Tod unterm Leuchtturm. Martin Cordemann
einen Leuchtturm gemeinhin vermuten würde. Dieser hier befand sich nämlich mitten in Köln, im Stadtteil Ehrenfeld, um genau zu sein. Vom Rhein aus war er nicht zu sehen, sein Wert für die Seefahrt, und mochte es selbst die Binnenschifffahrt sein, war also eher gering.
„Sie können die Leiche jetzt abdecken“, murmelte ich und sah einen der Polizisten an. „Also, was haben wir hier?“
„Einen Toten.“
Ja, zu dem Ergebnis war ich auch schon gekommen. Das Blut um die Leiche herum, die unter einem hohen Gebäude wie, sagen wir, einem Leuchtturm lag, war da ein gewisser Hinweis gewesen. Könnte natürlich auch Performance-Kunst sein, immerhin gab es mehr als genug Künstler in der Stadt.
„Können wir Performance-Kunst ausschließen?“ fragte ich sicherheitshalber.
„Ja.“
„Und Selbstmord?“
Das wäre immerhin eine Möglichkeit. Selbstmord! Gab es auch genug von. Und wenn man sich schon in Köln von einem hohen Gebäude stürzen wollte… obwohl, da gab es eine Menge Auswahl. Am Beliebtesten war wohl noch immer das Uni-Center, aber das schrie auch quasi danach. An und für sich würde sich natürlich der Kölner Dom anbieten, denn wenn man schon in die Tiefe sprang, dann doch bitte mit Stil. Aber da gab es oben Gitter, die einem den Freitod erschwerten. Oder um die Leute unten zu schützen, weil so ein schwerer Körper beim Aufschlag aus der Höhe ja durchaus auch gefährlich für andere war. Wahrscheinlich war es eine Mischung aus beidem. Der Fernsehturm war auch schon seit Jahren geschlossen, also blieb als stilvoller Ort für den Absprung eigentlich fast nur der Heliosturm hier. Aber der war der Öffentlichkeit nicht zugänglich, also war das wohl eher ein schwieriges Unterfangen.
„Unwahrscheinlich!“
Ich blickte am Turm hinauf.
„Ist das da oben eine Antenne?“ fragte ich. Das wäre eine Möglichkeit. Es gab da, wie man mir gesagt hatte, dieses Internationale Leuchtturm- und Feuerschiff-Wochenende, an dem über 300 Leuchtfeuer auf der ganzen Welt teilnahmen, und seit 2001 auch der Heliosturm.
„Keine Funkamateure, keine Antenne“, sagte der Polizist und zerstörte damit endgültig meine Hoffnungen auf einen einfachen Unfall, dass vielleicht einer der Leute, die für dieses Ereignis eine Antennenanlage auf dem Turm installierten, bei der Arbeit herabgestürzt war.
„Tja, Versuch war’s wert.“
Damit war ich wieder zurück bei Null. Mein Blick glitt wieder am Turm hinauf. Auf einem viereckigen hellen Gebäude erhob sich der dunkle Backsteinbau. Einige de Fenster waren in keinem besonders guten Zustand mehr, um nicht zu sagen, zerbrochen. Aber das hier war ja auch nicht gerade das Wahrzeichen von Köln, es war der Turm eines Unternehmens, das man 1882 gegründet hatte und das maßgeblich zur Elektrifizierung von Industrie und Verkehrstechnik in ganz Europa beigetragen hatte. Außerdem war auch der Bau sowie die Ausrüstung von Leuchtfeuern in den Bereich der Helios AG gefallen und so wurden u.a. die Leuchtfeuer Roter Sand, Borkum und Wangerooge mit der Technik dieser Kölner Firma ausgestattet. Und doch hatten wirtschaftliche Schwierigkeiten irgendwann zu ihrem Ende geführt. Der 44 Meter hohe Leuchtturm war danach nicht mehr instand gehalten worden, bekam aber trotzdem 1996 ein neues Lampenhaus. Doch das Licht war starr, es drehte sich nicht, es war ein schwaches Dauerlicht – und da hatten wir doch auch unser Motiv!
„Jemand will einen richtigen Leuchtturm“, murmelte ich. „Mit einem sich drehenden Licht. Deshalb hat er diesen Ort für seinen Tod gewählt, um auf die Funktion oder vielmehr die mangelnde Funktion dieses Leuchtfeuers hinzuweisen!“
„Ja“, nickte der Polizist. „Wahrscheinlich ist er dann nur zufällig in das Messer gefallen.“
„Das… Messer?“
Der Polizist nickte wieder und deutete auf die Blutlache, die sich am Rücken der Leiche entwickelt hatte. Das war also offenbar keine Wunde, die bei einem Aufprall entstanden, sondern eine, die durch eine Stichverletzung herbeigeführt worden war.
„Ich glaub, ich brauch Urlaub!“
Ich sah auf. Der Polizist hatte etwas gesagt.
„Bitte?“ meinte ich. Ein leichter Wind wehte die salzige Luft vom Meer herüber, die mich daran erinnerte, dass ich auf einer Insel war. Auf einer Insel ohne Verbrechen…
„Glauben Sie, dass die beiden Fälle zusammenhängen?“ wiederholte der Mann.
„Hm? Oh, nein, ganz sicher nicht!“
Jedenfalls war das sehr unwahrscheinlich…
„Gibt es Verdächtige?“
„Ja.“
„Wie viele?“
„Vier.“
Das war… sehr unwahrscheinlich. Eigentlich extrem unwahrscheinlich. Eigentlich völlig unwahrscheinlich! Zumindest hier in dieser Gegend. Die Leiche lag auf einem Parkplatz, der u.a. zu einem Möbelladen gehörte. Auf der einen Seite erstreckte sich der Parkplatz, so dass man problemlos verschwinden konnte, wenn man jemanden umgenietet hatte, es sei denn, man musste noch seinen Parkschein bezahlen. Aber zu Fuß hatte man die Möglichkeit, in zwei Richtungen über den Parkplatz zu verschwinden, oder durch ein Tor unter dem Leuchtturm auf die Heliosstraße, auf der man wieder zwei Richtungen zur Auswahl hatte. Also wie zur Hölle kam es, dass man Verdächtige hatte?
„Wie zur Hölle kommt es, dass wir Verdächtige haben?“
Nicht, dass ich nicht dankbar dafür gewesen wäre. Es war eigentlich immer sehr angenehm, wenn man Verdächtige hatte – oder vielmehr, wenn es sich dabei um eine übersichtliche Zahl handelte. Gerade an einem Ort wie diesem hier hätte die Anzahl der Verdächtigen locker gegen Unendlich gehen können, doch aus irgendeinem Grund, den ich nicht verpassen wollte, gab es scheinbar nur vier, also lauschte ich nun, als der Polizist sagte: „Na, hier ist doch n Revier.“
Er sagte das, als würde das alles erklären. Tat es aber nicht. Ich wusste auch, dass es hier ein Revier gab, keine 50 Meter entfernt vom Tatort. Es war also nicht unbedingt clever, sich diesen Ort für einen Mord auszusuchen, aber andererseits gab es halt jede Menge Fluchtwege, also formulierte ich meine Frage ein wenig konkreter: „Häh?“
„Bitte?“
Der Polizist sah mich fragend an. Offensichtlich war meine Formulierung nicht konkret genug gewesen.
„Das erklärt nicht ganz, warum es nur vier Verdächtige gibt.“
„Oh!“ Der Polizist dachte einen Moment darüber nach. Dann nickte er zustimmend. „Da haben Sie wahrscheinlich Recht.“
Offensichtlich schien er gewillt zu sein, sich alles aus der Nase ziehen zu lassen. Und ich hatte das Gefühl, dass auch ein wohl platziertes „Also?“ von mir nicht den gewünschten Effekt erzielen würde. Also formulierte ich diesmal extrem konkret: „Also wie kommt es, dass wir nur vier Verdächtige haben und nicht 40? Wieso sind es nur diese vier?“
„Na morgen ist doch Demo in der Stadt. Und dafür kommen immer viele Kollegen aus dem ganzen Land. Die waren wohl gerade auf dem Weg hierher.“
Wie sich herausstellte, hatten die – wie in Köln üblich – vergeblich versucht, Parkplätze zu finden, hatten dann ein wenig weiter weg vom Revier geparkt und waren dann auf den Straßen rund um den Tatort unterwegs gewesen. So kam es, dass sich nur vier Personen fanden, die zur fraglichen Zeit am fraglichen Ort gewesen sein konnten…
„…und die alle mit dem Opfer bekannt sind“, schloss der Polizist lächelnd.
Das war nicht nur unwahrscheinlich, das war regelrecht unglaubwürdig! Aber genau genommen war mir das völlig egal, solange es mir die Arbeit leichter machte. Also machte ich mich auf den Weg, mich mit den vier Verdächtigen zu unterhalten.
„Kann ich irgendwas für Sie tun?“
Der Dorfpolizist sah mich hilfsbereit an.
Ich dachte darüber nach. Ja. Da wäre