Mein ist die Rache. Hannes Wildecker

Mein ist die Rache - Hannes Wildecker


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Und einer wollte bestimmt eine intensive Berichterstattung: Kriminaldirektor Willibald Wittenstein, unser direkter Vorgesetzter als Chef aller Kriminalpolizeiinspektionen.

      In unserem Büro war schon Wallung. Von Peters hatten die restlichen Kollegen, die an diesem Samstag Dienst verrichteten, erfahren, was in der Nähe von Neuhütten passiert war und wollten Genaueres wissen. Peters legte die Fotos, die er ausgedruckt hatte, vor uns auf den Schreibtisch. Jeder wollte sie sehen und möglichst viel wissen.

      Ich sah Leni an und zeigte mit dem Kopf in Richtung Tür. Es interessierte offensichtlich niemanden, dass wir verschwanden, alle waren zu sehr mit den Fotos und den Erklärungen von Peters beschäftigt.

      Vom Flur aus konnten wir durch das Fenster über die Stadt sehen. Wer war dieser Tote? Wo hatte er gelebt? Fast hunderttausend Menschen gab es allein in dieser Stadt, endlos viele in den Gemeinden des Landkreises. Eine Riesenfleißarbeit stand uns bevor, wobei man nur hoffen konnte, dass er in diesem Bereich zu Hause war. Das Saarland, die angrenzenden Länder Luxemburg und Frankreich musste man mitberücksichtigen und, weiß der Teufel, welche Gebiete noch dazu.

      „Alles Unsinn!“, sagte ich mir. „Wir müssen erst einmal in unseren Gefilden suchen. Wenn das nichts bringt, werden wir weitersehen“.

      „Es gibt doch eigentlich nur drei Möglichkeiten“, hörte ich Leni neben mir sagen. „Entweder ist der Täter ein Perverser, ein Geistesgestörter oder jemand, der sich in furchtbarer Weise für etwas rächen wollte.“

      „Dann muss es aber auch etwas Furchtbares gewesen sein, das dem Täter einen solchen Anlass lieferte.“

      „Ach, die Herrschaften haben nichts zu tun? Na, wer ist denn der Täter? Erzählen Sie mal!“

      Ich brauchte mich nicht umzudrehen, um festzustellen, dass die sarkastische Stimme Wittenstein gehörte. Er war wahrscheinlich der Einzige, der noch nicht wusste, was sich heute in seinem Dienstbezirk abgespielt hatte.

      „Hallo, Chef, wir waren schon auf dem Weg zu Ihnen“, rettete ich die Situation. Da gibt es einiges, das Sie unbedingt wissen sollten.“

      „Kommen Sie mit in mein Büro!“ Wittenstein drehte sich um und ging voran. Leni und ich folgten ihm.

      „Also? Ich höre!“

      Ich erzählte Wittenstein von dem Fund des Ermordeten und die Umstände, unter denen er gefunden worden war. Auch auf die Bedeutung des „Tirolersteins“ wies ich ihn hin. Als ich ihm dann noch sagte, dass wir weder wussten, wer Täter und Opfer seien, war seine Laune vollends hin.

      „Da hat die Presse ja nun wieder mal einen Grund aufzutrumpfen. Ich sehe schon die Schlagzeilen: ‚Brutaler Mord im Hunsrück’, oder ‚Der Geschlechtsteil-Mörder’ oder vielleicht noch schlimmere Aufmacher-Themen. Und nicht einmal einen Anhaltspunkt, einen Hinweis, weder auf den Toten, noch auf den Täter! Wie soll das denn jetzt weitergehen? Mensch, Spürmann, Sie müssen sich da reinhängen, Sie beide, ich verlasse mich darauf!“

      Wittenstein hatte sich in Erregung geredet und was das bedeutete, bekamen wir hautnah mit. Er bekam plötzlich nur noch schwer Luft und begann keuchend zu atmen. Sein Asthma hatte sich offensichtlich verschlimmert. Wittenstein kramte in der Hosentasche und fördert eine Dosierkartusche mit einem Spray zutage, welches er in den Mund steckte und mehrfach auslöste. Offensichtlich ging es ihm nun besser und ich nutzte die Gelegenheit, ihm etwas Hoffnung zu machen, zumindest versuchte ich das.

      „Wir haben am Tatort Reifenspuren gefunden, die durchaus von dem Tatfahrzeug stammen können. Und was den Toten angeht: Spätestens in achtundvierzig Stunden wird man eine Vermisstenanzeige aufgeben…“

      „Achtundvierzig Stunden! Das sind zwei Tage!“ Wittenstein ruderte mit den Armen, als wolle er eine Predigt halten. „Machen Sie sich an die Arbeit! Und melden Sie sich, wenn es etwas Neues gibt. Unbedingt!“

      In unserem Büro hatten sich die Reihen inzwischen gelichtet. Fotos und Spurenberichte lagen geordnet auf meinem Schreibtisch. Die Todesbescheinigung von Dr. Kämmerlein legte ich dazu.

      Jetzt galt es, die obligatorische Arbeit zu erledigen. Tatortbericht schreiben, Zeugenaussagen zu Papier bringen, Fernschreiben an alle deutschen Dienststellen und die in Luxemburg und Frankreich absenden und natürlich die Staatsanwaltschaft informieren.

      Während Leni noch mit Schriftkram beschäftigt war, ging ich rüber zum Erkennungsdienst. Vielleicht hatte Peters eine Idee. Vielleicht hatte er am Tatort etwas festgestellt, das uns weiterbringen würde.

      „Nein, Heiner, da ist nichts, was ich dir präsentieren könnte“. Heinz Peters blätterte in seinen Notizen und den bereits fertigen Unterlagen. „Die Reifenspuren, ja gut. Aber dazu müssen wir erst einmal das dazugehörige Fahrzeug haben. Und um das zu ermitteln, müssen wir einen Hinweis in eine bestimmte Richtung erhalten. Du weißt doch, ein Rädchen greift in das andere.“

      „Kannst du etwas über das Tatwerkzeug sagen? War es ein Messer, war es eine Schere? War das Werkzeug scharf oder stumpf, hatte es Sägezähne? Gab es irgendwelche Fingerabdrücke, irgendwo, am Stein, am Kreuz?“

      „Heiner…!“

      „Hast du Fingerabdrücke sichern können? Mensch, Heinz, es muss doch irgendetwas geben?“

      „Tut mir leid.“

      „Und der Tote? Keinerlei Papiere? Kein Hinweis?“

      „So gut wie keiner.“

      „Und das heißt?“

      „Mir ist an den Augen des Opfers etwas aufgefallen. Sie waren stark gerötet, und das nicht als Folge der Tat. Ich tippe auf Bindehautentzündung, wahrscheinlich chronisch.“

      „Und da bist du sicher?“

      „Genau müsste das ein Arzt feststellen. Kannst du damit etwas anfangen?“

      „Vielleicht war der Mann bei einem Augenarzt in Behandlung. Wenn das so wäre, mit einer Lichtbildvorlage in den Praxen könnten wir doch unter Umständen ein Stück weiterkommen. Vielleicht erfahren wir dort, wer der Mann ist. Danke Heinz!“

      Ich suchte mir die Telefonnummer von Dr. Kämmerlein heraus und rief ihn an. Kämmerlein versprach, die notwendige Untersuchung in der Leichenhalle in Hermeskeil durchzuführen und mich zurückzurufen.

      Dann rief ich die Dienststelle in Hermeskeil an und verlangte einen der beiden Dienst habenden Kripoleute. Es meldete sich Frank Petschke.

      „Hallo Frank, du hast sicher schon die Unterlagen von dem Mord auf dem Dollberg zur Kenntnis vorliegen. Tu mir bitte einen Gefallen. Fotografiere das Gesicht des Toten mit geöffneten Augen! Wir gehen davon aus, dass er eine Bindehautentzündung hat. Das kann uns eventuell bei der Identifizierung der Person helfen.“

      „Wird gemacht. Ich übersende das Foto per Email.“

      „Ja, und noch was. Wenn er noch etwas im Mund hat, nimm es bitte raus! Das Foto soll mehr oder weniger natürlich aussehen.“

      Das Foto kam knapp eine Stunde nach meinem Anruf. Petschke hatte sich beeilt und er hatte das Gesicht des Toten einigermaßen ansehnlich hinbekommen.

      Wir hatten Glück. Rund zehn Kollegen waren ausgesandt worden, um im erst einmal im Trierer Stadtgebiet den ansässigen Augenärzten das Foto unter die Nase zu halten. Doch es war kein Arzt, der die Identität der Person feststellte. Es war ein Patient, der die Lichtbildvorlage in einer Praxis mitverfolgte und sofort sagte: „Den kenne ich. Das ist doch Kalle.“

      Wer Kalle war, konnte dann schnell festgestellt werden. Er war der Inhaber der Gaststätte „Bei Kalle“ im Stadtzentrum und die ermittelnden Kollegen gaben das Ergebnis ihrer Ermittlungen sofort telefonisch an mich weiter.

      Mein Handy in meiner Hosentasche vibrierte. Das Klingeln des Apparates hörte ich in den seltensten Fällen. Ein Segen, dass es die neue Technik gibt!

      Ich schaute auf das Display und schlug die Augen gen Himmel. Ein Teufelswerk war die Erfindung dieses Gerätes, denn es hatte nicht nur positive Seiten. Am anderen Ende war die Filzlaus. Albert Steiner


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