Das Erbe. Helmut H. Schulz

Das Erbe - Helmut H. Schulz


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über das Gesicht laufen, trocknete es ab, rieb es mit Reinigungsöl ein und spülte kalt nach. Sie fühlte, wie sich die Haut straffte. Den Rest erledigte sie mit schwarzen und roten Stiften.

      Der Metteur war schon gegangen, die Seite lag fertig da, Lisa wischte ihren Namen darunter, sich ganz auf den Setzer verlassend oder auf Zebosinski. Der kam heraus, als er sie in der Gasse entdeckte.

      «Ich muß noch mal rauf, warte nicht auf mich. Ich hab noch was bei Holz zu tun.»

      Zebosinski, zu dem sie eine lockere Beziehung unterhielt, für die sie keinen Begriff wußte (das ist doch nichts, der ist ja auch viel zu jung aber ganz nett), hielt sie am Arm fest.

      Sie mochte solche Berührung nicht und machte sich energisch los: «Was fällt dir denn ein?»

      «Holz ist gegangen.»

      Sie fauchte: «Ich hab nicht gesagt, daß ich was mit Holz zu tun habe, sondern bei Holz. Außerdem bin ich dir keine Rechenschaft schuldig, das wollen wir mal klarstellen.»

      Sie ärgerte sich auch über sich selbst.

      «Gott, bist du dumm, wenn man was will, bricht man doch keinen Streit vom Zaune.»

      Im Fahrstuhl holte sie tief Luft. Was kann einen viel beschäftigten Architekten dazu bringen, mitten in der Nacht zwanzig Zeilen zu lesen, die überdies schon besprochen worden sind. Korrektheit? Na schön, aber das hätte bis morgen Zeit gehabt. Mal sehen, vielleicht entspinnt sich doch mal was Vernünftiges.

      Tasche schlenkernd betrat sie das Zimmer. Pilgramer saß auf dem Schreibtisch, einen Zeichenblock auf den Knien, und strichelte darauf herum.

      «Entschuldigen Sie», sagte Lisa, «ich hatte unten noch mit dem Umbruch zu tun. Haben Sie alles gelesen?»

      Er sprang vom Tisch, reichte ihr die Hand. «Alles in Ordnung.»

      An der Rückwand des Zimmers lief eine Holzleiste entlang. Hier spießten die Redakteure abgelesene Seiten auf. Jetzt steckte Pilgramer seine Karikaturen an, eine von Holz, eine von Schelsky, von Koblenz, natürlich auch eine von ihr. Sie lobte alles.

      «Also, Herr Stadtarchitekt, ich bin hundemüde. Gehen wir?»

      Er nickte und ging ihr voran aus dem Zimmer. Den Fuß zog er unsicher nach. Sie erkundigte sich, ob der Bruch ganz ausgeheilt wäre, und er sagte unbestimmt, ja, krank geschrieben sei er aber noch.

      Die Straßen unten waren still, ein paar Autos parkten vor der Redaktion, über den Häusern stand blasser Lichtschein. Sonst war die Nacht dunkel und träge. Während Pilgramer die Wagentür aufschloß, fragte er, wohin er sie bringen solle.

      «Für mich lohnt es kaum noch, zu Bett zu gehen, ich muß ganz früh raus, eine Knochenmühle.» Sie stieg ein, fingerte Zigaretten heraus und rauchte.

      Er fuhr los. Über die Straße spannte sich die Eisenbahnbrücke, von der eine endlose Leuchtschrift Nachrichten ausstrahlte. Sie waren Stunden alt und überholt. Sie gingen in eine Kneipe, bestellten Weinbrand und Kaffee. Ihre Knie berührten seine, da sie sich an einem der kleinen runden Tische gegenübersaßen. Er wußte nicht, wohin mit den langen Beinen, und streckte sie seitlich aus.

      «Wie groß sind Sie eigentlich», fragte Lisa,

      «Wie Napoleon.»

      «Der war doch wohl klein?»

      Er nickte.

      Sie fand, er sähe seinem Großvater ähnlich, mit dem länglichen Gesicht, dem dichten, schon ergrauten Haar. Was sie reizte, war die lebhafte, unbekümmerte Art, mit der er sich gab, sie bewunderte alle Leute, die leichter mit dem Leben fertig wurden als sie. Wahrscheinlich war er unpünktlich und unzuverlässig.

      Pilgramer sagte: «Ist Ihre Arbeit das Richtige für Sie?»

      «Ach wo», sagte sie, «welche Arbeit ist das Richtige für eine Frau? Wir müssen immer gut sein, immer besser als die Männer.»

      «Daran ist was Wahres», sagte er, «dazu seh ich aber keine Alternative. Verlangt man den Frauen weniger ab, legen sie das sofort gegen die Männer aus,»

      Aus Erfahrung wußte sie, daß ihr dieses Gespräch, einmal begonnen, jeden Charme nehmen würde. Zänkisch würde sie sich die paar Minuten vermiesen, gäbe sie jetzt nicht klein bei. «Na ja, ich bin eine ganz gute Journalistin», erklärte sie verwegen, weil er diese Behauptung nicht nachprüfen konnte.

      Das Gespräch lief nun leer, drehte sich eine Zeit lang um belanglose Sachen, es war zu spät, um umzukehren, und zu früh, sich dem anderen zu öffnen. Man hatte sich dreimal gesehen und oberflächlich geredet. Da war es gut, daß der Wirt Feierabend gebot. Pilgramer zahlte und sie gingen.

      «Riskieren Sie es zu fahren, wenn Sie getrunken haben?»

      «Ich habe den Weinbrand nicht angerührt», sagte er.

      Sie mußte sich zufriedengeben, ließ sich nach Hause bringen, verabschiedete sich verdrossen, um eine Hoffnung betrogen, stieg in ihre Wohnung hinauf und beschloß zu baden. Beim Duschen verflog ihre Müdigkeit, und sie bereute, Pilgramer weggeschickt zu haben. Der saß jetzt in seinem Zimmer und hörte Radio, oder er war woandershin gefahren. Sie hockte sich in den Sessel, zog das Telefon heran, zögerte aber, Pilgramer anzurufen. Falls der Anruf schiefging, würde sie eine schlimme Nacht haben. Auch solche geringfügigen Mißerfolge ertrug sie nur schwer. Angestrengt lauschte sie auf das Rufzeichen, entschlossen, einfach aufzulegen, sollte sich der alte Herr melden. Aber Lab meldete sich. Sie brachte es doch nicht schlankweg fertig, ihn zu bitten, zu ihr zu kommen, Händchen halten zwei Uhr nachts, nachdem sie ihn mit dem Schwindel verabschiedet hatte, sie sei elend müde.

      «Ich bin hungrig», sagte sie, «und ich hab nichts im Hause, wie finden Sie das?»

      «Hungrig auf was», fragte er.

      Sie schwieg.

      «Schließen Sie unten auf», bat er.

      Als sie aufgelegt hatte, schlug ihr Herz laut und unregelmäßig, ihr natürlicher Zustand sozusagen. Sie tat irgendwas, blätterte in einem Buch, ging schnell nach unten und schloß die Tür auf. Noch auf der Treppe hörte sie ein Auto, sie dachte, er wird doch hoffentlich so viel Anstand haben und die Chaise eine Straße weiter parken.

      Sie gingen zusammen nach oben. Er fragte, ob sie nun essen wolle, was sie auf den Gedanken brachte, er sei vielleicht doch fischig. Bei den meisten Männern konnte man ja vor Verlangen vergehen, ohne daß die was merkten. Dafür stellten sie Forderungen, wenn einem nicht danach zumute war. Vielleicht war der Lange hier anders, dafür sprach allerdings nicht mehr als ihre Einbildungskraft. Sie schauerte in dem Morgenrock, er bemerkte es und sah sie aufmerksam an.

      Während er sich auszog und sie wartend neben ihm stand, verglich sie Lab mit Zebo und den anderen, mit denen sie geschlafen hatte. Es gehörte zur Rolle der Emanzipierten, sich den Partner zu wählen. Lisa wußte, daß sie zum guten Teil markierte. Man ging so leicht auseinander, wie man zusammenkam, durch eine Reihe von Zufällen, und der Partnerwechsel an sich war reizvoll. Lisa hielt sich für eine moderne Frau mit Kind, die sich ihr Leben einrichtete. Ob sie überhaupt mit einem zusammenleben konnte und nicht einem Traum nachhing, bezweifelte sie stark. Nervös, überreizt und sensibel, kam sie auch selten zur Liebeserfüllung. Von allen Zuständen fürchtete sie jedoch den des Alleinseins am meisten.

      Er küßte sie, und Lisa fühlte etwas wie Eifersucht auf die andere, die es geben mußte, mit der er zusammenlebte und Kinder hatte. Sie dachte sich in diese Verhältnisse intensiv hinein, obwohl sie wußte, wo er lebte und mit wem.

      Sie tat nichts, ließ sich leicht zur Couch ziehen, streifte auf sein Verlangen den Morgenrock ab und legte sich hin. «Wenn ich dich nicht angerufen hätte, wärst du auch gekommen?»

      «Wahrscheinlich, aber nicht heute.»

      Sie fühlte sich unter Wert behandelt - wahrscheinlich, aber nicht heute - hieß doch, ich wäre nicht gleich mit dir ins Bett gestiegen, aber da du es offenbar nötig hast, also bitte. Sie kannte ihn immerhin ein paar Wochen, drängte sich an ihn und vertagte das Gerede.

      Dieses


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