Mein ist die Rache. Hannes Wildecker

Mein ist die Rache - Hannes Wildecker


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was wollen Sie denn schon wieder?“ Ich sah ihn förmlich vor mir mit seiner Basecap, die er wohl nur zum Schlafen ablegte, seinen Schreibstift gezückt, in sich hineingrinsend. Steiner war immer da, wenn es was zu holen gab und wenn ich ihn am wenigsten vermutete, dann stand er neben mir, lächelte vertrauensselig und wollte Informationen.

      In den meisten Fällen war er fast gleichzeitig mit der Polizei am Tatort. Ich sagte ihm mehrfach auf den Kopf zu, dass er den Polizeifunk abhörte, doch vor seinem unschuldigen Lächeln kapitulierte ich dann doch immer wieder. Wenn er es dann wirklich tat, na ja, es war doch irgendwie für einen guten Zweck.

      „Hallo, Herr Spürmann. Denken Sie immer daran, dass ich Ihnen auch helfen kann. Ich habe von dem Toten am ‚Tirolerstein’ gehört. Sagen Sie mir ein paar Takte dazu!“

      „Was glauben Sie, was ich weiß, Steiner. So gut wie nichts. Ich kann Ihnen sagen, dass es einen Toten gegeben hat, mehr nicht.“

      „Was war denn die Todesursache? Wie wurde der Mann umgebracht?“

      Gerade das wollte ich Steiner nicht auf die Nase binden. Voyeur-Journalismus, das wäre alles, was dabei rauskommen würde.

      „Ich kann Ihnen sagen, dass er offensichtlich mit einem Messer so stark verletzt wurde, dass er verblutete.“

      „Aber wie kam der Mann zum ‚Tirolerstein’? Wurde er dort ermordet, oder ist dort nur der Fundort?“

      „Steiner, das ist vorläufig alles. Ich kann Ihnen im Moment noch nicht mehr sagen.“ Mit diesen Worten beendete ich das Gespräch. Er würde nicht nachgeben, das wusste ich. Steiner würde am Ball bleiben. Bis dahin würde mir etwas einfallen. Oder ich würde ihn an die Pressestelle des Präsidiums verweisen.

      „Wir haben das Auto von Leyenhofer gefunden!“ Mit diesen Worten betrat Peters mein Büro. „Es war im Waldgelände von Neuhütten abgestellt. Wir haben es auf den Kopf gestellt, verwertbare Spuren, außer denen von Leyenhofer, haben wir nicht gefunden. Das Fahrzeug steht auf dem Hof des Präsidiums, falls es noch gebraucht wird. Die gesicherten Reifenspuren stammen übrigens von diesem Wagen. Tut mir leid.“

      Am Nachmittag standen Leni und ich vor der Gaststätte, in der von Einheimischen, aber insbesondere von Touristen auch am Wochenende stark frequentierten Innenstadt. Mitten in der endlos wirkenden Häuserzeile fiel das Transparent sofort auf. „Bei Kalle“ verkündete es in einem aufdringlichen Blau, das den Blick dessen, der sich nach einer Rast umsah, unweigerlich auf sich ziehen musste.

      Durch die wegen der hohen Temperaturen geöffnete Eingangstür konnten wir erkennen, dass reger Betrieb im Inneren herrschte. Der Laden schien zu florieren, auch ohne Kalle. Wir betraten die Gaststätte, in der es aufdringlich nach einem Gemisch von Multi-Kulti-Essen roch. Man hätte in einer Rateschau auftreten können, mit der Option, ein bestimmtes Gericht herausfinden.

      Zwei weibliche Bedienungen eilten von Tisch zu Tisch, um die Bedürfnisse der Gäste zu befriedigen. Hinter der Theke stand ein Mann, der sich ausschließlich um die Getränke zu kümmern schien. Momentan war er dabei, Bier zu zapfen und das machte er in einer Manier, die erahnen ließ, dass dies seine Hauptbeschäftigung war.

      Ich winkte den Mann, den ich auf etwa vierzig Jahre schätzte, zu mir heran. Doch da hatte ich mich offensichtlich vertan. Der Mann schüttelte verneinend dem Kopf, um mit diesem noch einmal auf seine halbvollen Biergläser zu deuten. Ich trat näher zu ihm heran und beugte mich mit dem Oberkörper leicht über die Theke in seine Richtung.

      „Können wir Sie einen Moment sprechen?“

      Der Mann schüttelte nur den Kopf und zapfte weiter Bier in die Gläser. Ich hielt ihm meine Kriminalmarke unter die Nase.

      „Es ist dringend!“, sagte ich.

      „Keine Zeit. Kommen Sie ein anderes Mal wieder!“

      Ich versuchte es anders.

      „Kalle ist tot!“

      Der Mann zuckte zusammen und sah langsam zu uns herüber.

      „Was sagen sie da?“, fragte er gedehnt. Bier lief über seine hageren Hände und er stellte den Bierhahn ab. Man sah dem Mann seinen aufreibenden Beruf an. Nicht nur seine Hände, sein ganzes Erscheinen basierte auf Hagerkeit. Sein Oberlippenbart und die spärlichen dunkelblonden Haare verstärkten diesen Eindruck noch. Er wischte sich die Hände an seiner Schürze ab.

      „Was ist…?“

      „Können wir uns sonst wo unterhalten?“, fragte ich und bemerkte hinter der Theke eine Tür, die offensichtlich in private Gefilde führte.

      Der Mann rief eine der weiblichen Bedienungen und gab ihr einige Instruktionen. Dann winkte er Leni und mich nach hinten und wir folgten ihm durch die Hintertür in einen Raum, der offensichtlich als Lager diente. Getränkekisten stapelten sich fast bis zur Decke, in Regalen lagen verpackte Lebensmittel und die Temperatur war angenehm kühl, zumindest für den ersten Moment.

      „Darf ich Ihren Namen erfahren?“, fragte ich.

      „Stenzel, Horst Stenzel. Ich vertrete Kalle immer, wenn er nicht im Haus ist. Und das kommt oft vor. Was ist mit Kalle passiert?“

      „Erst einmal eine Frage an Sie: Wo waren Sie gestern Abend in der Zeit von, sagen wir mal einundzwanzig bis vierundzwanzig Uhr?“

      „Was soll die Frage? Glauben Sie, ich bringe meinen Arbeitgeber um?“

      „Ich habe nicht gesagt, dass er umgebracht wurde.“

      Was soll sonst passiert sein, wenn die Kripo deswegen hier auftaucht?“

      „Also, wo waren Sie?“

      „Ich hatte Dienst bis gegen zwanzig Uhr. Dann bin ich nach Hause gefahren, habe noch etwas ferngesehen und mich dann schlafen gelegt. Was ist mit Kalle?“

      „Er wurde ermordet, gestern Abend. Haben Sie Zeugen?“

      „Natürlich keine. Ich lebe alleine. Aber glauben Sie mir, nach Arbeitsschluss bin ich ziemlich fertig, da liegt mit nicht mehr der Sinn, jemanden umzubringen.“

      „Ich glaube, wir unterhalten uns auf der Dienststelle weiter. Leni, ruf bitte die Kollegen an!“

      „Langsam, langsam! War doch nicht so gemeint. Natürlich habe ich keine Zeugen. Aber ich verstehe nicht. Kalle ermordet? Warum? Der hatte doch keine Feinde, ich meine bis auf die üblichen Streitereien, die es in Gaststätten schon mal gibt.“

      „Hat Karl Leyenhofer Angehörige? Frau, Kinder, oder sonstige?“, fragte Leni, die bis zu diesem Zeitpunkt nur zugehört hatte.

      „Ja, Kalle hat eine Ehefrau.“ Stenzel wurde auf einmal nachdenklich. „Die Arme. Was wird jetzt aus ihr?“

      „Was meinen Sie damit?“

      „Kalles Frau hat Alzheimer. Liegt den ganzen Tag in ihrem Bett. Zweimal am Tag, manchmal sogar dreimal, kommt der Pflegedienst zu ihr. In den Zeiten dazwischen hat sich Kalle um sie gekümmert. Was soll jetzt mir ihr geschehen?“

      Ich wandte mich an Leni.

      „Rufst du bitte auf der Dienststelle an, dass sich jemand darum kümmert. Und zu Stenzel gewandt: „Würden Sie Herrn Leyenhofer identifizieren? Irgendjemand muss es tun. Die Kollegen würden Sie dann nach Hermeskeil in die Gerichtsmedizin bringen.“

      Stenzel atmete tief durch. „Was, wenn ich ablehne?“

      „Dann müssten wir unsere Schlüsse daraus ziehen. Wie das aussieht, können Sie sich denken.“

      „Okay, ich mach`s!“

      Ich rief bei der Dienststelle an und bat um Entsendung eines Wagens.

      „Die Kollegen werden in einer halben Stunde hier sein. Wo kann ich Sie in den nächsten Tagen erreichen?“

      „Ich werde erst einmal die Gaststätte weiterführen, zumindest die nächsten Tage, bis eine Regelung, so oder so, herbeigeführt wird. Ich werde am Tag also hier und danach in meiner Wohnung sein. Hier bitte.“


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