Kalter Krieg im Spiegel. Peter Schmidt

Kalter Krieg im Spiegel - Peter Schmidt


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den Fall, dass doch etwas »an der Sache« dran sei. Klammheimlich, verstehe sich, und immer in Kirchen weit genug vom Zentrum.

      Peinlich werde es, meinte Barbara, wenn er das Heizöl zwei Winter im Voraus bestelle, die Händler besäßen dafür keine Terminbücher.

      »Ach«, sagte ich und ahnte mit einem Male, welcher Marotte mein angeblicher Chefstatus zu verdanken war. Womöglich würde er auch Kofler vorsorglich beseitigen lassen, falls ich Zweifel an seiner Unschuld äußerte.

      »Das wussten Sie nicht, habe ich recht?«, fragte Barbara. »Als Mitarbeiter verstellt er sich, wo es geht, aber als Privatmann ist er eine ziemlich lächerliche Figur. – Herrgott ….«‚ sie sah auf die Uhr. »Nun muss ich aber wirklich gehen.«

      Nur mühsam brachte ich sie dazu, sich mit mir fürs Wochenende zu verabreden.

      »Ich mag Sie. Aber ich weiß nicht, ob ich Ihnen trauen kann.«

      »Wenn Sie mir einen Gefallen tun wollen, dann besorgen Sie mir einige von den Papieren, die ich angeblich unterzeichnet haben soll«, bat ich, als sie schon im Wagen saß.

      »Mit dem C für Chef?«

      »Mein Name ist Cordes.«

      »Sie haben den Mädchen sicher viele Geschichten erzählt – na schön, ich will sehen, was ich tun kann.«

      7

      Der Arzt war ein schweigsamer Mann in dunklem Anzug mit einem Köfferchen in der Hand. Sein zurückgekämmtes Haar über der hohen Stirn war ergraut. Er hatte das Eisentürchen neben dem Fahrstuhl mit einem Zweitschlüssel geöffnet, die vereinbarte Dreiundzwanzig in das Tipptastenfeld eingegeben, worauf oben in der Wohnung das Signal ertönt und Kruschinsky hinuntergefahren war, um ihn abzuholen. Er sah aus wie ein Doktor auf Hausbesuch. Ich kannte ihn nicht (F. tauschte solche Mitarbeiter gern nach jeder Aktion aus).

      Das dünne Bärtchen über seiner Oberlippe verschob sich nur einmal, als er mir die Hand gab und – unmerklich lächelnd – »eine Identifizierung …«, murmelte.

      Den Rest wickelte er ohne Umstände und mit solcher Schnelligkeit ab, als sei es Alltagsroutine. Er legte die Masse für den Zahnabdruck heraus, eine Mappe mit Aufzeichnungen, farbigen Diagrammen und Röntgenbildern, hängte sich das Stethoskop um den Hals und bat Kofler, den Oberkörper freizumachen.

      »Kontrolle Ihres Gesundheitszustandes!«, sagte er. »Wir möchten, dass Sie sich bei uns wohl fühlen. Zum Schluss noch ein Vergleich mit Ihrem zahnärztlichen Befund – so ist die Vorschrift. Natürlich wissen wir, dass Sie der Mann sind, für den Sie sich ausgeben« – er zuckte die Achseln – »Routine, Behördenkram, Sie kennen das ja.«

      Dann begann er zu arbeiten:

      Er klopfte Koflers Rücken ab, verglich die Biegung seiner Wirbelsäule mit zwei Röntgenaufnahmen, tastete nach einzelnen Wirbeln, strich mit den Fingernägeln über seine Haut, um an der Rötung den Kreislauf und die Durchblutung zu beurteilen, sah ihm in den Rachen, studierte eine Weile mit dem Augenmikroskop seine Iris, horchte den Herzschlag ab, leuchtete ihm in die Ohren – und erkundigte sich, als er fertig war:

      »Wollen Sie eine Vitaminspritze?«

      Kofler schüttelte den Kopf.

      »Dann nehmen wir jetzt den Gebissabdruck. Bitte setzen Sie sich. Bitte den Kopf zurücklehnen …«

      Er mischte die Masse im Glas an und warf mir, während er rührte, einen desinteressierten Blick zu. Ich war erleichtert dass, dass Kofler die Prozedur ohne Protest über sich ergehen ließ. Als ihm die Silikonmasse unter den Oberkiefer gedrückt wurde, sah er mich wie ein weidwundes Reh an, verbis sich aber jeden Kommentar.

      »Stillhalten jetzt«, sagte der Doktor. Er presste die Masse gegen den Gaumen, hielt sie mit drei Fingern angedrückt, und Kofler atmete mit weit geöffnetem Mund, den Kopf und Nacken über die Sessellehne zurückgebeugt, schnaufend durch die Nasenlöcher ein und aus. Er tat mir leid. Ich ahnte, dass er unschuldig war. Und ich tat mir selbst leid – denn seine Unschuld würde uns beiden eine Menge Ärger einbringen.

      Man hatte auf eine Identifizierung durch den Vergleich seiner Fingerabdrücke verzichtet, denn die Muster bei den Behörden waren zu leicht austauschbar. Um an dagegen die übrigen Daten zu gelangen, musste die andere Seite wie wir in Arztpraxen und Krankenhäuser einbrechen oder das Personal bestechen. Ich nahm die Mappe mit der Krankengeschichte zur Hand:

      Kofler hatte sich zur fraglichen Zeit tatsächlich den Unterarm angebrochen.

      Kruschinsky kam aus dem Nebenzimmer und reichte mir einen Textstreifen aus dem L.D.A. Ich las ihn und steckte ihn in die Jackentasche.

      »Für einen Mann Ihres Alters kein schlechtes Gebiss«, stellte der Doktor fest, als er den Abdruck herausgenommen hatte. Er verglich ihn mit einem Wachsabdruck, der eingewickelt vor ihm lag. »Gut, das wär‘s. Wünsche einen angenehmen Abend.« Dann packte er alles in sein Köfferchen und ging zur Fahrstuhltür. »Eindeutig Kofler«, nickte er mir zu. »Ein gesunder, starker Mann. Könnte hundert Jahre alt bei uns werden.«

      Nicht mal der Ansatz eines ironischen Lächelns war in seinem Gesicht, als er mit Kruschinsky den Fahrstuhl betrat.

      »Und …?«, erkundigte sich Kofler – wir hatten uns an den Tisch gesetzt –, »kein Agent der Warschauer-Pakt-Staaten?« Seine Augen funkelten, und sein Kopftick beschrieb eine vergnügte Aufwärtsbewegung.

      »Nehmen Sie ernsthaft an, jemand habe Sie dafür gehalten?«

      »Ehrlich gesagt, ja

      »Dann war Ihr Ausflug so etwas wie der Versuch, uns Ihre Harmlosigkeit zu demonstrieren?«

      »Nein, zu dem Zeitpunkt war ich noch ganz arglos.«

      Ich zuckte die Achseln und schlug meine Mappe auf.

      »Eines ist mir noch unklar. Nämlich Ihr Verhältnis zur Mehrheitsdemokratie. Es scheint, dass Sie das Verfahren ablehnen? Dabei handelt es sich um eine Äußerung, die Ihnen im Westen viel Zulauf eingebracht hat – Zulauf aus radikalen Kreisen. Man wertet das nicht gerade als Plädoyer für unsere freiheitliche Verfassung. Allerdings ist manch einer bei uns, der zu den dreißig, vierzig oder gar neunundvierzig Prozent einer Minderheit gehört, der Abstimmungsverfahren überdrüssig und bezeichnet sie als ‚Diktatur des einundfünfzigsten Prozents’. Offenbar vertreten auch Sie die Meinung, an die Stelle des Mehrheitsprinzips müsse das Kompetenzprinzip treten?«

      »Keine Bindung an Besitz, Rang, Namen oder Funktionen«, nickte Kofler. »Selbst wenn man das gegen mich auslegt. Ich berufe mich da auf den finnischen Staatspräsidenten Kekonen, eine falsche Politik werde auch dann nicht richtig, wenn das Volk sie wolle.«

      »Man wird Ihnen das als undemokratische Beliebigkeitshaltung auslegen. Wer entscheidet über Kompetenz?«

      »Es kommt darauf an, wie man einen solchen Grundsatz handhabt. Auch der Westen praktiziert keine echte Mehrheitsdemokratie. Es entscheiden die Experten.

      Sie sehen das an der relativen Wirkungslosigkeit von Demonstrationen. Niemand veranstaltet deshalb eine Volksabstimmung – auch nicht, wenn sich einige tausend Menschen in der Bonner Innenstadt versammeln. Aber die Experten müssen guten Willens sein. Sie dürfen nicht an ihren Ministersesseln kleben, sie dürfen nicht dem Großkapital zuarbeiten. Wir überleben nur, wenn wir den kategorischen Imperativ jeden Augenblick aufs neue zur echten Maxime machen.«

      »Ihr Wort in Teufels Ohr«, sagte ich. »Gut – vertagen wir die offizielle Vernehmung. Ich habe noch eine Flasche Rotwein im Schrank … wenn Sie Lust auf ein Gläschen haben?«

      »Gern«, nickte er.

      Ich ging hinaus, um die Flasche zu holen, Kruschinsky plagte sich im Nebenraum mit dem Notizbuch. Einige Blätter, auf denen er verschiedene Entschlüsselungsmethoden durchprobiert hatte, lagen verstreut auf dem Tisch.

      »Aus Ihrer ‚halben Stunde’ wird nach und nach eine halbe Woche?«, sagte ich.

      »Es


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