Mein ist die Rache. Hannes Wildecker

Mein ist die Rache - Hannes Wildecker


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dass mich jemand angewählt hatte. Mit dem Hören, da hatte ich so meine Probleme. Dazu noch der Tinnitus, der sich immer dann meldete, wenn es begann stressig zu werden. Eine Kombination, auf die ich gerne verzichtet hätte.

      Es war Willibald Wittenstein, Kriminaldirektor und mein direkter Vorgesetzter. Ich hatte kein gutes Gefühl. Mein freier Tag würde sich gleich in Wohlgefallen auflösen, da war ich mir sicher.

      „Spürmann, es tut mich aufrichtig leid“, kam Wittenstein sofort zur Sache. „Ich habe keine Leute mehr hier in der Mordkommission. Wochenende, Sie kennen das ja. Dazu ist einer krank, einer auf Lehrgang und zwei sind in einer anderen dringenden Angelegenheit unterwegs. Und außerdem, Spürmann, der Tatort ist in der Nähe Ihres Heimatortes. Neuhütten.“

      „Neuhütten? Na ja, in der Nähe von Forstenau ist das ja gerade nicht. Was gibt es denn?“

      „Ich weiß nur so viel, dass es einen Toten gegeben hat. Sieht nach Mord aus. Der Anrufer hat sich ein Zeug zusammen gefaselt. Wir wurden alle nicht so richtig schlau daraus. Von Verstümmelung war die Rede, von Fesselung und so weiter. Genaue Einzelheiten erfahren Sie bei der Polizeiinspektion Hermeskeil. Fragen Sie unterwegs per Funk dort nach. Die Leute sind schon vor Ort.“

      „Chef, wie soll ich das machen? Ich meine, das mit dem Funk. Ich gehe doch davon aus, dass ich mit meinem Auto fahren soll?“

      „Ja, natürlich, Sie brauchen nicht mehr nach Trier zu kommen. Das würde ja viel zu lange dauern. Sie werden zwar nicht per Funk zu erreichen sein. Aber Sie haben ja ein Handy.“

      „Okay, Chef, ist ja gut. Ich übernehme. Ich melde mich dann bei Ihnen, wenn ich mehr weiß.“

      „Stopp, Spürmann, nicht auflegen! Alleine schaffen Sie das doch nicht. Es wird noch jemand zu Ihnen stoßen.“

      „Doch nicht etwa…?“

      „Ja. Kommissarin Schiffmann. Sie hat mich darum gebeten. Muss ja richtig einen Narren an Ihnen gefressen zu haben. Wenn ich da an das vergangene Jahr denke, hahaha…!“

      Das war doch mal eine gute Nachricht. Leni würde mit mir zusammenarbeiten. Die gute Leni aus Adenau, die es nach Trier verschlagen hatte, wo sie ihre Umgebung ab und an mit ihrem Heimatdialekt amüsierte. Zwei größere Fälle hatte ich in der Vergangenheit gemeinsam mit ihr lösen können. Ich freute mich auf die erneute Zusammenarbeit mit ihr.

      „Danke, Chef. Sagen Sie Leni, wir treffen uns am Tatort.“

      3. Kapitel

      Nach Neuhütten schaffte ich es mit meinem alten Weggefährten, meinem Opel Astra Kombi, Baujahr 1991 ohne Probleme. Aus den Lautsprechern ertönte “If it`s the last night“ von TOTO und noch war mir nicht bewusst, wie treffend der Titel zu dem anstehenden Fall passte. Wie gesagt, bis Neuhütten kam ich ohne Probleme. Dass ich dann aber nicht mehr weiterwusste, lag alleine an mir. Ich fand einfach die Auffahrt zum Dollberg nicht. Ich würde nicht daran vorbeikommen, mir in nächster Zeit ein Navigationsgerät zuzulegen. Ich rief die Dienststelle in Hermeskeil an, die mir zusicherten, mir einen ortskundigen Beamten zu schicken. Ich sollte im Ort auf ihn warten.

      So suchte ich den Ortsmittelpunkt auf, stellte den Astra in der Nähe der Kirche ab und vertrat mir noch etwas die Beine. Die Sonne hatte schon an Kraft zugelegt an diesem herrlichen Sommermorgen und schien mir wohlig warm auf den Rücken.

      Wegweiser und Hinweistafeln wiesen auf die Touristenfreundlichkeit des Ortes und seiner näheren Umgebung hin. Da ich noch etwas Zeit hatte, las ich mir durch, womit man in diesem Teil des Hunsrücks zu werben pflegte.

      Eine Karte beschrieb den Weg hinauf zu den Dollbergen und ich dachte daran, dass ich mit diesem Stück Papier auf fremde Hilfe hätte verzichten können.

      Da war der Hinweis auf das so genannte „Tirolerkreuz“, in dessen Nähe offensichtlich auch der Tatort lag. Und eine weitere historische Örtlichkeit wurde angekündigt. Der Steinwall von Otzenhausen, nur einige Kilometer weiter entfernt, ein vorgeschichtliches Denkmal, früher als Hunnenwall bezeichnet, nach heutigen Erkenntnissen eine keltische Befestigungsanlage, eine riesige Wehrmauer, errichtet um das vierte Jahrhundert vor Christus. Dass die heutigen Steinwälle aus immerhin 240000 Kubikmetern dieses ehemaligen Baumaterials bestehen, war auf der Tafel zu lesen.

      Motorengeräusch weckte mich aus meinen Gedanken. Ein blauweißes Polizeiauto, eines aus der neuesten Kollektion, mit zwei uniformierten Kollegen, die allerdings noch im grün-beigen Outfit der im Jahr 1974 von dem damals renommierten Modeschöpfer Heinz Oestergard kreierten Polizeikollektion, fuhr vor und blieb neben mir stehen. Einen der beiden kannte ich. Es war Klaus Gehweiler von der Polizeiinspektion Hermeskeil.

      „Und, sind Sie bereit?“, sagte Gehweiler mit einem merkwürdigen Unterton.

      „Bereit zum Fahren? Immer!“

      „Ja, zum Fahren auch. Das meine ich aber nicht.“

      „Sondern?“

      „Da oben ist was los!“ Gehweiler zeigte mit dem Kopf in Richtung der Anhöhe.

      „Ihr wart schon am Tatort?“

      „Ja, wir haben alles abgesperrt. Die Kriminaltechnik ist auch vor ein paar Minuten eingetroffen. Zwei Kollegen von uns mussten eigens dafür abgestellt werden, die ständigen Wanderer vom Tatort fernzuhalten und sie bitten, ihre Touren nicht zu unterbrechen. Der ‚Tirolerstein’ ist nun mal eine Attraktion für Wanderer und Biker. Wir fahren vor Ihnen her.“

      Ich stieg in meinen Astra und folgte dem Wagen die Anhöhe hinauf. In der Ferne sah ich mehrere Fahrzeuge und einen Pulk von Menschen. Ich parkte das Fahrzeug an einer freien Stelle am Wegesrand und begab mich zu der Menschengruppe.

      Einen Bereich im Umkreis von rund zwanzig Metern um das Wegekreuz herum hatten die Kollegen der Kriminaltechnik abgesperrt und mit einem Signalband kenntlich gemacht. Damit stellten sie sicher, dass erstens niemand der Neugierigen zu nahe an den Arbeitsbereich gelangen konnte und zweitens verwertbare Spuren nicht vernichtet werden konnten … wenn es sie denn gab.

      Ich begab mich durch die Absperrung zu den Kollegen in ihren weißen Overalls und sah die Bescherung. Es war das Grausamte, das ich in meiner polizeilichen Laufbahn erlebt hatte. Hier war ein Perverser am Werk gewesen, anders konnte ich mir das, was sich mir hier offenbarte, nicht erklären.

      „Wir haben an der Leiche nichts verändert“, sagte einer der Spuren sichernden Kollegen und drehte sich zu mir um. Es war Peters, Heinz Peters, einer, den ich immer wieder an schwierigen Tatorten traf, einer, auf den man sich in allen Punkten verlassen konnte.

      „Mit den Spuren ist das hier auch so eine Sache. Der Tatort liegt genau an dem Wanderweg des Saar-Hunsrück-Steigs und der ist, wie man weiß, zu fast allen Zeiten stark frequentiert. Die Wandergruppe, die den Toten gefunden hat, steht dort hinten. Ich habe veranlasst, dass alle Personen so lange bleiben, bis sie zur Sache befragt worden sind.“

      Peters schaute auf den Toten. „So was hat man auch nicht alle Tage“, murmelte er und ich starrte gebannt auf diesen grauenvollen Anblick. Da hatte man einen Mann, ich schätzte ihn auf fünfzig Jahre, auf den etwa einen halben Meter Sockel des „Tirolersteins“ gesetzt und ihn mit den Händen hinter dem Rücken an dem auf dem Sockel angebrachten Holzkreuz mit Klebeband, dem so genannten Panzerband, gefesselt. Die Hose hatte man ihm bis zu den Knien heruntergezogen und auf dem Grasboden vor der Leiche hatte sich eine riesige Blutlache gebildet. Der Grund war offensichtlich und offenbarte alle Grausamkeit, die der Täter, aus welchen Gründen auch immer, hier hatte walten lassen. Dem Mann fehlte das Geschlechtsteil, man hatte es ihm abgeschnitten, so dass der Mann an den Folgen verblutet war. Eine weitere Wunde war nicht festzustellen, aber da würde ich Näheres vom Arzt erfahren, der bislang noch nicht eingetroffen war.

      Der Blick in das Gesicht des Toten ließ mich erneut erschaudern. Das, was dem Mann am unteren Teil seines Körpers fehlte, hatte man ihm ins Gesicht verpflanzt. Um es genauer auszudrücken, man hatte ihm sein eigenes Geschlechtsteil, mit den Hoden voran, in den Mund gesteckt, so dass es aussah, als strecke der Tote seine Zunge heraus.


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