Tod unterm Leuchtturm. Martin Cordemann
Er schüttelte den Kopf.
„Wie kommen Sie dann darauf?“
„Na, es muss einer von uns gewesen sein. Oder nicht?“
„Nein, eigentlich nicht.“ Gut, in dem Fall schon. Aber streng genommen hätte dieser Fall auch ganz anders aussehen können. Was, wenn das Opfer unter dem Leuchtturm hergelatscht wäre und irgendjemand mit dem Verlangen, ihn auszurauben, wäre ihm in den Weg getreten. Dr. Stein hätte sein viel beschworenes Messer herausgezogen, es hätte ein kurzes Handgemenge gegeben und das Ende vom Lied war, dass Stein tot und der Täter auf der Flucht war. Eigentlich wäre das sogar der viel glaubwürdigere Tathergang gewesen. „Wie kommen Sie darauf?“
„Na, weil nur wir ihn kannten. Also hatten nur wir ein Motiv, ihn umzubringen, oder?“
Ich nickte. Ja, das klang halbwegs vernünftig.
„Und was wäre da Ihr Motiv?“
Dr. Bringmann lachte. „Oh, ich war wohl auf seine Freundin scharf.“
„War er nicht Single?“
Er lachte wieder. „Gut, da haben Sie mich wohl erwischt.“
„Erwischt haben wir Sie schon lange, wir müssen es Ihnen nur noch nachweisen“, sagte ich fröhlich.
„Gut pariert“, meinte er lächelnd. „Wir haben zusammen gearbeitet.“
„Sind Sie auch zusammen gekommen?“
„Nein. Er kam immer allein.“
„Hatten Sie ein gutes Verhältnis zu ihm?“
„Nicht so gut wie Felix, aber ja, es war okay.“
„Gut genug, um einmal im Monat mit ihm trinken zu gehen?!“
„Ja, das war es wohl.“ Er lachte, dann wurde er wieder ernst. „Ich kann das noch gar nicht richtig begreifen.“
„Sowas ist immer schwierig“, sagte ich. „Erinnern Sie sich noch, was passiert ist? Haben Sie vielleicht etwas gesehen?“
„Nein. Also schon, ich erinnere mich, aber ich habe nichts gesehen.“
„Mussten Sie sich beeilen?“
„Nein, ich war pünktlich. Aber ich hab mich nicht umgesehen.“
„Und dann?“
„Dann war da die Polizei und hat uns alle hierher gebracht. Da wusste ich, dass es einer von de-, einer von uns gewesen sein muss.“
„Damit haben Sie wahrscheinlich Recht.“
„Wussten Sie, dass er immer ein Messer dabei gehabt hat?“
„Ich habe davon gehört.“
„Wissen Sie, was mich am meisten bei der Sache überrascht?“
„Nein, was?“
„Ich hatte eigentlich immer gedacht, wenn es mal zu einer Auseinandersetzung kommt, dann wäre er derjenige, der jemanden damit umbringt!“
Blieb noch einer. Dr. Stefan Cimbell. Ihn fand ich in einem Raum, der eher wie eine Küche wirkte denn wie ein Verhörraum – was daran lag, dass es die Küche war, da den Kollegen bei dem Ansturm an Verdächtigen die Verhörräume ausgegangen waren. Als ich den Raum betrat, sah er nur auf, grunzte kurz und wandte sich dann wieder seinem Kreuzworträtsel zu.
„Stör ich?“ fragte ich.
Ein kurzes Grunzen kam zurück.
„Sie sind Dr. Stefan Cimbell?“ fragte ich.
Erneutes Grunzen.
„Sie sind zusammen mit Dr. Felix Nabuse?!“
Nun sah er auf. Überraschung stand in seinem Gesicht.
„Nein!“
Nein? Stimmt, da hatte ich was durcheinander gebracht, das war einer von den anderen gewesen. Gott, ich musste mir eine Liste machen, wie diese Kerle hießen und wer das Pärchen davon war.
Cimbell sah mich nun herausfordernd an.
„Haben Sie was gegen Homosexuelle?“
„Ich habe was gegen Mörder!“
„Wollen Sie damit sagen, ich wäre ein Mörder?“
„Noch nicht.“ Ich nahm ihm gegenüber Platz. „Aber das kann ja noch kommen.“
„Glauben Sie, ja?“
„Kann man nie wissen.“
Er legte seine Zeitung beiseite.
„Man hat mich verhaftet und hierher gebracht und dann hat sich niemand mehr um mich gekümmert.“
„Nett, dass Sie nicht abgehauen sind.“
Wäre bei seinem Namen nicht ganz überraschend gewesen.
„Würden Sie mir vielleicht endlich mal erzählen, worum es hier überhaupt geht?“ fragte er.
„Ich dachte, es wäre klar, um was es geht.“
„Um… Mord.“
Ich nickte.
„Ja, um Mord.“ Ein kurzer Moment der Erkenntnis traf mich. „Wissen Sie, was mich ein wenig überrascht, wenn ich darüber nachdenke? Einer Ihrer Freunde wurde ermordet, aber niemand scheint wirklich zu trauern.“
„Aha“, kam es dumpf zurück.
„Sollte man in einem solchen Fall nicht etwas mehr Mitgefühl oder so etwas erwarten?“
„Wo ist denn Ihr Mitgefühl?“ wollte er wissen.
„Ich kannte das Opfer nicht, ich arbeite hier nur.“
„Also haben Sie gelernt, kalt und gefühllos mit einem Toten umzugehen.“
Mehr oder weniger.
„Wir sind Ärzte, wir müssen das auch. Also erwarten Sie von uns keine Gefühlsausbrüche. Das ist nicht der Schock, das ist die Tatsache, dass wir tagtäglich mit so was zu tun haben.“
„Ganz egal, wie gut Sie das Opfer kannten?“
„Ganz egal.“
„Und wie gut kannten Sie es?“
„Meinten Sie kannten oder mochten?“
„Je nachdem.“
„Nicht so sehr. Wir haben zusammen studiert, aber wir waren keine Freunde. Und er hatte einen Tick.“
„Was für einen Tick?“
„Ein Messer. Hatte er immer dabei. Für den Fall, dass er mal überfallen würde oder so was. Tja, man sieht ja, was ihm das gebracht hat.“
„Ja. Konnte er gut damit umgehen?“
„Das hat er immer behauptet, aber keiner von uns hat ihn je mehr damit machen sehen, als damit herumzufuchteln. Meine Güte, der Mann war Chirurg, da sollte er doch wohl mit einem Messer umgehen können, oder? Aber er hat sich immer damit wichtig gemacht.“
„Können Sie mir den Tathergang schildern?“
„Nein, ich war ja nicht dabei.“
„Dann sagen Sie mir, was passiert ist und was Sie gesehen haben?“
„Ich bin über den Parkplatz gegangen. Ich nehme an, Frank war schon da, weil er immer zu früh kam. Also bin ich daher gegangen und dann kam auch schon die Polizei.“
„Sie haben also nichts gesehen?“
„Leider nein. Haben denn Ihre Polizeifreunde nichts gesehen?“
„Leider nein.“
„Echt ärgerlich.“ Er seufzte. „Was ist eigentlich mit Frank passiert?