Vertraue niemandem. Horst Buchwald
„Wenn Sie gestern gefordert haben, ich muß in die Offensive gehen, dann gibt es jetzt nur einen Weg. Wir laden uns den Redakteur der Tageszeitung ‚Die Neue Post‘ für morgen zu einem Interview und vertreten diese Positionen. Danach kann die Kabinettsklausur kommen. Alle sind informiert, unsere Karten liegen auf dem Tisch. Ich glaube nicht, daß die anderen bessere Karten haben.“
Der Staatssekretär runzelte kurz die Stirn. Er sah bereits die Folgen und stellte darum fest: „Ich stimme Ihnen zu, gebe aber zu bedenken, daß dieser Schritt die Kanzlerin entscheidend herausfordert. Sie würden die Kabinettsdisziplin das zweite Mal durchbrechen. Auch das kann für sie ein Grund sein, Sie zu entlassen.“
Karin lächelte cool zurück. „Nein, wenn es zur Abstimmung kommt, und darauf bestehe ich, wird sie sich nicht durchsetzen. Unseren Argumenten kann sie nichts entgegensetzen.“
Blüm zog daraus den Schluß: „Dann bleibt ihr wohl nur ein Weg … zurückzutreten?“
„Ja, das kann ich nicht ausschließen. Ich muß mir in diesem Fall auch nichts vorwerfen, denn nicht ich habe ihr den Fehdehandschuh hingeworfen, sondern sie mir. Dabei ging sie davon aus, daß unsere Position unhaltbar ist, daß ich einen groben Fehler gemacht hätte und daß sie mich entlassen kann. Diese Herausforderung habe ich angenommen und nun werden wir sehen, welche Folgen das hat.“
Sie überlegte kurz und fügte dann hinzu: „Sie verfügen ja über ein hervorragendes Netzwerk in der Partei. Erkunden Sie doch schon mal, wie die Parteigrößen darauf reagieren würden. Und werben Sie dabei für unsere Position.“
Der Staatssekretär kannte Karin nun schon seit vier Jahren. Aber dieser entschlossene Schritt zur Machtübernahme war ihm neu. Hinzu kam, daß sie ihre beste Freundin und Förderin eiskalt abservieren wollte. Für ihn war klar: Diese Frau ist gefährlich.
Fünfzehn
Hans parkte schräg gegenüber dem „Inferno“ ein. Er hatte eine gute Sicht auf das hell erleuchtete Restaurant und die einzelnen Tische. In wenigen Minuten würden sie hier eintreffen. Er sah Lisa eilig hin- und herlaufen. Sie bediente ein älteres Paar. Er überlegte, ob er in der Nähe des Eingangs warten sollte, um sie dann einfach ansprechen zu können? Hallo Karin, ich habe noch keine richtige Antwort auf meinen Brief. Vielleicht hast du fünf Minuten? Nein, Quatsch, unmöglich … aber warum war er dann hier? Zu spontan und nicht zu Ende gedacht. In diesem Moment kamen sie. Vier Bodyguards stiegen aus einem schwarzen Mercedes und kontrollierten die Straße. Dann ging alles blitzschnell. Ein weißer Porsche Cayenne hielt vor dem Restaurant. Karin stieg aus, dann ihr Partner. Beide gingen sofort – abgesichert durch zwei Bodyguards – ins Restaurant. Hans machte sich klar, das ging alles so blitzschnell über die Bühne und derart perfekt abgeschirmt, da hätte er wohl weder mit einer Bombe noch mit einem Gewehr eine Chance gehabt.
Sechszehn
Das Essen fand unter Hochspannung statt. Lisa bediente sie und hielt sich geschickt in der Nähe auf, so dass sie fast alles verstand. Und da beide durch ihre Gegensätze emotional berührt waren, achteten sie diesmal weniger auf ihr Umfeld. Michael Benn machte – wie beim Schach – einen harmlosen Zug, indem er fragte, ob das Verhältnis zur Kanzlerin wieder normal ist. Karin zögerte.
„Was kann ich dir sagen, ohne Rechtsbruch zu begehen?“
Dann entschloß sie sich, ihm reinen Wein einzuschenken.
„Die Kanzlerin hat mir den Fehdehandschuh hingeworfen, entweder ich oder sie. Wenn ich die Abstimmung im Kabinett verliere und auch die Partei nicht mehr hinter mir steht, setzt sie mich auf die Straße.“
Lisa schenkt Wein nach.
Benn fragte aufgebracht; „Dann willst du also die Kanzlerin stürzen?“
„Mir bleibt kein anderer Weg.“
Lisa wäre beinahe die Flasche Wein aus der Hand gerutscht.
Da klingelt das Handy der Ministerin.
„Hallo Herr Blüm“, … und zu Benn gewandt: „Entschuldige, es ist mein Staatssekretär.“
Er teilte ihr mit, daß die Kanzlerin in einem Kurzinterview in der „Tagesschau“ sich klar von Karin distanziert hatte und sicher war, daß übermorgen deutlich werde, wohin die Reise geht. Auf die Frage, ob sie zur Außenministerin stehe, sagte sie, die habe einen eigenen Weg eingeschlagen. Man werde sehen, ob dies am Donnerstag noch so sei. Der Staatssekretär riet ihr, sie sollten die Inhalte für das morgige Interview mit der „Neuen Post“ noch mal diskutieren. Karin sagte zu. Sie würde nach dem Essen, also in etwa anderthalb Stunden, im Büro sein.
Während des Essens kamen sie nicht mehr ins Gespräch. Benn war sichtlich sauer. Er schaute sich mehrfach leicht verunsichert im Restaurant um und schien sich zu fragen, ob die anderen Gäste die Mißstimmung bemerkt haben. Karin wiederum schien mit ihren Gedanken schon beim Interview zu sein. Dann war es so weit: Der Cayenne fuhr vor. Karin verabschiedete sich mit einem flüchtigen Kuß. „Ich rufe dich an.“ Und weg war sie. Benn blieb noch sitzen und bestellte einen Grappa und einen doppelten Espresso. Der Restaurantbesitzer näherte sich ihm: „Die Dame ist heute schwer beschäftigt?“
Benn schaute ihn wie durch einen Nebel an und nickte. „Die Rechnung, bitte.“
Siebzehn
Hans fuhr einen schweigsamen Kunden nach Potsdam. Es regnete und er hörte Nachrichten. So erfuhr er, daß zwischen der Kanzlerin und Karin ein Machtkampf ausgebrochen sein sollte. Sein Handy klingelte. Es war Lisa. Sie wollte ihn sehen.
Hans raste von Potsdam nach Berlin zurück und parkte vor Lisas Wohnung. Sie berichtete ihm, was vorgefallen war.
„Wer wird den Kampf gewinnen?“
Hans konnte diese Frage nicht beantworten. Aber der Gedanke, daß Karin Kanzlerin werden könnte, begeisterte ihn nicht gerade.
„Für mich steht fest, daß sie einen Krieg vom Zaum bricht.“
„Ja, so sieht es aus.“
Ihre vorbehaltlose Zustimmung überraschte ihn. Zugleich rührte sich eine warnende Stimme. Es ging alles ziemlich schnell. Schon am ersten Abend hatte sie ihn zu ihrem Traummann gekürt. Beim nächsten Treffen schlug sie einen gemeinsamen Urlaub vor. Schließlich entpuppte sie sich als Friedensengel und war bereit, Karin zu bespitzeln. Es war diese Vorbehaltlosigkeit, mit der sie sich ihm in die Arme warf. Dabei war er nur ein Taxifahrer und er hatte ihr ausführlich von seinen Schuldgefühlen erzählt, die ihn manchmal schwer belasteten.
Achtzehn
Karin hatte mit ihrem Staatssekretär bis morgens um vier das Interview vorbereitet. Ihr Pressesprecher Hans Bode wartete bereits mit dem Redakteur Herbert Holzhausen im Pressezimmer. Als sie eintrat, erhob er sich und begrüßte sie herzlich. Karin spürt sofort, daß dies der richtige Mann war. Er stand vorbehaltlos auf ihrer Seite.
„Bevor es losgeht“, begann Bode, „möchte ich Ihnen mitteilen, daß die Ministerin heute eine Erklärung herausgeben wird. Es scheint mir sinnvoll, wenn Sie sich das Papier erst einmal durchlesen und danach das Interview beginnen.“
Doch Holzhausen hatte sich das etwas anders vorgestellt. „Unsere Leser, ja, überhaupt die Deutschen, wollen vor allem wissen, wer in diesem Machtkampf siegt und ob Frau Hausner Kanzlerin werden will.“
Bevor der Pressesprecher antwortete, legte Karin ihm eine Hand auf den Arm und erklärte Holzhausen:
„Ich verstehe Ihre Position vollkommen. Aber so weit ist es noch lange nicht. Das Wort Machtkampf ist aus meiner Sicht fehl am Platz. Ich habe eine Position, die Kanzlerin hat verlangt, daß ich sie präzisiere. Das ist ihr Recht, denn sie bestimmt die Richtlinien der Politik. Und nun findet zu diesem Thema zunächst die Kabinettsklausur statt. Sie wird ein Ergebnis haben. Ich hoffe sehr, daß meine Position im Kabinett und natürlich auch in der Partei eine klare Mehrheit findet. Solche Vorgänge sind in einer Demokratie völlig normal. Zugegeben: