Mein ist die Rache. Hannes Wildecker

Mein ist die Rache - Hannes Wildecker


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es Zeit wird, sein Stammlokal zu wechseln.

      Ja, sie sind alle alte Hasen, alle fünf. Die vier im Fahrgastraum und der Kollege, der hinter dem Steuer des Van sitzt. Ihm gehört der schicke Wagen, den er zufrieden lächelnd durch den Hochwald, einen Ausläufer des Hunsrücks, steuert.

      Karl Leyenhofer, von seinen Kumpanen und Gästen einfach „Kalle“ genannt, ist mit 49 Jahren der Älteste der Gruppe. Er kann sich diesen Van leisten, hat immer Geld zur Seite geschafft, auch schon mal ein paar Scheine aus kleineren krummen Geschäften waren ihm dazwischengeraten. „Da kommst du manchmal nicht drum herum“, sagt er dann immer zu sich selbst. „Das ist eben manchmal so. Da musst du ganz schön clever sein!“ Clever ist Kalle allemal, zumindest hält er sich dafür, das stärkt sein Selbstbewusstsein.

      Kalle blickt in den Rückspiegel und betrachtet wohlgefällig sein Gesicht. „Für einen Fastfünfziger siehst du gut aus, alter Junge“, denkt er. Sein volles rundes Gesicht ist glatt, kaum eine Falte, in die er sich beim Rasieren schneiden könnte. Das Haar glänzt in prächtigem Schwarz, die Pomade bildet in den durch die Windschutzscheibe verstärkten Sonnenstrahlen kleine Perlen und die kleinen Augen hinter der übergroßen Sonnenbrille sind leicht gerötet. Das sind sie eigentlich immer, denn Kalle leidet unter einer chronischen Bindehautentzündung und diese Röte wird er zeitlebens gepachtet haben. Doch kaum jemand bemerkt davon etwas, denn die Sonnenbrille trägt er Sommer wie Winter und legt sie nur im Bett ab. Es ist auch schon vorgekommen, dass er vergaß, sich ihrer zu entledigen. Meist war dies der Fall, wenn er am Abend mit seinen Gästen zu viel getrunken hatte und übermüdet ins Bett gefallen war.

      Jede Frau hätte ihrem Ehemann die Brille in einer solchen Situation abgenommen und auf dem Nachttisch abgelegt, nicht so Elfriede, Kalles Frau. Elfriede hat mit dem Weltlichen abgeschlossen und lebt in ihrer eigenen Welt. Sie ist zwei Jahre älter als Kalle, doch die Alzheimer Krankheit hat sich schon früh ihrer bemächtigt und so liegt sie die meiste Zeit zu Bett und eine Tagespflegekraft kommt einmal am Tag vorbei, bei Bedarf auch öfters, um nach dem Rechten zu sehen. Dieser Bedarf steigerte sich in den vergangenen Monaten immer mehr und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sie das Haus verlassen und in ein Heim umsiedeln wird.

      Die Straße vor Kalle ist frei und so ist da ausreichend Zeit, sich weiter mit seiner Person zu beschäftigen. Er sieht nochmals in den Spiegel. „Ja, für neunundvierzig sehe ich noch gut aus“, denkt er und lächelt breit, so dass seine Zähne in voller weißer Pracht fast den ganzen Rückspiegel ausfüllen. „Alles noch echt“, denkt Kalle. „Alles echt“.

      „Scheiße verdammte!“, brüllt Kalle plötzlich und tritt mit aller Kraft in die Eisen.

      „…aber der Wagen, der rollt…Hey!“ Abrupt endet das lautstark geschmetterte Volkslied und nur Kalle sieht den kleinen roten Sportwagen, der ihm die Vorfahrt genommen hat und inzwischen bereits wieder aus Sichtweite ist.

      Hinter ihm fluchen laut seine Kollegen. Der Kasten mit den Bierflaschen ist vom Tisch gerutscht und Manni hat ihn gerade noch auffangen können. Manfred Reuter ist der zweite im Bunde. Obwohl er fünf Jahre jünger ist als Kalle, sieht er mindestens fünf Jahre älter aus als dieser. Warum das so ist, darüber gibt es die unterschiedlichsten Annahmen.

      „Er säuft mehr als seine Gäste“, sagen die einen, während andere der Meinung sind, der Krebs würde langsam an ihm zehren. Das allerdings stellt eine weitere Theorie in Abrede. „Man hat ihn noch nie mit einer Frau gesehen, so wie der aussieht, ist der HIV-positiv.“

      Manni kennt alle diese Gespräche über ihn und er alleine weiß die Ursache. Es ist tatsächlich der Alkohol, der ihm über die Jahre so zugesetzt hat. Seine Frau ist ihm vor fast zehn Jahren mit einem ehemaligen Gast durchgebrannt. Einem guten Gast, erinnert sich Manni. War fast jeden Abend im Lokal, hat sein Bier getrunken, was gegessen und hat seine Frau angestarrt, immer wieder. Ihr hat das gefallen und an einem Abend hat sie ihren Koffer gepackt und ist mit ihm gegangen.

      „Ein Glück, dass wir keine Kinder haben!“, hat Manni damals gedacht und wahrscheinlich war das auch ein Grund, dass er sich in der weiteren Zukunft so hat gehen lassen. Erst trank er mit seinen Gästen, dann auch alleine hinter der Theke, während der Arbeitszeit und später noch nach Feierabend in seiner Wohnung. Wären seine Freunde nicht gewesen, wer weiß, wo Manni schließlich gelandet wäre.

      Doch insbesondere Kalle hatte ihn überzeugt, dass eine Frau es nicht Wert sei, sich das eigene Leben kaputtzumachen. Kalle hatte einen bekannten arbeitslosen Gastronomen gebeten, Mannis Kneipe so lange zu führen, bis der Entzug stattgefunden hatte. Als Manni schließlich seine Kneipe selbst wieder führen konnte, versuchte er, dem Alkohol fern zu bleiben. Doch dies gelang ihm nur teilweise, aber zumindest konnte er sein Verlangen reduzieren und sich langsam wieder in sein ehemaliges Leben zurückfinden.

      Dieses Leben hat ihn hager gemacht. Über seinem schmalen Gesicht, das die Backenknochen hervorstehen lässt, wölben sich buschige Augenbrauen und die mittelblonden Haare auf dem Kopf sind so dünn, dass man die Kopfhaut darunter glänzen sieht. Das rechte Ohr schmückt ein Ohrclip in Form einer kleinen Sektflasche. Sein dunkelgrünes, kurzärmeliges Hemd ist mindestens eine Nummer zu groß und drückt sich in Falten durch die Achsellücken der ärmellosen schwarzen Nappa-Lederweste.

      Manni stellt den Kasten zurück auf den Tisch und sofort greifen die Kollegen zu. Mit seinem Feuerzeug öffnet Matthias Meyerfeld vier Flaschen und reicht drei davon weiter.

      Sie prosten sich zu und Maathes, unter diesem Namen kennt der eingeweihte Trierer Gaststättenbesucher seinen Kneipenwirt, dreht sich zu Kalle um, der die Gruppe in Rückspiegel beobachtet.

      „Auch `n Bier?“

      Kalle winkt ab. „Später!“ Schließlich muss er ja fahren.

      Inzwischen haben die fünf Gastwirte das Stadtgebiet und den Stadtteil Feyen hinter sich gelassen und fahren die „Pellinger“, wie die Bundesstraße 268 genannt wird, entlang. Ihr Ziel ist Losheim. Dort haben sie in der Privatbrauerei reserviert und wollen heute Abend so richtig die Sau rauslassen.

      Maathes prostet den Kollegen am Tisch zu und wischt sich den Schaum vom Mund.

      „Schweinerei!“ Er hat die Flasche zu früh abgesetzt und ein Teil des Inhalts ergießt sich auf der Tischplatte.

      „Hat denn keiner ein Tempo oder so was Ähnliches?“, ruft er in die Runde und sucht gleichzeitig in seinen Taschen. Endlich findet er ein gebrauchtes Tuch und wischt die hellbraune Flüssigkeit weg.

      Maathes ist eigentlich eher der unauffällige Typ eines Gastwirtes. Ein Normalbürger, ein Biedermann, so würde man ihn auf den ersten Blick einschätzen. In zwei Jahren wird er Fünfzig. Im Gegensatz zu manchen Kollegen hat er kein Problem mit dem Älterwerden. „Es kommt alles so, wie es kommen soll“, glaubt Maathes an die Vorsehung. Zufälle gibt es für ihn nicht. „Es ist alles vorherbestimmt“ pflegt er immer zu sagen. Auch dass er nie verheiratet war. „Es hat eben nicht sein sollen. Habe nichts verpasst!“

      Und immer, wenn er diese Einstellung preisgibt, streicht er sich über seinen Schnurrbart, den er hegt und pflegt und der gut und gerne eine Spannweite von nahezu zwanzig Zentimetern erreicht hat. Die geschwungene Innenrolle an beiden Enden zwirbelt er mit Bier in die Form. „Bier ist der beste Haarfestiger“, belehrt er jeden Skeptiker, der mit zusammengezogenen Augenbrauen die Prozedur beobachtet.

      „Hey Kalle, wie wäre es mit einer Zigarettenpause?“, ruft Heinrich Schröder, der als starker Raucher die Fahrt offensichtlich mehrfach unterbrechen wird.

      „Warte noch bis hinter Zerf, Henri!“, entgegnet Kalle aus dem Führerhaus. „Wir machen dann auf einem Parkplatz eine Pinkelpause.“

      Henry hustet. Er hustet schon, wenn er an Zigaretten denkt. Verdammtes Laster, auf der einen Seite. Genuss pur für ihn auf der anderen. Er hat nicht vor, aufzuhören.

      Wenn es so kommt, wie es kommen soll, dann ist es eben so, denkt er immer dann, wenn der Husten zu stark wird.

      Henri ist fünfundvierzig, geschieden und hat eine erwachsene Tochter. Er lächelt, als er an Maria denkt. Sein kleines Mariele. Sein einziges Kind. Sein Blick verdunkelt sich gleich wieder. Seit einem Jahr


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