Das Erbe. Helmut H. Schulz

Das Erbe - Helmut H. Schulz


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das Bild so, weil er anders war.

      Lab, in der Wohnung, die dem alten Herrn einmal als Bureau diente, denkt jetzt an eine Fortsetzung des Gespräches mit dem alten Herrn. Er sieht den Großvater und fragt ihn, ob er das Haus erkenne, das alte Haus in der Oranienburger, Straßburger habe dort gewohnt, der alte Herr müsse sich doch gut daran erinnern können, falls er wolle.

      Er erinnere sich gar nicht, antwortet der Großvater, und Straßburger habe seines Wissens in Friedrichshagen gewohnt, in einem riesigen Haus mit vielen Zimmern. Ein Schuldgefühl habe er nicht, fährt er fort, man habe wohl nichts machen können gegen die Zeitläufe, und Straßburger sei längst tot.

      Lab redet. Wie das gewesen sei mit den Anfängen, den Grundstücken, dem Baugeschäft, weshalb der alte Herr seinen Idealen untreu geworden wäre? Jetzt kichert der alte Herr. Lab redet noch mehr. Wieso sich der alte Herr vor die Karre anderer spannen ließ, will er wissen. Viele alte Bauwerke würden jetzt restauriert werden, der Stadt solle ein Stück Geschichte zurückgegeben werden. Pilgramer winkt ab, soll zugrunde gehen, soll es doch, was sich nicht mehr erhalten kann, eine Stadt sei kein Museum.

      Lab: Von Museum sei keine Rede, in die restaurierten Häuser werde neues Leben einziehen, die Wohnungen darin würden nach modernen Gesichtspunkten angelegt, mit sanitären Einrichtungen, an alles werde gedacht. Es kommt Lab auf die Wirkung an, die seine Rede auslöst.

      Pilgramer senior nimmt ein gezeichnetes Blatt, dreht und wendet es und fragt, ob sie das alte Haus ganz einreißen wollten und neu wiedererrichten und was das für einen Sinn habe? Ausgeplündert sei er worden, poltert der alte Herr los, jawohl, von diesem Baujuden, Regierungsbaurat, Kommerzienrat, Schieber, Couponschneider. Daß alles anders gekommen sei, wäre wahrhaftig nicht diesem Straßburger zu danken, sondern Fred, dem Sohn, und Kamerad Schmiteinsky. So tief habe er, der Senior, damals in diesen schmierigen Bauunternehmungen gesteckt, Bau und Bauskandal hätten immer zusammengehört, nicht aus noch ein gewußt habe er. Hier winkt der alte Herr ab.

      Lab, an die Familienlegende anknüpfend, zitiert, was er als Kind oft gehört, solche Legenden entstehen durch Wiederholung, vererben sich, einmal zu Wahrheiten umgeformt, Sie machen vorläufig gar nichts mit ihrem Baugeschäft.

      Jetzt lacht Pilgramer, bequemt sich zu einer kurzen Rede, im Frühherbst also wären sie mit einer Kutsche in Richtung Westen gefahren. Alt wäre die Kutsche gewesen, trotz des Spritzleders, einer Art Lederkasten, hätten sie erbärmlich gefroren, sie hätten die Pferdebahn nehmen können, aber Straßburger habe Droschken bevorzugt.

      Lab denkt, ein Spuk, ein Unsinn, es ist die Leere dieses Zimmers und der Druck, sich doch mal entscheiden zu müssen, aber das Spiel mit Gedanken und Erscheinungen lockt.

      Was halten Sie von Berlin, hat eventuell Straßburger gefragt, eine naheliegende Frage, und anstelle Pilgramers antwortet Lab, nichts halte er von Berlin, alles sei abscheulich, krude die Leute, ungebildet, die ganze Stadt wirke auf ihn wie ein Albtraum, wie ein Steinbruch, es wimmle von Militär, jeder Schutzmann komme sich vor wie ein General und habe dem Bürger gegenüber auch die Macht eines Generals, dessen Soldaten eine feindliche Stadt besetzt hielten. Sonderbar wäre nur, daß man sich trotzdem nach ein paar Monaten hier wie zu Hause fühle.

      Straßburger nickt, die Stadt wäre nie anders gewesen, hier habe man nie gewohnt, hier sei man verwaltet worden. Wenige Jahrzehnte zurück habe es noch mehr Soldaten, Dienstboten und Huren gegeben als Bürger, sein Urgroßvater sei noch Schutzjude gewesen. Dieses Verhältnis habe den Charakter des Berliners, falls es so etwas je gegeben habe wie den Berliner, geprägt. Dummheit, Rohheit, Angst, vielleicht ändere sich das jetzt, wo die unteren Schichten ein eigenes Bewußtsein entwickelt hätten.

      Wahrscheinlich, denkt Lab, ist die Kutsche durch das Brandenburger Tor gerollt, nicht durch die Mitte, sondern durch die Seitenpassage. Dann ist es weiter durch parkähnliche Straßen entlanggegangen. In einer Villa hat ihnen ein Diener die Mäntel abgenommen, sie in ein Zimmer geführt. Lab kann das nicht wissen, er hat nur einen Anhaltspunkt für diesen Vorgang, einen vergilbten Vertrag, von einer Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft ist die Rede, deren Teilhaber der alte Herr wurde, Teilhaber auf Grund eines ausgetüftelten Modus. Könnte Lab den alten Herrn zu einer Äußerung bewegen, würde Pilgramer vielleicht sagen, man habe ihn nicht am Geschäft beteiligen wollen, damals, wäre nicht die Lage seiner Grundstücke gewesen, von Straßburger, dem Herrn Baurat vorsorglich mit Blick auf den Bebauungsplan für ihn, Pilgramer, erworben. Jetzt saß die Bande Teilhaber in der Klemme, mußte ihn, Pilgramer, ganz einfach aufnehmen, mußte ihm die Bauaufsicht übertragen, gegen ein anständiges Honorar, mußte ihm weiter ein Vorkaufsrecht einräumen.

      Lab kann sich schon vorstellen, daß es zu einem mächtigen Krach gekommen war, Straßburger schließlich entschied. Der war Beamter, hielt die Fäden in der Hand, und er entwickelte vielleicht den Rahmen, in dieser Größenordnung sei noch nie gebaut worden. Die Herren Teilhaber lächelten ratlos, zupften die verblichenen Bärte, das werde ein teures Unternehmen. Straßburger: Die Herren mögen bedenken, daß der junge Mann, ein tüchtiger und fleißiger junger Mann, ein Pfand in der Hand hielt, seine Grundstücke. Man hätte sich nicht mit Ihnen einlassen sollen, Straßburger!

      Auf der Rückfahrt, erklärt Pilgramer dem nachdenkenden Lab, wäre dann die Rechnung zwischen ihm und Straßburger beglichen worden. Straßburger hätte gesagt, ein schönes Stück Geld habe ich Ihnen verdient, Ihre Zukunft habe ich soeben teuer verkauft, eine feine Rendite werden Sie mal einheimsen, dann haben Sie den alten Straßburger längst vergessen.

      Lab ging ans Fenster. Pilgramer hat damals an den Regierungsbaurat gezahlt, zwanzig, dreiundzwanzig Prozent, für ihn, war es eine kalte Dusche, er zog aus, die Periode in diesem Zimmer endete rasch. Lab fühlte sich plötzlich nicht mehr wohl, er suchte jetzt Entschuldigungen für den alten Herrn. Ein Sumpf, das ist leicht gesagt. Die Verhältnisse, es waren nur die Verhältnisse. Lab verriegelte das Fenster und verließ das Gebäude.

       4

      Holz meldete sich, und Zebosinski gab ihr ein Zeichen durch das Fenster des Korrektorzimmers. Lisa konnte sich nicht denken, was der Chef vom Dienst von ihr wollte, jetzt, wo die letzte Seite im Schiff stand. Nichts Gutes ahnend, ging sie nach oben zu Holz ins Zimmer. Der dokterte noch an der Seite herum. Böse sagte Lisa, es gehe auf zwölf, aber Holz ließ sich nicht stören, auch wenn die Zeit noch so sehr drängte, nach der Devise, laß dir Zeit, es ist eilig. Holz hatte einen dunklen Schnurrbart zu rötlich schimmernder Glatze, blühend roten Lippen und gesunden weißen Zähnen.

      «Du hast wohl kein Zuhause», sagte Lisa patzig.

      «Reg dich nicht auf», sagte Holz. «Bist doch Mutterns Beste.»

      Die Lampe warf einen runden Fleck auf die Umbruchseite.

      Lisa beschloß keinen Krach anzufangen. Ein Krach würde nur bedeuten, daß ihr Holz einen langen Sermon hielt. Holz konnte übrigens auch anordnen, solange er Chef vom Dienst war. Sie nahm ihm die Seite weg. «Ist sonst noch was?»

      «Ja, der Denkmalpfleger sitzt nebenan und sieht dein Feuilleton durch, korrekter Mensch, wie es scheint»

      Sie täuschte Vergeßlichkeit vor. «Denkmalschützer? Keine Ahnung.» Dann, als dämmere es: «Ach ja, die Häuser in der Oranienburger. Der hatte doch einen Unfall, das Geländer brach, war schon doll, kann ich dir sagen. Ist der wieder gesund? Er hat die Sachen noch mal sehen wollen? Korrekt? Ich weiß nicht, pingelig.»

      «Laß ihn nicht zu lange warten», sagte Holz «ich muß weg.»

      Sie versprach es. Das paßte ja fein, daß Pilgramer hier war, Holz weg mußte und die Nummer im Sterben lag.

      «Hast du noch was», fragte Holz, die allgemeine Frage, bevor man sich verdrückte, wenn nichts vorlag.

      «Nach Hause will ich», sagte Lisa, «ich muß morgen früh raus, den Jungen zum Kindergarten bringen. Haben wir wieder um acht Sitzung? Ihr müßt doch spinnen.»

      Sie brachte die Korrektur an die Maschine, quittierte das Gemaule des Setzers mit einem Schulterzucken und verschwand erst mal in die Damentoilette. Ihr Gesicht sah grau und abgespannt aus, das rötliche Haar war fettig und nicht locker, wie sie es sich wünschte.


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