mehr außer den Lungen vorhanden war. Ein Teil des Gedärms lag neben dem Leichnam, andere Stücke lagen ein wenig abseits. Die Lungen wirkten gleichfalls


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