Mein ist die Rache. Hannes Wildecker

Mein ist die Rache - Hannes Wildecker


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Blut lief an seinen Mundwinkeln herab und tropfte auf sein hellblaues Hemd.

      Auf der Erde, neben ihm, lag eine Sonnenbrille.

      Trotz aller Grausamkeit hatte der Anblick etwas Groteskes, offensichtlich hervorgerufen dadurch, dass man ihm die Hoden in die Backentaschen gesteckt hatte und er in der unteren Gesichtshälfte, im Gegensatz zu der oberen einen tragik-komischen Eindruck machte.

      „Legt dem Mann eine Decke über, bis der Arzt kommt!“, bat ich Peters. Der nickte und ging davon. Kurz darauf kam er mit einer grauen Wolldecke mit der Aufschrift „Bereitschaftspolizei“ zurück und legte sie über den Toten.

      „Ist schon etwas über die Identität bekannt?“, fragte ich in die Runde und erntete nur Achselzucken.

      „Wir haben keinerlei persönliche Papiere bei ihm gefunden. Da wirst du nun gefragt sein.“

      „Auf dem Wanderweg haben wir Reifenspuren gesichert“, hörte ich den Kollegen von Peters, den ich noch nie gesehen hatte, sagen. „Wir haben Gipsabdrücke und Fotos. Wir lassen Sie Ihnen zukommen.“

      „Kollege Helmut Franzen“, stellte Peters den jungen Mann vor. Ich gab ihm die Hand. „Spürmann. Ich gehe davon aus, dass von dem Toten ebenfalls Fotos gemacht wurden?“

      „Selbstverständlich, jede Menge. Auf die wird auch das LKA scharf sein, fürs Archiv. Haben die ja auch nicht alle Tage. Solch einen Anblick, meine ich. Wir haben auch die Fesseln gelöst, ist besser wegen der Untersuchung durch den Arzt.“

      „Stellen Sie mir bitte alles zusammen, Spurenbericht, Fotos, Gipsabdrücke der Reifen und was sonst noch so dazukommt.“ Ich drehte mich suchend um. Einen Arzt, oder jemanden, den ich für einen solchen hätte halten können, war nicht zu sehen. Dafür aber bemerkte ich Leni, die ihr Auto etwas weiter weg abgestellt hatte, zu Fuß auf uns zukommen.

      „Dat isch dat hier jefunden hab, meine Fresse, isch hab net mehr dran geglaubt“, kam sie, außer Atem, auf uns zu.

      „Das ist Marlene Schiffmann, meine Kollegin und Mitarbeiterin an diesem Fall“, stellte ich Leni vor. Niemand hatte, wie das sonst der Fall war, bei ihren Ausflügen in ihren Adenauer-Dialekt geschmunzelt, zu betroffen waren alle von dem, was sich uns heute hier bot.

      Leni sah mich an und zeigte mit dem Kopf in Richtung „Tirolerkreuz“.

      „Der Tote?“

      Ich nickte.

      Sie machte Anstalten, rüber zu gehen.

      Ich schüttelte kaum merklich den Kopf und Leni sah mich an.

      „Muss nicht unbedingt sein, warte bis nachher!“

      Lenis Blick verdunkelte sich. „Was heißt, bis nachher? Jetzt beginnen die Ermittlungen und da bin ich doch dabei, oder?“

      Ich gab keine Antwort und Leni ging zu dem Toten. Ich sah ihr zu, wie sie die Decke anhob und wusste, dass sie nur sein Gesicht zu sehen bekam. Das dürfte ja auch reichen, denn was sich weiter unten abgespielt hatte, dass konnte sie aus diesem Anblick folgern.

      Ich merkte, wie Leni erstarrte. Sie legte die Decke zurück und kam zu uns zurück. Sie war sehr blass und sie sah mich direkt an.

      „Entschuldige!“

      „Dafür hast du keine Ursache. Ich glaube, der Arzt ist da!“

      „Und der Leichenwagen.“

      „Der muss noch warten. Halte bitte die Leute noch von hier fern!“, bat ich Leni.

      Ich erkannte schon von weitem, wer der Doktor war: Dr. Julius Kämmerlein. Er hatte eine Praxis als Arzt für Allgemeinmedizin in Hermeskeil. Meine erste Begegnung hatte ich mit ihm im Waldhausener Forst. Die Leiche dort war ebenfalls übel zugerichtet gewesen, aber es fehlte der perverse Einschlag, der sich uns hier offenbarte.

      Kämmerlein hatte sich nicht verändert. Er war hager wie eh und je, und seine Hose schlackerte immer noch um seine Beine. Seine Halbglatze allerdings hatte er dadurch kaschiert, dass er den Haarkranz darum auf minimale Länge gestutzt hatte, was ihm besser stand als das, was aussah wie eine Clown-Perücke. Und er kannte mich sogar noch.

      „Tag Herr Spürmann. Was liegt an?“

      Ich zeigte in Richtung des abgedeckten Toten und Kämmerlein machte sich an seine Untersuchungen. Zwischendurch schaute er zu uns und schüttelte immer wieder mit dem Kopf.

      „Was muss das für ein Mensch sein? Ich meine den, der das getan hat.“

      „Was glauben Sie, wie lange ist der Mann schon tot?“

      „Ich schätze, so acht bis neun Stunden. Die Tat dürfte so gegen zwei Uhr heute Nacht geschehen sein. Ich hoffe, es hilft Ihnen weiter.“

      „Todesursache?“ Ich wusste, was Kämmerlein sagen würde.

      „Der Mann ist verblutet, vielleicht sogar erstickt, ich kann es von hier aus nicht sagen. Das wird die Obduktion ergeben. Haben Sie irgendwelche Daten des Toten für den vorläufigen Totenschein?“

      „Nein, aber ich hoffe, wir finden es heute noch heraus.“

      Ich gab den beiden Leichenbestattern ein Zeichen, die mit einem Blechsarg herbeikamen und damit begannen, den Toten darin zu verstauen.

      Die beiden Kollegen von der Kriminaltechnik hatten sich inzwischen ihrer weißen Arbeitskleidung entledigt und verabschiedeten sich.

      „Wir sehen uns!“, rief Peters noch in meine Richtung.

      Auch die Gaffer, die es bis jetzt ausgehalten hatten, machten sich auf den Weg, um auf dem Steig weiterzuwandern. Nur die Gruppe, die den Toten gefunden hatte, blieb noch und wartete darauf angesprochen zu werden.

      Ich winkte kurz in deren Richtung, um zu signalisieren, dass wir gleich kämen und wandte mich an die beiden Leichenbestatter.

      „Die Leiche bringen Sie bitte in den gerichtsmedizinischen Raum im Hermeskeiler Krankenhaus!“, bat ich und wandte mit den beiden Kollegen von der Polizeiinspektion zu.

      „Sie kennen sich doch beide sicherlich hier aus. Warum gerade hier? Ich meine die Tat und das ganze Drumherum.“

      „Ich kann natürlich keinen Zusammenhang sehen“, suchte Gehweiler nach einer Erklärung, in Richtung „Tirolerkreuz“ schauend. „Aber vielleicht hängt es tatsächlich mit dem Kreuz zusammen. Es gibt dazu eine angeblich wahre Geschichte.“

      „Die würde ich gerne hören.“

      „Also, dieses Kreuz erinnert an den gewaltsamen Tod eines Tiroler Wanderhändlers mit Namen Thomas im Jahr 1741. Nachdem er von seinen Kunden, die ihn immer pünktlich erwarteten, vermisst wurde, hatte man eine Suchaktion eingeleitet, wobei der Vermisste dann hier auf dem Dollbergkamm gefunden wurde. Er war vom Schnee vergraben und lag auf dem Gesicht in einer großen Blutlache. Es stellte sich heraus, dass er erschlagen wurde. Das Motiv konnte nie geklärt und der Täte nie gefasst werden und der Stein bekam, sowohl im Volksmund, als auch im offiziellen Liegenschaftskataster, den Namen ‚Tirolerstein’.“

      „Vielleicht spielt ja dieses Kreuz auch in unserem Fall eine Rolle“, sinnierte ich vor mich hin. „Es muss doch einen Grund dafür geben, dass man gerade bei diesem Gedenkstein einen Menschen hinrichtet.“

      Ich ging zu der Wandergruppe, die auf uns wartete. Leni folgte mir. Die beiden Kollegen von der Schutzpolizei winkten kurz und fuhren davon, zu ihrer Dienststelle.

      Die Gruppe konnte uns nichts Neues erzählen, als das, was wir schon wussten. Wir vereinbarten, dass jemand von der Dienststelle bei ihnen in der Firma vorbeikäme und die Aussagen protokollieren würde. Dann entließen wir die verstörte Gruppe, die sich daran machte, den Rest der beabsichtigten Wanderung hinter sich zu bringen. Bei einem Schnaps würde man anschließend noch ausgiebig über das Erlebnis sprechen. Und Reden ist ja bekanntlich die beste Art, Dinge zu verarbeiten.

      4. Kapitel

      Die


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