Flammenkiller. Nick Stein

Flammenkiller - Nick Stein


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      FLAMMENKILLER

      Ostfrieslandkrimi

      Lukas-Jansen-Reihe

      Nick Stein

      Wenn die Strompreise so weitersteigen,

      könnte irgendwann sogar das Licht

      am Ende des Tunnels nicht mehr bezahlbar sein.

      (Unbekannt)

       Kapitel 1

      »In Amerika ist eine Leiche gefunden worden!«, hörte ich draußen auf dem Gang die Stimme der Leiterin des Kommissariats, Erika Meier.

      »Und in Schanghai ist ein Sack Reis umgefallen«, kommentierte leise Hinnerk Jaspers, der mir gegenüber an unserem runden Besprechungstisch saß.

      Die Tür zu unserem LKA-Büro im ersten Stock wurde weiter aufgestoßen. »Das habe ich gehört!«, rief die empörte Erste Kriminalhauptkommissarin. »Das war ernst gemeint. Im Ortsteil Amerika von Friedeburg liegt ein erschossener Mann in einer Badewanne auf einer Wiese. Wollen Sie mitkommen?«

      Ich winkte ab. »Wenn das ein Verbrechen gegen die Umwelt ist, gerne«, kommentierte ich. »Badeunfälle fallen leider gerade nicht in unseren Bereich.«

      Die hübsche Kommissarin schüttelte verständnislos ihr intelligentes blondes Lockenköpfchen und zog sich wieder zurück. »Dann eben nicht.«

      Ich ließ langsam von meinem Löffel etwas Sahne im Uhrzeigersinn in meinen Tee gleiten, während sie leise die Tür wieder halb zumachte. Niemand hier in Wittmund arbeitete hinter geschlossenen Türen, auch das LKA nicht.

      Ich war vor zwei Wochen nach langer Wartezeit endlich vereidigt worden und war nur offiziell Kommissar für Verbrechen gegen die Umwelt beim LKA Niedersachsen, mit dem Arbeitsbereich Ostfriesland und Umgebung. Ich sollte auch den Bereich OK übernehmen, Organisierte Kriminalität, aber das war noch nicht offiziell. Mit mafiösen Vereinen und politisch motivierten Straftätern hatte ich in meinen letzten Fällen schon zu viele Erfahrungen machen dürfen.

      »Schade«, kommentierte Svantje Geerts, die Verwaltungsfachfrau unserer kleinen Abteilung in Wittmund. »Das wäre mein erster Mord gewesen.«

      »Ich wusste gar nicht, dass Mord jetzt ein Einstellungskriterium bei uns ist«, frotzelte Hinnerk Tjaden, der Fallanalytiker aus Emden, der mit seinen einundsechzig Jahren unserem kleinen Team als erfahrener Beamter zugeteilt worden war. »Habe ich da was verpasst?«

      »Es passiert gar nichts«, wechselte ich das Thema. »Ich habe die Sahne falsch rum in meine Tasse gegossen, er schmeckt trotzdem genauso gut wie sonst. Die Welt steht noch. Ich hatte mit Schlimmerem gerechnet.«

      Wie jedermann weiß, kommt zuerst ein Kluntje in die Tasse, dann der heiße Tee darüber, und dann kommt die Sahne aus dem Löffel langsam entgegen dem Uhrzeigersinn am Rand in die Tasse, damit sich die kleinen Quellwölkchen bildeten, die nach und nach im roten Tee aufstiegen, die Wulkje.

      Anschließend trinkt man langsam und ohne umzurühren. Erst die wolkige, sahnige Schicht, dann den kräftigen roten Tee, und schließlich die süße Bodenschicht. Mindestens drei Tassen davon, denn das ist verbrieftes Ostfriesenrecht.

      »Ich meine, meine erste Leiche«, verbesserte sich die bohnenstangendürre Svantje und schüttelte dabei ihren roten Haarschopf. Wir hatten uns alle gefragt, was sie bei der Polizei wollte, wo sie mit ihrem roten Afro doch auch als Leuchtturmwärterin hätte arbeiten können, sogar ohne Leuchtturm.

      »Sag ich doch«, grinste Hinnerk und zog an seiner kalten Pfeife, was er immer tat, wenn er sich freute. »Dass man hier nur mit einer Leiche reinkommt.«

      »Blödmann«, sagte sie. »Das könnte doch ein wichtiger Fall sein. Wozu sind wir denn bei der Polizei?«

      Wir verstanden uns schon ganz gut nach den ersten zwei Wochen.

      »Wir können hier gar nicht weg, Svantje«, erklärte ich ihr. »Nicht bei den Keksen, die du immer mitbringst.« Ich kaute gerade auf einem, den sie aus übrig gebliebenem Spekulatius gemacht hatte. Zwei Scheiben aufgebackener Spekulatius, dazwischen eine Schicht aus Mascarpone, Kirschen, Rumrosinen und Schokostreuseln, mit einer halb geschmolzenen Praline obendrauf. Eine ihrer fantastischen Sorten.

      »Außerdem, was willst du denn in Amerika, mit einem bereits toten Mann in einer Badewanne«, machte Hinnerk weiter. »Zu dieser Jahreszeit baden! Bist du doch viel zu jung für, ist zu weit weg, und was Lebendiges wäre viel besser für dich.«

      »Menno!«, schimpfte unser Leuchtturm. »Verarschen kann ich mich alleine. Das weiß doch jeder hier oben, dass das ein Ortsteil von Friedeburg ist. Ist praktisch gleich um die Ecke, es gibt sogar einen Wanderweg von Rußland nach Amerika, bin ich schon gelaufen.«

      Svantje kam aus Esens und kannte sich aus. Sie hatte in Oldenburg studiert und war seit einem halben Jahr fertig.

      Bisher hatten wir uns hier gerade erst eingerichtet. Vorher hatte ich als Kommissar zur Anstellung nur einen winzigen Raum zur Verfügung gehabt, jetzt hatten wir zwei größere Räume, mein Büro mit dem Besprechungstisch und einem Konferenztelefon, und das Büro von Hinnerk und Svantje, in dem sie sich an zwei Tischen gegenübersaßen.

      Hinnerk stand zwar rangmäßig über mir, als Oberkommissar, fungierte aber eher als mein Berater und Analyst.

      Ich nahm mir einen von Svantjes anderen Spezialkeksen vor. Die waren tiefgrün, wegen der Minze darin, wie sie sagte, mit Honig, Sahne und Krokantbrocken drauf. Nach ihrem Genuss wurde mir immer wunderschön leicht im Kopf, und ich konnte ohne große Anstrengung planlos vor mich hin denken und alles Wichtige irrelevant erscheinen lassen. Bisher hatte sie diese Kekse für unser Revier im Revier reserviert.

      »Hier oben passiert praktisch täglich ein Mord«, setzte Hinnerk Svantje auseinander. »All diese Ostfrieslandkrimis handeln doch von nichts anderem. Die Bronx ist ein Kinderspielplatz dagegen, so viel ist hier oben los.«

      »Ha, ha«, sagte sie. »So was von. Ach, kommt, seid nicht so sture Ostfriesen! Frau Meier hat uns extra eingeladen. Dann bringe ich morgen auch wieder meine Spezialkekse mit.«

      Ich beäugte den zur Neige gehenden Vorrat auf dem Teller in der Mitte des Tisches. Wenn etwas noch bedrohlicher ist als Mord, dann kein Tee und keine Kekse. Etwas Schlimmeres konnte ich mir kaum vorstellen. In Aurich sollte mal ein Mann grausam mit Teeentzug zu Tode gefoltert worden sein; so etwas wollten wir hier nicht erleben.

      Wir hatten bereits auf eine andere Teesorte umstellen müssen, weil meine Lieblingsmischung alle war. Schlimm genug. Und dann noch keine Kekse oder alternativ keine Ostfriesentorte?

      Ich sah aus dem Fenster. Für einen Wintermonat hatten wir ziemlich gutes Wetter, die Sonne schien, am Wall hinter der Wache sah ich einen ersten blauen Krokus oder Märzenbecher aus dem Laub lugen.

      »Na gut, überzeugt. Ab nach Amerika, Leute.«

      Wir tranken unseren Tee aus, Hinnerk und ich packten uns noch ein paar Kekse in die Tasche, bevor wir runter zu meinem Auto gingen. Hinnerk stopfte sich unterwegs seine Pfeife, ohne die er nie das Haus verließ, auch wenn er so gut wie nirgends rauchen durfte.

      Blaulicht brauchten wir nicht, wir waren auch so in einer guten Viertelstunde in Amerika. Nach Rußland, einem anderen Ortsteil von Friedeburg, war es auch nicht viel weiter.

      Amerika hatten die Ansässigen die damalige sehr arme Siedlung eher zynisch genannt, weil dort die Auswanderer hingingen, die sich die Überfahrt ins richtige Amerika nicht leisten konnten. Sie hatten dort lange Zeit in Behausungen aus Grassoden gewohnt. Statt im Land der unbegrenzten Möglichkeiten waren sie im Ortsteil der begrenzten Unmöglichkeiten gelandet.

      Bei Rußland waren die Leute geteilter Ansicht. Wegen eines Köhlers gab es immer viel Ruß im Ort; die karge Heide erinnerte damals manche an die Tundra, eine andere Version besagte, dass ein grob aussehender Mann wie ein Russe gewirkt hätte.

      Meine eigene Version war, dass Ostfriesland im neunzehnten Jahrhundert kurz zu Russland gehört hatte, vielleicht hatte das jemand mit diesem Ort verbunden.

      Wir


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