Der asiatische Archipel. Ludwig Witzani

Der asiatische Archipel - Ludwig Witzani


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von Yogjakarta in den Tenanggungbergen lag. Eine lange Tagestour, deren Fahrtpreis durch drei geteilt wurde. Da Rike pleite war, durfte sie umsonst mitfahren.

      Kaum hatten wir Yogjakarta verlassen, empfing uns die Landschaft Javas wie ein Schock. Eine Endlosigkeit von Feldern, Palmen und sanft geschwungenen Bergen erstreckte sich links und rechts der Straße. Sie war durchsprenkelt mit kleinen Dörfern und bevölkert von unzähligen Menschen, die in den Reisfeldern standen oder mit ihren Wasserbüffeln die Felder bearbeiteten. Der homo javanensis und sein Freund, der Boden Javas, ein unschlagbares Team auf dem vielleicht fruchtbarsten Boden der Welt. Dieser Boden war der Wohltäter der Insel, eine unendlich langsam explodierende Granate des Lebendigen, die die Pflanzen nur so aus sich herausschleuderte. Was wir sahen, war eins Symphonie des Lebens in grün: giftgrün war das feuchte Moos an den Rinden der Bäume, hellgrün waren die Farne an den Straßenrändern und sattgrün die Palmenblätter, die die Felder begrenzten. Dieser Boden existierte in einem Übermaß von Regen und Sonne und nährte sich von den Mineralien, die die javanischen Vulkane bei ihren Ausbrüchen über das Land verteilten. Einer der Väter dieser Fruchtbarkeit befand sich übrigens nur 36 Kilometer von Yogjakarta entfernt: Sein Name war Merapi, er war groß und schön, pyramidal und brandgefährlich. Seit Anbeginn der menschlichen Geschichte glomm er vor sich hin, um gelegentlich wie eine Apokalypse über das Land zu kommen. Es hieß, dass er dann Glutwolken ausspieh, fast tausend Grad heiß und so schnell, dass es vor ihnen keine Rettung gab.

      Doch von dieser Bedrohlichkeit war an diesem Tag nichts zu erkennen. „Der Merapi schläft“, hatte es in Yogjakarta geheißen, und tatsächlich zog der Vulkan wie ein Ausbund an Friedlichkeit am Horizont vorüber. Oder war es ein anderer Vulkan? Wer wollte bei so viel Magma unter der Erde die Übersicht behalten? Oberhalb der Erde aber prangten die Geschenke der unberechenbaren Erde, veredelt durch den Fleiß der Menschen.

      Auf sanft ansteigenden Bergschrägen waren Reisterrassen angelegt worden. Reisterrassen schmückten die Landschaft um den Preis unfassbarer Mühe, nicht nur, was ihre Anlage, sondern auch, was ihre Erhaltung betraf. Die Bewässerung der Reisterrassen war wegen des reichlichen Regens zwar kein Problem, aber die Gefällewinkel der Terrassen mussten genau die richtige Schräge finden, um sowohl eine Verschlammung wie ein zu schnelles Abfließen des Wassers zu verhindern. Ihre Begrenzungen glichen den Brüstungen kleiner Burgen, in ihrem Wasser verdoppelte sich der Zug der Wolken.

      Als wir in einem indonesischen Dorf, eine kurze Rast einlegten, waren wir sofort von Kindern umringt. Ich konnte mich kaum sattsehen an ihrer filigranen Vollkommenheit, dem Bronzeton ihrer Haut, dem blauschwarzen, dichten Haaren und ihren großen, neugierigen Augen. Alle waren barfuß unterwegs, die meisten trugen kurze Hosen und halb zerrissene Leibchen über ihren schmalen Oberkörpern. Sie bettelten nicht, sie störten nicht, sondern starrten uns aus ihren großen Augen an wie Aliens aus einem anderen Universum. Vor allem der massige Sam hatte es ihnen angetan, am liebsten hätten sie seine helle Haut und seinen Bart berührt. Schließlich wurden sie mutiger und begannen auf Sam einzubrabbeln, was Sam Gelegenheit gab, Kostproben seiner Bahasa Indonesia Kenntnisse zum Besten zu geben. „Saya seorang lelaki kulit putih” (Ich bin ein Weißer) sagte er, was die Kinder zu kreischendem Lachen veranlasste. Dann machte Sam plötzlich „Buh!“, und erschrocken stieben die Kinder auseinander.

      Nach der Rast führte die Straße in stetigen Windungen langsam höher. Endlich wurde es etwas kühler. Rike kurbelte das Seitenfenster herunter und zündete sich eine Zigarette an. Im Grunde war sie ein hübsches Mädchen, sie besaß ausdrucksstarke Augen und niedliche Pausbäckchen, die auch die Entbehrungen einer monatelangen Indonesienreise überstanden hatten. „Was hat es eigentlich mit diesem Dieng Plateau auf sich?“ fragte sie.

      „Auf dem Dieng Plateau befinden sich die Überreste hinduistischer Tempel mitten in einem Vulkankegel“, antwortete Sam. Er saß gleich neben ihr und wirkte in seiner Massigkeit wie eine Vatergestalt. Frag mich, und ich sage dir, was du wissen willst.

      „Und wie kommen diese Hindutempel nach Java?“

      „Indische Händler und Priester erschienen vor anderthalbtausend Jahren in Java und brachten ihre Kultur mit“, erwiderte Sam.

      „Cool“, sagte Rike.

      Sashan rotzte einen roten Betelklumpen in hohem Bogen aus dem Seitenfenster. Manfred bat darum kurz anzuhalten, um sich zu erleichtern. Er war blass und schweigsam, eine Magenverstimmung wollte nicht weichen.

      In der kurzen Pause erkletterte ich eine Anhöhe, um einen Überblick zu gewinnen. Die Gegend war nun bergiger geworden, ohne dass die Vegetationsdichte abgenommen hätte. Bäume und Felder erstreckten sich bis zu den Bergen am Horizont. Der Himmel hatte sich zugezogen, schwarze Wolken lagen über dem Temanggung.

      Eine Stunde später begann es in Wonosobo zu regnen. Die Straße wurde schlechter und rutschig, als wir nach Norden abbogen. Nach einer weiteren halben Stunde hatten wir unser Ziel erreicht: das Dieng Plateau auf etwa zweitausend Metern Meereshöhe, eine der interessantesten Sehenswürdigkeiten Javas – aber nur, wenn die Sonne schien. Leider goss es wie aus Kübeln, und es war praktisch nichts zu sehen. Nasser Nebel umwaberte unser Fahrzeug. Von den Rändern des riesigen Vulkankegels, in dem wir uns befanden, war überhaupt nichts zu erkennen.

      Auf den ersten Blick war es erstaunlich, dass die hinduistischen Javaner im achten und neunten Jahrhundert gerade hier ihre erste große Tempelstadt errichtet hatten. Weitab von den landwirtschaftlichen Zentren der Insel in der Nähe eines Himmels, aus dem es in Java im Laufe eines Jahres noch mehr regnen kann als in Indien. Doch es war ein magischer Ort, denn ein Teil des Nebels, der uns umgab, entstand durch die heißen Dämpfe, die aus dem Kraterboden stiegen wie der Dampf aus kochenden Töpfen.

      „Muss ich da raus?“ fragte Rike. Niemand antwortete.

      Als wir endlich in einer kurzen Regenpause die sorgsam gekennzeichneten Wege durch den Vulkankessel liefen, passierten wir zahlreiche Löcher und Erdspalten, aus denen es zischte, gurgelte und dampfte, als befände sich der Schlund der Hölle direkt unter uns. Ich überprüfte mit der Hand die Temperatur der Böden. Immerhin, sonderlich warm war er nicht. War das ein gutes Zeichen?

      Dann erschienen die ersten Tempelruinen im Dunst. In der Blütezeit des javanischen Hinduismus sollen auf dem Dieng Plateau über hundert Tempel gestanden haben. Übrig geblieben waren gerade mal acht. Sie waren aus Stein erbaut, standen auf soliden Sockeln und besaßen ein stufenförmig-pyramidal zulaufendes Dach. Hier und da waren die halb verwitterten Reste von Steinmetzarbeiten an den Außenwänden zu erkennen. Ein durch den Regen der Jahrhunderte eingeweichter Shiva aus Stein blickte mich an. Keiner der Tempel machte als Bauwerk etwas Besonderes her, aber vor der Kulisse von Nebel, Dampf und Regenwolken wirkten sie wie die Überreste eines versunkenen Imperiums.

      Ich erinnerte mich an Mahaballipuram im Südosten Indiens, einen heute recht verschlafenen Ort, von dem aus im indischen Mittelalter die Handelsflotten nach Südosten aufgebrochen waren. Der Kailasa-Tempel am Strand von Mahaballipuram war vielleicht die Blaupause dieser viereckigen kleinen Tempel gewesen, wer wollte das wissen? Dieser indische Kulturtransfer seit der Mitte des ersten Jahrtausends muss ein überwiegend friedlicher Import gewesen sein, bei dem die Neuankömmlinge aus Mahaballipuram, Madurai oder Cochin nicht nur begehrte Waren sondern auch die Errungenschaften einer überlegenen Kultur mitgebracht hatten. Mit ihnen waren die indischen Epen wie Ramayana und Mahabharata ebenso nach Java gelangt wie das Sanskrit, aus dem zahlreiche Lehnworte in die javanische Sprache übergegangen waren.

      Der Regen nahm zu, der Untergrund wurde matschig und Sashan drängte zur Rückkehr. Ich wäre gerne noch etwas länger geblieben, doch inzwischen hatte es sich wieder eingeregnet, und es war nichts mehr zu sehen. Was würde ich mitnehmen von diesem Platz? Eine Stimmung, eine Farbe der Welt, die mit anderen Farben Asiens zu einer Erinnerung werden würde, ein Gefühl, das eine Zeitlang in mir nachhallen würde, ehe es verschwand.

      Auf der Rückfahrt wurde die Sicht auf den abschüssigen Straßen immer schlechter. Doch Sashan kaute unverdrossen seine Betelnüsse, rotzte den Sud in den Regen und lenkte den Wagen stets schon in die richtige Richtung, ehe die Kurve überhaupt sichtbar wurde. Allerdings fuhr er zu schnell, und mehr als einmal geriet das Taxi ins Schleudern. Der einzige Trost war, dass wir die möglichen Abgründe,


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