Flammenkiller. Nick Stein
»7909 Schräger ABC, schlag das bitte nach, Johanna.«
Er rollte die Geldscheine auseinander, alles Fünfziger, wie ich sah. »Achthundertfünfzig Euro und drei Euro siebzig in Münzen«, fasste er zusammen. »Und jetzt wollen wir mal sehen, wem man hier das Lebenslicht ausgeblasen hat, Freundchen.«
Nacheinander zog er mehrere Kreditkarten und Ausweise aus den einzelnen Täschchen.
»Viktor Gussew«, las er vor. »Auf allen Dokumenten identisch.« Reemtsma sah sich weitere Papiere an, darunter eine Visitenkarte, die in einem Fach gesteckt hatte.
»Der Mann ist Russlanddeutscher, wohnt in Oldenburg, nach seiner Karte gehört ihm dort eine Werbeagentur. Logo ist ein schnell fahrender alter VW-Bus im Hippie-Design, der Name darauf liest sich Sapientibus. Wenn da einer was mit anfangen kann.«
»Alter und Wohnort?«, fragte Meier. Reemtsma las vor, sie notierte sich alles Wissenswerte.
»Wie kann denn ein Bus auf einer Visitenkarte schnell fahren?«, flüsterte Svantje mir zu, ihr flammendes Drahthaar kratzte mich am Ohr. »Was meint er?«
»Na ja, da werden so Striche oder Wölkchen hinter ihm hochstieben«, vermutete ich. »So grafisch.«
»Dahinten kommt der Arzt«, Hinnerk wies mit der Pfeife auf ein weißes Auto mit Wilhelmshavener Nummer, das gut sichtbar ein Notarzt-Schild hinter der Windschutzscheibe stehen hatte. »Und hinter ihm der Bestatter.«
»Dann sind wir ja jetzt komplett«, fand Erika Meier. »Ich für meinen Teil habe genug gesehen.« Sie tippte sich an den Schirm ihrer Mütze, die sie wie immer aufhatte. »Kollegen.«
Hinnerk zündete sich gerade das nächste Pfeifchen an. »Wir sollten auch bald fahren, es ist kalt hier draußen in Amerika«, schlug er vor. »Ich möchte aber noch bleiben, bis der Arzt kommt. Rein aus Neugier.«
Du möchtest doch nur deine Pfeife zu Ende rauchen, dachte ich. Aber ich war selbst auch neugierig.
»Ich brauche was zu essen«, stöhnte Svantje. »Auch wenn mir immer noch schlecht ist.«
»Ich frage mich, warum die einen Russen ausgerechnet in Amerika erschießen«, überlegte ich laut. »Soll uns das was sagen?«
Niemand antwortete mir. Hinnerk sah mich an. »Muss uns nicht interessieren«, fand er und zog an seiner Pfeife, um sie in Gang zu halten. »Irgendeine Mafia-Geschichte, vermute ich. Das sieht doch nach einer Hinrichtung aus. Und die Mörder wollten, dass er gefunden wird, mit Papieren und allem. Wer hatte die Leiche eigentlich gefunden?«
Die Chefin der Kripo war schon weg, aber ein junger Ermittler war noch da und hatte sich zu uns gesellt.
»Ein Bauer aus Amerika«, berichtete er. »Der wollte seine Pferde wieder auf die Weide stellen, hier ist noch gutes Gras, vorher wollte er die Maulwurfshaufen beseitigen, damit sich die Gäule nicht die Hufe brechen. Der Mann war völlig verstört, hat mit dem Fall nichts zu tun.«
»Ich frag ja man bloß«, sagte Hinnerk abwehrend. »Zu tun haben wir damit ja nicht.«
»Außer es ist OK«, fand Svantje.
»Meinerseits ja«, sagte der junge Ermittler, dessen Namen ich vergessen hatte.
»Nicht okay, sondern OK, großes O, großes K, wie in Organisierte Kriminalität«, erklärte ihm der Leuchtturm und schüttelte ihr Kopfhaar, sodass die Spatzen aus den umliegenden Büschen das Weite suchten. »Dann hätten wir damit schon zu tun.«
Hinnerk und ich sahen uns an. Jetzt halste uns die lange Dürre auch noch Arbeit auf, dachten wir wohl beide. Obwohl eine lange Dürre eher in den Bereich Umwelt fiel, aber vorerst noch nichts Kriminelles hatte.
»Ich werde dann nach dem Wagen des Toten suchen, anschließend werden wir seine Wohnung und seine Firma durchsuchen müssen«, verabschiedete der Jungermittler sich. »Wenn einer von euch eine gute Idee hat, lasst es mich wissen, ja?«
Wir nickten. Hinnerk hatte genug geraucht und klopfte seine Pfeife auf einem altersschwachen Zaunpfahl aus. »Denn wulln wi ok wedder na Huus«, fand er.
»Das war er also, mein erster Mord«, fasste Svantje zusammen, während sie einen Blick auf den ältlichen Amtsarzt warf, der mit seiner Arbeit begonnen hatte. Tod durch Erschießen, mehr konnte der wohl kaum den Totenschein schreiben, nahm ich an.
»Du warst das also wirklich«, nahm Hinnerk den Faden aus dem Büro wieder auf. »Clever gemacht, Svantje, also wirklich.«
*
Es war immer noch Montag, inzwischen aber schon lange Mittag durch. Svantje hatte noch von Amerika aus drei Pizzen aus dem La Bella bestellt, das gleich um die Ecke des Reviers lag. Bestellungen von der Polizei wurden stets sofort erledigt, und kaum standen wir vor unserem Backsteinbau, als auch der Pizzabote schon beim diensthabenden Beamten Einlass begehrte und bekam. Wir hatten unsere Pizza gleich mit hochgenommen und verzehrt.
Und dann hatten wir wieder Langeweile. Für Tee und Kekse war es noch zu früh, Svantje holte trotzdem welche von zu Haus und bereitete uns auch einen Tee zu. »Neue Mischung bringe ich auch mit«, versprach sie uns.
Richtig zu tun hatten wir nicht. Die Leute wurden immer umweltbewusster, die Zahl der Verbrechen gegen die Umwelt nahm stetig ab. An manchen Tagen waren wir zusammen mit den Zwillingen und Lisa am Strand Müll sammeln gefahren, um als Polizei ein gutes Beispiel zu geben, ich sogar in Uniform, man stelle sich das vor.
Warten hieß bei uns abwarten und Tee trinken. Ich hatte schon eine Tasse gehabt und mir gerade die zweite über den Kandis gepladdert, als mir einfiel, dass ich mir vormittags die Sahne verkehrt herum eingegossen hatte, und sofort war etwas passiert. Ein toter Russe war in Amerika aufgetaucht.
Ich griff zum Kännchen und zum Löffel und goss mir so viel Sahne auf den Löffel, dass er gestrichen voll war. Für so etwas brauchte man die richtige Muße, mal eben schnell eine Tasse Tee, das ging nicht.
Ich fuhr mit dem geneigten Löffel wieder im Uhrzeigersinn am Tassenrand entlang und entlud den Inhalt in das dunkelrote Gebräu. Wie erwartet sank die Sahne ab und kam als kleine Blumenkohlröschen wieder nach oben gestiegen, an die Oberfläche poppend wie die Geschmacksexplosionen, die sie gleich bei mir hervorrufen würden.
Die Sirene draußen nahm ich kaum wahr, als ich den ersten Schluck nahm. Herrlich.
Ich griff mir einen weiteren von Svantjes berühmten grünen Keksen, nach dessen exaktem Inhalt ich nicht zu fragen wagte.
Draußen auf dem Gang hörte ich die Stiefel von Erika Meier vorbeistürmen. Durch die halb offene Tür sah ich kurz die Dienstwaffe an ihrer Hüfte klappern. »Los, los!«, rief sie gerade jemandem zu.
Wir sahen uns an und grinsten. Was für eine unchristliche Hektik, entnahm ich Svantjes rotumrahmten Gesicht.
»Take me to your leader«, sang mich mein Telefon an. Ein Song von Walker & Royce, der für meinen LKA-Chef Böhme in Hannover reserviert war.
»Jansen«, meldete ich mich und hielt das Gerät ein paar Zentimeter weg von meinem Ohr. Eine akustische Explosion konnte ich gerade nicht gebrauchen.
»Frau Meier hat mich gerade angerufen«, sagte Böhme im Plauderton. Ich nahm mein Handy wieder ans Ohr, so schlimm schien es nicht zu sein.
»Und Sie sitzen da gemütlich bei Tee und Kuchen, während sich die Kripo die Beine abläuft, was ist denn in Sie gefahren, Jansen, Mensch!«, brüllte er jetzt doch.
»Wir waren mit draußen«, sagte ich. »Obwohl der Mord gar nicht in unser Ressort fiel, Herr Böhme.«
»Rumgestanden haben Sie«, keifte er, dann wurde er wieder ruhiger.
»Hören Sie, Jansen, die Geschichte mit der Organisierten Kriminalität ist durch. Wir haben grünes Licht vom Innenministerium, Sie dürfen ab sofort auch in diesem Bereich ermitteln. Nur ermitteln, die Exekutivgewalt liegt weiter bei mir in Hannover, nur damit Sie Bescheid wissen, Jansen.«
»Schön«, hauchte ich.
»Ja,