Adler und Leopard Gesamtausgabe. Peter Urban
in Zukunft zu meinem ältesten Bruder stelle."
"Sprich weiter Arthur. Ich bin einverstanden." Der Herzog von Richmond akzeptierte den Vorschlag des jüngeren Mannes. Arthur nahm ein Buch vom Tisch und blätterte darin, ohne auf die Seiten zu sehen: “Richard hat Staatsgeldern oder Mitteln der Ostindischen Kompanie veruntreut?"
"Du hast also endlich verstanden, warum niemand will, dass Du Dich in diese heikle Angelegenheit einmischt. Richard war einfach zu gierig. Er hat zu viel genommen und um noch mehr zu bekommen, hat er mit Ämtern gehandelt und von den Maharadschas Bestechungsgelder kassiert. Im Austausch für die miesen, kleinen Geschäfte Deines ältesten Bruders haben dann meist Du und Deine Männer in irgendeinem gottverlassenen Winkel des Subkontinents die Knochen hingehalten."
"Und Henry ?" Arthurs Stimme klang besorgt. Sein anderer Bruder hatte einen wichtigen Posten als Privatsekretär des Generalgouverneurs bekleidet. Er hätte ohne Probleme seine Finger in diesem schmutzigen Spiel haben und gemeinsame Sache mit Richard machen können. Arthur kannte seine beiden Brüder kaum. Was wusste er eigentlich wirklich über diesen Männern, die den gleichen Familiennamen trugen, wie er? "Henry ist wegen dieser üblen Geschichten aus Indien weggelaufen.“, erklärte Richmond, “Er hat auf eine glänzende Karriere in der Kolonie verzichtet, aber er wollte mit den schmutzigen Machenschaften von Richard nichts zu tun haben. Doch Henry war und ist in einem ähnlichen Dilemma gefangen, wie Du. Richard ist auch sein ältester Bruder. Er kann ihn genauso wenig ans Messer liefern, wie Du. Du bist also nicht der Einzige, den die Familientreue hier in eine gewaltige Zwickmühle bringt.“
Arthur nickte. Er war erleichtert, dass Henry keine schmutzigen Hände hatte. Doch sein ältester Bruder war korrupt. Der Löwenanteil an den Preisgeldern, die enorme Vergütung als Generalgouverneur … es hatten ihm nicht gereicht. Eigentlich passte dieser Charakterzug gut zu Richard. Sein ältester Bruder hatte schon immer gerne auf großem Fuß gelebt und wurde außerdem von krankhaftem Ehrgeiz zerfressen. Als er den Titel ihres Vaters geerbt hatte, war die finanzielle Situation der Familie katastrophal gewesen. Richard hatte sein Heil in einer Zweckehe mit einer reichen Frau gesucht und sich sofort daran gemacht, seine Situation zu verbessern, indem er sich mit Leib und Seele der Politik verschrieb: Über Beziehungen und Ränkespiele war es ihm schnell gelungen, sich einen Platz an der Sonne zu schaffen. Doch sein Lebenswandel brachte ihn regelmäßig an Rande des Ruins. Die Häuser waren zu groß, die Garderoben seiner Frau zu teuer, der Unterhalt diverser Mätressen extravagant und die Angewohnheit zu spielen, verhängnisvoll. Arthur hatte Richards Bedürfnis sich ständig nach außen darzustellen zu müssen, nie begriffen. Teilweise lag ihr schlechtes Verhältnis eben auch daran, dass sie so grundverschieden waren. Kurz bevor Arthur nach Indien aufgebrochen war, hatte sein Bruder den alten Familienbesitz -Dungan Castle und Kildare, das Geburtshaus ihres Vaters -Kildare- zu Geld gemacht und dabei Arthurs Anteil an Grund und Boden mit in den Kaufvertrag eingebracht, ohne seinen Bruder um Erlaubnis zu bitten. Vom Erlös der Transaktion, hatte Arthur keinen Penny gesehen. Er hatte Kildare, sogar völlig überteuert zurückkaufen müssen, um überhaupt ein Stück heimatlicher Erde für sich zu bewahren. Er hatte keinem seiner Brüder erzählt, dass er Kildare zurückgekauft hatte: Kildare, das Haus in dem ihr Vater zur Welt gekommen war und in das er sich immer zurückgezogen hatte, um seine wunderschönen Melodien zu komponieren. Alle hatten sie den alten Lord Mornington belächelt, weil er eben sein Geld als Professor am Trinity College und Komponist verdienen musste. Aber Arthur hatte ihren Vater hingebungsvoll geliebt, denn er war gütig und sanft gewesen und er hatte es verstanden, anderen Menschen durch seine Melodien und Weisen Freude und Leichtigkeit zu schenken.
In Indien hatten sich ähnliche Zwischenfälle dann regelmäßig wiederholt. Wenn es um die Verteilung von Preisgeldern aus Kriegserfolgen ging, hatte Richard regelmäßig den größten Batzen für sich einbehalten und den Offizieren und Soldaten nur die Brotkrumen hingeworfen. Arthur hatte zu Geld noch nie ein enges Verhältnis gehabt. Er gehörte zu den Menschen, die nichts damit anzufangen wussten. Sein Lebenswandel war bescheiden. Seine Bedürfnisse beschränkten sich auf den Unterhalt seines Regimentes, die Verpflegung seiner Offiziere und ein neues Reitpferd oder eine neue Uniform von Zeit zu Zeit .In der indischen Wildnis, tief im Herzen des Feindes, war ihm die Sache mit den Preisgeldern eigentlich nie richtig aufgefallen, denn er war zu sehr mit den Marattha und seiner eigenen Armee beschäftigt gewesen. Doch in diesem Augenblick des ruhigen Nachdenkens …
" Nun, Arthur ! Wie willst Du Dich verhalten?" Richmond ging gespannt in seinem Arbeitszimmer auf und ab. "Es beschämt mich, dass mein Bruder solche widerwärtigen Neigungen hat und sie nicht zügeln kann“, erwiderte Wellesley, “doch dies ändert nichts an der Tatsache, dass Richard mein Bruder ist und ich ihm aus familiären Gründen Loyalität schulde."
"Und Du glaubst, Richard würde auch nur einen Finger für Dich krumm machen, wenn Du in Schwierigkeiten stecken würdest?“, Richmond schüttelte den Kopf. Er konnte nicht verstehen, wie ein erwachsener Mann nur so stur sein konnte, um sehenden Auges für einen abgebrühten Halunken direkt ins offene Messer zu laufen, “ Erinnere Dich zurück, Arthur. Du warst damals zwölf Jahre alt. Ein Kind. Und Richard er war damals zweiundzwanzig. Er hat Dich skrupellos in eine Lage manövriert, in der Du, um der Ehre Deines Vaters Willen, wie ein Mann handeln musstest. Du bist damals ganz alleine zu Garetts Gläubigern gegangen und hast jedem einzelnen schriftlich gegeben, dass Du seine Schulden bis zum letzten Penny übernimmst. Ich erinnere mich noch an Tagen, da wusste ein achtzehnjähriger Fähnrich nicht, wie er ein Stück Brot auf seinen Teller bekommen sollte, während ein anderer Wellesley sechsspännig ins Carlton fuhr, um dort zu speisen - natürlich mit einer seiner Mätressen am Arm!" Richmond sah den General unglücklich an. “Mein Junge, Du bist entweder fürchterlich naiv oder schrecklich gutgläubig."
" Du hast sicher Recht, Charles“, antwortete Arthur“, aber ich werde mir trotzdem nicht die schlechten Eigenschaften meines ältesten Bruders zulegen, nur um Dir oder den Konservativen einen Gefallen zu tun. Mag sein, dass Richard dem Teufel seine Seele verkauft, nur um Geld und Macht zu bekommen. Mag sein, dass er die eigene Familie verrät und verkauft, aber seine Lebenseinstellung ist nicht meine und wird es auch nie sein. Richard und ich, wir glauben an sehr unterschiedliche Götter.", er stand auf und verließ das Arbeitszimmer, ohne auf eine Antwort des Herzogs von Richmond zu warten.
Kapitel 5 Im Namen des allmächtigen Baumeisters aller Welten
Die monumentale Kathedrale im Herzen der Hauptstadt war zum Bersten gefüllt. Sogar draußen auf dem Parvis drängte sich eine schwarze Menschentraube. Man hatte das große Portal nicht geschlossen, damit alle die es wünschten William Pitt die letzte Ehre erweisen konnten. Ein eisiger Wind ließ die Kerzen flackern. Die Totenmesse für den überraschend verstorbenen Premierminister wurde in St.Paul‘s gelesen. Es war beißend kalt. Auf den endlosen Gottesdienst folgten endlose Elogen an den großen Staatsmann. Arthur lies alles gelangweilt über sich ergehen. Dieses Staatsbegräbnis war eine Angelegenheit, der er sich als Offizier im Generalsrang nicht entziehen konnte. Also fror er an der Seite von Henry Paget, seinem Kameraden aus der Kavallerie still vor sich hin. Er hatte den Tod von William Pitt zutiefst bedauert. Großbritannien hatte einen eminenten Politiker, er selbst einen väterlichen Freund verloren. Er musste an seine letzte Begegnung mit Pitt zurückdenken: Kurz vor seinem Kommando im Hannoverschen; der Premierminister hatte krank und verbraucht ausgesehen. Er war völlig überarbeitet gewesen; die Sorge um England, die ständigen Intrigen und Streitereien im Unterhaus, der zügellose Missbrauch der Portweinflasche. Pitt war nur noch ein Schatten seiner selbst gewesen. Arthur hatte bereits an diesem Abend, spät im November 1805 gefühlt, dass er ein Mann gegenüber stand, der nicht mehr lange zu leben hatte. Zum Abschied hatte der Premierminister ihm damals erklärt:“ England wird sich durch eigene Anstrengungen aus dieser schrecklichen Lage retten und dann wird ganz Europa unserem Beispiel folgen und das Joch der französischen Hegemonie abwerfen. Geduld, junger General. Ihre Zeit ist noch nicht gekommen. Doch eines Tages wird dieses Land Sie dringend brauchen. Vergessen Sie nie, dass Sie England dienen, auch wenn die Dinge die Sie tun müssen, Ihnen schwerfallen werden oder gegen Ihre moralischen Werte und Ihren Ehrenkodex stehen. Sollte es Ihnen gelingen, dies zu begreifen, dann werden Sie es eines Tages sehr weit bringen.“
Während der nächste Redner in der eisigen