Das Erbe. Helmut H. Schulz

Das Erbe - Helmut H. Schulz


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gedrechselte Geländer, buntes Glas, Pilgramer plünderte die Stilepochen für seine Entwürfe, Sakrales profanierte er, Profanes fälschte er um, und es geschah wirklich etwas Unerwartetes. Straßburger lachte zwar geringschätzig, aber er vertiefte sich in diese Zeichnungen, und er entdeckte eher als er, Pilgramer, daß man diesen Unsinn jetzt wollte, diesen billigen Krimskrams, diesen Aufwand an Stuck. Der Schein setzte sich gegen das Urbild durch. Früher war Architektur selbst eine Kunst. Man wußte, daß keine Farbe, keine Dekoration eine mißlungene Linie ändern konnte. Jetzt war das Gefühl für die Schwingung verloren gegangen. Was er, Pilgramer, als ein Witz, als Spott und Ironie gedacht, darauf begründete sich etwas Neues, nichts Gutes. Und noch etwas geschah, das Straßburger verblüffte, der Kaiser äußerte in einer Randglosse sein Wohlgefallen an dieserart Häuserfassaden. Damit waren die Pläne beschlossen und besiegelt. Pilgramer besitzt diese kaiserliche handschriftliche Notiz noch; sie kam ins Familienarchiv.

      Dann wurde die evangelische junge Frau Pilgramer von dem Wunsch heimgesucht, ihren Sohn taufen zu lassen, nach römisch-katholischem Ritus. So vereinigten sich die Konfessionen am christlichen Taufwasser.

      Man müsse ein bißchen Geduld aufbringen, dann gehe es auch voran. Straßburgers Rezept. Es ging wahrhaftig voran, denkt Pilgramer, neben Schelsky sitzend, der jetzt nach Mahlsdorf abbiegt. Es kamen plötzlich viele Aufträge, der Erfolg winkte, dank der kaiserlichen Randglosse.

      «Ich hatte früher einen Maybach», sagt der alte Herr, «ich hatte immer schwere Wagen.»

      «Maybach?»

      «Das kennen Sie nicht mehr.»

      Pilgramer weist Schelsky jetzt ein, das Auto hält vor der Villa. Der alte Herr steigt aus und bittet Schelsky herein.

      Der alte Herr Pilgramer benutzt den Stock, trotzdem ist sein Gang nicht schwerfällig, es sieht eher aus, als brauche er den Stock gar nicht, als könne er ohne Hilfe gehen. Schelsky neben ihm; Pilgramer mag den Mann eigentlich nicht, er mag überhaupt keine dicken Männer, an deren angebliche Gemütlichkeit er nie recht glauben konnte.

      «Das Haus hat Hubalek gebaut», sagt er, «erinnern Sie sich noch an ihn?» Er weiß gut, daß sich Schelsky natürlich an Hubalek erinnert. «Und wissen Sie, daß er sich in Schottland zur Ruhe gesetzt hat, oder eigentlich nicht zur Ruhe, er baut Häuser mit Solarbatterien.»

      Er lacht, und Schelsky lacht mit, aus Respekt vor dem Alten, der ja doch einmal groß gewesen ist.

      «Da sehen Sie», fährt der alte Herr fort, «es gibt noch mehr Träumer.»

      Die beiden Männer gehen ins Haus, drinnen kommt ihnen der Enkel entgegen. Lisa, die sich nie darüber klar werden kann, ob sie den Alten komisch finden soll oder ob sie Angst vor ihm hat, streicht sich verlegen eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Pilgramer sieht es, und mehr als alles andere versöhnt ihn diese frauliche Geste. Die Weiber sind so eitel, daß sie sogar sein biblisches Alter übersehen. Er lächelt sie an, um herauszufinden, wie weit man den Irrtum treiben kann. Sein Bart, weiß wie frisch gewaschen, zuckt etwas, die weißen, dichten Brauen rücken für einen Augenblick zusammen. Er schauspielert, ein schlechter Mime, ein Gaukler, wie sie alle, diese bedeutenden Architekten, die Künstler.

      Lisa reicht ihm die Hand, aber sie bleibt sitzen. Er weiß nicht, ob aus guter Erziehung oder zufällig. Diese jungen Menschen haben ja keinen Schliff mehr. Er nimmt die Hand, hat den Einfall, sie zu küssen. Im letzten Augenblick bemerkt er, daß er im Begriff ist, sich lächerlich zu machen.

      Lisa ist entzückt von diesem Haus, sie sieht es zum ersten Mal, sie beschreibt ihren Eindruck: «Eine Halle, weiß, dunkelgrün, und sehen Sie, diese Nixen oder was es darstellen soll, etwas Friedhof, ein bißchen Eleganz, Strich; alles ohne richtige ...? Was war damals geschehen?»

      «Junge Frau», sagt Pilgramer, «als ich diesen Affenkasten das erste Mal auf dem Papier sah, dachte ich, das hat ein Verrückter ausgedacht. Offen gestanden, ich wußte nicht einmal, ob ich das Geld für den Bau hergeben sollte, aber ich war Hubalek doch verpflichtet, was, Lab?»

      Der zuckt die Schultern: «Was heißt schon verpflichtet?

      Immerhin, damals war das Bauwerk ein Rückgriff, heute ist es ein Museum.»

      «Der Jugendstil», Schelsky setzt zu einem langen Sermon an, aber der Alte winkt energisch ab.

      «Hören Sie um Gottes willen auf, Schelsky. Ich kenne das ganze Geschwafel, und ich habe Theoretiker nie ausstehen können, die Ausleger, Erklärer und Durchseher.»

      Lab stellt ein Tablett mit Gläsern auf den Tisch und entkorkt eine Sektflasche.

      «Sehr aufmerksam», murmelt der Greis, er tastet nach den Zigarren, nimmt das Etui heraus, fragt, ob er dürfe, und alle beobachten das Ritual, wie einer eine Zigarre in Brand setzt. Auch das sieht der alte Herr, diese jungen Leute haben nicht mal Zeit für sich selbst, die rauchen diese Fünfminutenbrenner, werfen die angerauchte Zigarette fort, nehmen eine neue. So sind sie, ihr Leben brennen sie an allen Ecken und Enden an, aber es bekommt ihnen weiß Gott nicht. Überhaupt bekommt ihnen das geplante Leben nicht.

      «Ich will Ihnen etwas zeigen», sagt Pilgramer zu Lisa. Er nestelt an einem Schlüsselbund, öffnet einen Schrank und entnimmt ihm einige Gläser, Vasen, stellt alles auf den Tisch. Schweigend beobachtet er die Wirkung. «Es sind gute, zumindest echte Stücke», versichert er, denn Lisa ist hilflos. Der könnte man eine Industrieflasche für echt andrehen, und das tun die Experten ja auch, treiben die Preise für ihre Ladenhüter hoch. Diese Jungen können ja nichts mehr unterscheiden. Daran ist ein hundertjähriges Kunstgewerbe schuld, mit der Vermarktung von Kunst, der Sucht nach Effekt. Hier lag der Irrtum; Echtes, Gutes läßt sich nicht industriell, nicht als Massenprodukt herstellen, ohne Wert einzubüßen.

      Schelsky versucht sich in einer Bestimmung: «Weimarer Zeit?»

      «So ungefähr, Herr Kollege», sagt der alte Herr, «das wenige Gute, das die Zeit damals hervorgebracht hat, beschränkt sich auf die Periode des Einfalls, der Idee.»

      Pilgramer setzt sich, sieht zu, wie Lisa die Stücke vorsichtig in den Händen dreht, respektvoll. Er amüsiert sich köstlich, solch Zeug gab es damals in jedem Laden, dieses muschelförmig gefächerte Milchglas, Pagoden als Briefbeschwerer, Samuraischwerter, um Post zu öffnen; Druckschrift, die kaum noch zu entziffern. Überall Schein, Versteckspiel, Wahrheitsentzug in Kunst, Politik, Architektur, es war, als ahnte diese Generation das Kommende, nahm ihren Untergang vorweg in den Kitschwerten. Hier ging eine Ära in einem Stilchaos unter.

      «Aber warum ist das Zeug heute so gefragt?» Schelsky. Vor zwanzig Jahren noch Trödel. Und warum bei uns, wo ja kein kapitalistischer Kunsthandel den Markt beherrscht?»

      «Sieht ganz ulkig aus», antwortet Lisa, «auf einer Schrankwand erwartet man eben kein solches Glas.»

      «Mittlerweile erwartet es ja doch jeden», sagt Schelsky.

      Da sie keine befriedigende Antwort finden, sehen sie den alten Herrn an. Der nennt ein Syndrom: «Allgemeine Erschöpfung. Seit fast zwei Jahrhunderten nur noch Rückgriffe, nichts Neues wurde mehr gefunden. Es scheint, die menschliche Schöpferkraft ist mit der Ausgestaltung unserer Zivilisation beschäftigt, mit Seife und Häusern, mit Autos, kurz gesagt, das Maschinenzeitalter erdrückt die kulturelle Sehnsucht. Das Loch muß mit dem gestopft werden, was noch da ist. Ganz ohne Kultur können wir offenbar auch nicht leben.»

      Unzufrieden schweigen sie, wer will schon wahrhaben, daß mit ihm nicht viel los ist?

      «Mußt du allem eine negative Wendung geben», fragt der junge Pilgramer. «Kunstgewerbe, es hieß doch, entweder alle minderbemittelten Schichten von der Kunst auszuschließen oder ihnen über halbindustrielle Kunstprodukte Maßstäbe zu geben, und natürlich auch das Stück, um es in die Wohnung zu stellen.»

      «Ins Berliner Zimmer den Hirsch», sagt der alte Herr, «dem kommunistischen Agitator seinen Bronze-Schäferhund. Mit solcherart Ästhetik gingen wir ins neue Jahrhundert.»

      Schelsky lacht, und der junge Pilgramer gießt den Sekt in die Gläser. Sie werden aneinandergestoßen, die schönen alten Gläser aus der Auflösungsperiode.

      «Weißt


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