Adler und Leopard Gesamtausgabe. Peter Urban

Adler und Leopard Gesamtausgabe - Peter Urban


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hatte sich zum unangefochtenen Beherrscher Europas aufgeschwungen. Der Weser-Ems-Feldzug war eine Totgeburt unter den langen Schatten von Austerlitz. Nichts und niemand konnten die dritte Koalition noch retten. Russland und Österreich-Ungarn würden nun gewiss einen Sonderfrieden mit Napoleon schließen. Und Arthur saß in Hamburg fest, wo seine einzige Aufgabe darin bestand im strömenden Regen und mitten in einem harten Winter sechstausend britische Soldaten unter Kontrolle zu halten. Alles war so traurig, dass man darüber eigentlich nur noch lachen konnte.

      Nach der Weihnachtsmesse hatten Wellesleys Offiziere beschlossen, gemeinsam zu Abend zu essen. Oberst Rowland Hill, der nicht zum Stab des Generals gehörte, sondern lediglich Lord Cathcarts Verbindungsoffizier in Hamburg war, schloss sich ihnen an. Auf dem Weg ins Hauptquartier verschwand er in einer kleinen Seitengasse am Fischmarkt, nur um einige Minuten später zufrieden mit einem großen, köstlich duftenden Paket wieder aufzutauchen. " Meine Herren“, schmunzelte er, “der Vorteil, hier schon seit zwei Monaten untätig im Regen zu sitzen liegt darin, dass man die Geheimnisse dieser Stadt kennenlernt. Eine fette, gefüllte Weihnachtsgans und herrlich heiß! Ich bin sicher, unsere Laune wird nach diesem Festschmaus besser sein, als nach der verregneten Messe." Die Männer eilten bis zum Gasthof Die Goldene Kugel zurück. Ein junger Hauptmann mit Namen Westmorland, der für gewöhnlich als Übersetzer für den Kommandeur arbeitete, ging in die Küche und bat den Wirt um Teller und Besteck. Dann bestellte er noch Bier, Wein und frisches Brot für alle.

      Rowland Hill stammte aus Shropshire. Er war ein freundlicher, etwas dicklicher Mann mit kurzsichtigen Augen und spärlichem, rötlich-blondem Haarwuchs. Er war dreiunddreißig Jahre alt. Trotzdem hatten ihm seine Rotröcke aus dem 90.Infanterieregiment den Spitznamen „Daddy Hill“ gegeben, denn er kümmerte sich geradezu rührend um ihr körperliches und seelisches Wohlbefinden. Hill hatte für jeden ein gutes Wort übrig. Auf den ersten Blick ähnelte er mehr einem braven Landpfarrer, als einem kampferprobten und furchtlosen Soldaten. Er hatte sich bei Toulon und auf dem Ägypten-Feldzug unter Abercrombie ausgezeichnet und war früh zum Obersten befördert worden. Nachdem er seine versammelten Kameraden im Gastzimmer der Goldenen Kugel zu Tisch gebeten hatte, öffnete Rowland Hill mit genießerischem Blick die Verpackung der Weihnachtsgans. Hauptmann Blygth, ein spindeldürrer, rothaariger Waliser, dessen Gesicht über und über von Sommersprossen bedeckt war, reichte ihm erwartungsvoll ein großes, scharfes Messer und saugte dabei tief den verführerischen Duft der Weihnachtsgans durch die überlange Nase ein. Die Wärme, das frisch gezapfte Bier und die Vorfreude auf ein opulentes Abendmahl hatte die Stimmung der kleinen Truppe sichtlich gehoben. Hill wollte gerade damit anfangen, die Gans aufzuteilen, als sein Gewissen ihm befahl innezuhalten. "Meine Herren, eigentlich sollten wir General Wellesley auch einladen, mit uns zu essen.", sagte er. Der junge Blygth sah ihn entgeistert an:"Rowland, bist Du verrückt geworden? Der Alte wird uns mit seiner üblen Laune den ganzen Abend verderben, falls er sich überhaupt dazu herab lässt Deine Einladung anzunehmen." Oberstleutnant Allan Elphinstone, der die 33.Infanterie kommandierte - Wellesleys eigenes Regiment - hob gar die Hände gen Himmel: “Ich bitte Dich, Rowland, nicht an Heilig Abend! Ansonsten köpft oder rädert Nosey noch einen von uns; sozusagen zur Feier des Tages.” Westmorland nickte zustimmend: "Wellesley ist so ungenießbar, dass ich ihm wenigstens am Weihnachtsabend nicht begegnen will. Jedes Mal wenn der einen ansieht, läuft einem ein eisiger Schauer über den Rücken. Ich glaube kaum, dass Du hier in unserer Mitte einen Freiwilligen findest, der in den ersten Stock hinaufgeht und an seine Tür klopft. Und der alte Johnny Dunn ist bestimmt schon unterwegs zur Christmesse. Der sitzt mindestens bis Mitternacht in der Kirche und preist den Herrn."

      "Was habt Ihr eigentlich alle?“, fragte Hill, “Ich finde, Euer Kommandeur ist ganz vernünftig und umgänglich. Wenn ich die Verantwortung für sechstausend unbeschäftigte Rotröcke in einer so reichen und einladenden Stadt, wie Hamburg hätte, die noch dazu zu unseren Verbündeten zählt, würde mir das auch auf den Magen schlagen. Stellt Euch einfach vor, die Soldaten laufen Wellesley aus dem Ruder und nehmen die Stadt auseinander, weil sie vor lauter Langeweile übermütig werden. Die Horse Guards würde ihn zuerst kreuzigen und anschließend vierteilen. Wenn die Truppe sich nicht vor lauter Angst vor Sir Arthur in die Hose machen würde, hätten wir alle schon lange große Probleme.“ Westmorland legte Hill mit einem spitzbübischen Grinsen die Hand auf die Schulter: "Wenn Du Nosey für ein solch friedfertiges und sanftes Wesen hältst, dann geh doch nach oben und frag ihn, ob wir seiner erlauchten Gesellschaft würdig sind, Rowland. Wir werden zwischenzeitlich für Deine unsterbliche Seele beten."

      “ Kindsköpfe!", schimpfte Hill und überlies die fette Gans vorerst ihrem Schicksal. Dann drehte er sich um und stieg entschlossen die Treppe in den ersten Stock hinauf. Er klopfte kräftig an die Tür des Generals. Doch nichts rührte sich. Er wollte schon kehrtmachen, um zu seinen Kameraden und der leckeren Gans zurückzukehren, als ihn eine Stimme zurückhielt: "Kommen Sie rein, Hill."

      " Woher wissen Sie, wer an Ihre Tür klopft, Sir Arthur?"

      " Da unten befinden sich die Herren meines Stabes, die hier nur heraufkommen, wenn ihnen jemand eine Pistole in den Rücken drückt. Bleiben also nur noch Sie übrig." Arthur grinste zufrieden. Er hatte den Kameraden Hill gründlich überrascht.

      "Sir, es ist Weihnachten! Wollen Sie nicht endlich zu Arbeiten aufhören und mit uns allen zu Abend essen?"

      "Mein lieber Hill, der Stab ist vermutlich herzlich zufrieden, wenn ich nicht nach unten komme, weil ich den jungen Herren mit meiner schlechten Laune den Abend verderben oder schlimmer noch, einem von ihnen den Kopf abreißen könnte."

      "Na ja, ich verstehe die jungen Herren ein wenig!", Rowland Hill lächelte den fast gleichaltrigen General entwaffnend an. "Glauben Sie womöglich, es macht mir Spaß mit Friedhofsmiene und der neunschwänzigen Katze unter dem Arm im Regen zu sitzen und sechstausend Mann stramm stehen zu lassen?", Arthurs Ton war überhaupt nicht ruppig, sondern amüsiert. Seine graublauen Augen blitzten Hill vergnügt an. Er mochte den Mann aus Shropshire gut leiden, denn er stand mit beiden Beinen fest im Leben und hatte einen Kopf der denken konnte. Hill seufzte aus tiefstem Herzen. Er war eine ehrliche Haut: ”Sir Arthur, dieses ganze Expeditionskorps und der Weser-Ems-Feldzug sind doch völliger Unsinn! Ich verstehe nur nicht, wer sich das ausgedacht hat und warum man gerade Sie diese Suppe auslöffeln lässt?" Arthur zog die dunkelblaue Feldjacke aus und schmiss sie nachlässig aufs Bett. Dann schob er seinen Kollegen aus Shropshire vor sich durch die Tür: "Kommen Sie, Hill! Die Gans, die da unten so verführerisch duftet, ist ein erbaulicheres Gesprächsthema als britische Außenpolitik! Außerdem werden wir diese kalte, feuchte Stadt schon bald verlassen dürfen."

      Die Offiziere aus Wellesleys Stab staunten nicht schlecht, als sie ihren Kommandeur hemdsärmelig und allen Anscheins nach, in bester Laune auftauchen sahen. Er griff sich einen Stuhl vom Nachbartisch und quetschte sich zwischen den jungen Blygth und Westmorland. "Keine Angst, meine Herren“, amüsierte er sich, “ich werde Sie heute Abend ausnahmsweise einmal nicht beißen:" Rowland Hill schnitt die Gans auf und verteilte großzügige Stücke auf die Teller. Der Wirt, der von der Küche aus gesehen hatte, dass der britische General sich zu seinen Offizieren gesellte, eilte mit einem weiteren Teller und Besteck an den Tisch. Seine Frau brachte eine große Schüssel mit Rotkraut und eine weitere mit heißen Knödeln.

      Vierzehn Tage später erhielt Arthur endlich den heiß ersehnten Marschbefehl zurück nach Hause. Mit diesem Schreiben waren noch haufenweise Neuigkeiten angekommen. Sein ältester Bruder Mornington war wieder in England. Richard beklagte sich bitterlich, dass man ihn wegen seiner Verwaltung Britisch-Indiens vor einen Untersuchungsausschuss zerrte. Er drängelte Arthur, ebenfalls um Vorladung zu ersuchen. Sein väterlicher Freund Charles Lennox, der Herzog von Richmond, schrieb, dass Cornwallis, der Richard als Generalgouverneur in Kalkutta hätte ablösen sollen, seine Amtseinführung nur um wenige Wochen überlebt hatte und bereits seit ein paar Monaten sechs Fuß tief unter indischer Erde begraben lag. Damit hatte Arthur endgültig das 33. Infanterieregiment geerbt. Von Robert Castlereagh erfuhr er, dass William Pitt, Bonapartes Sieg bei Austerlitz und den Zusammenbruch der dritten Koalition nicht überlebt hatte. Er war Anfang Januar in seinem Haus am Hyde Park gestorben. Seine letzten Worte waren gewesen: "Oh mein Land! In welchem Zustand lasse ich mein Land zurück!“ Und ein Brief von Sarah lag in der Post. Sie wollte wissen, ob er ihr böse war, weil sie seinen Antrag abgelehnt hatte und sich deshalb nicht


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