Der asiatische Archipel. Ludwig Witzani

Der asiatische Archipel - Ludwig Witzani


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halben Dutzend Javaner von Gottseidank schlanker Statur.

      Dann setzte sich der Zug in Bewegung. Quietsch und stopp, ein krrr, krrr und ein zögerliches Taggertagtagg setzte ein. Ein intensiver Geruch nach Hühnerkäfig zog durch den Waggon, als hätte er sich in dem Moment von den Wänden gelöst, als der Zug ruckhaft gestartet war. Taggertaggertagertagg. Langsam erreichte der Zug die Geschwindigkeit einer Fahrradrikscha, dann wurde er noch schneller, und wie eine Erlösung zog ein kühlender Wind durch die geöffneten Fenster. Eine Unendlichkeit von Hinterhöfen, Müllhalden und Ausfallstraßen zog am Fenster vorüber, schließlich wurde es dunkel, und die Aussichten verschwanden im gnädigen Dunkel einer javanischen Nacht. Dann ein plötzlicher Stopp, der erste von unzähligen, die mich in dieser Nacht noch quälen würden. Der Zug stand ohne ersichtlichen Grund eine halbe Stunde auf dem Gleis, dann ging es weiter. Taggertaggtagg. Die Ventilatoren an der Decke bewegten sich nicht, dafür blieb das Licht die ganze Nacht an. Es wurde von funzeligen 20 Watt Birnen an der Decke erzeugt, die wie die Augen böser Geister über uns hingen. Bei dieser Beleuchtung wirkt jeder wie sein eigener Wiedergänger, und für einen Augenblick fantasierte ich, ich befände mich mit einer Horde von Untoten auf dem Weg ins Nirgendwo. Aber es waren keine Untoten sondern hart arbeitende Menschen, die mich auf der Reise durch die Nacht begleiteten, lauter Männer und Frauen, die wahrscheinlich einen langen Tag hinter sich hatten und sich nun bemühten, ihr Ziel so kräftesparend wie möglich zu erreichen. Südlich des Äquators war Reisen keine Lust, sondern Last, und den meisten meiner Sitznachbarn wäre es widersinnig vorgekommen, sich freiwillig einer solchen Tortur auszusetzen. Ihre Kleidung zeigte Spuren von Abnutzung, war aber erkennbar um Sauberkeit bemüht. Viele der Reisenden hatten die Augen geschlossen, andere waren in einer Art Wachkoma versunken, das mir in Indonesien noch oft begegnen sollte. Das Ehepaar mir gegenüber saß mit offenem Mund und glasigen Augen auf der Bank, nur ihre Köpfe konnte ich sehen, weil das Gepäck auf ihrem Schoß sie fast völlig verdeckte. Nach einigem Hin- und Herrücken legte ich mich einfach auf den schmutzigen Boden des Abteils, streckte die Füße aus und vertraute darauf, dass die Passagiere einfach darübersteigen würden. Vorher hatte ich die Schlaufen meines Rucksacks und meiner Fototasche mit meinem Gürtel verknotet.

      Kurz vor Morgengrauen wachte ich auf. Die Menschen um mich herum lagen verdreht und verknotet auf ihren Sitzen, ihre Gesichter zeigten Züge maskenhafter Erschöpfung. Ich selbst fühlte mich, als hätte ich einige Monate in einem Schützengraben verbracht. Langsam rollte der Zug in den Bahnhof von Yogjakarta ein.

      ***

      Auf dem Bahnhof von Yogjakarta war es bei weitem nicht so hektisch wie in Jakarta. Es existierte sogar ein kleiner Kaffeeausschank in der Eingangshalle, an dem ich mich erst einmal niederließ, um einen starken javanischen Kaffee zu trinken. An diesem Kaffeeausschank lernte ich Manfred kennen, einen schlanken Mathematiker aus Bonn, der mit dem gleichen Zug wie ich aus Jakarta gekommen war. Er war bleich wie eine Kalkwand und hatte große, kugelrunde Augen, was seinem Gesichtsausdruck immer etwas Überraschtes gab. Obwohl er die Reise nach Yogjakarta in der zweiten Klasse mit Sitzreservierung verbracht hatte, standen ihm die Haare zu Berge. Wie ein Traveller sah er nicht aus, eher wie ein Kulturtourist, wie sie in Ikarus- oder Studiosusgruppen durch die Welt reisten.

      Wir hatten uns noch gar nicht richtig bekanntgemacht, da standen schon zwei junge Männer vor uns und brabbelten in einem englischen Kauderwelsch auf uns los. Sie trugen Sarongs, die ihnen bis zu den Sandalen reichten und erzählten, dass es ein wunderbares Hotel in der Stadtmitte gäbe und dass sie bereit wären, uns kostenlos zu dieser Traumunterkunft zu bringen. Eigentlich gehörte es zu den Grundregeln selbstorganisierten Reisens auf solche Angeboten nicht einzugehen. Sie sind fast immer ungünstiger als die Unterkünfte, die man selber finden kann. Doch wir waren so erschöpft, dass wir uns von den beiden jungen Männern zu ihren Rikschas führen ließen, um das besagte Hotel anzusteuern. Wir fuhren durch Straßen mit flachen, bunt angestrichenen Häusern und sahen Frauen hinter Marktständen, denen ihre Kulihüte wie umgedrehte Bratpfannen auf den Köpfen saßen.

      Der Name des Hotels war „Murati“. Von außen sah es gut aus, dreistöckig ohne Fassadenrisse, es besaß sogar einen Palmengarten und einen kleinen Pool. Der Rezeptionist wurde von seiner Couch geschellt und begrüßte die beiden Riksckafahrer wie alte Bekannte. Uns dagegen bot er ein fensterloses Loch in der Tiefparterre an. Erst als wir uns zum Gehen wandte, war war plötzlich ein besseres Zimmer frei, das nur unwesentlich teurer war. An den langen Gesichtern unserer Riksckafahrer sahen wir, dass ihnen unsere Zimmerwechsel die Provision beschneiden würde. Mich blickte der Rezeptionist dagegen treuherzig an, als wolle er sagen: Versuchen konnte ich es ja einmal. Schlitzohr, dein Name ist Javaner. Dass ich mit Manfred das Zimmer teilen würden, hatte sich wie von selbst ergeben. Mir war es recht, wenn er nur nicht schnarchte.

      Nach zwei Stunden nachgeholtem Schlafs kam ich wieder zu Kräften und las ein wenig im „Lonely Planet Guide“. Lob und Ehre für die Verfasser der geschichtlichen Kapitel dieser Reiseführer. Sie waren fast immer kurz und knackig und vermieden überflüssiges Detailgedöns, ohne deswegen oberflächlich zu sein. So, so Yogyakarta spielte also für Java die gleiche Rolle wie Delhi für Indien. Inmitten einer Landschaft von unglaublicher Fruchtbarkeit und im Schatten des großen Murati Vulkans war genau hier in Zentraljava eine der großen mittelalterlichen Kulturen Asiens erblüht, zuerst buddhistisch, dann hinduistisch und schließlich islamisch.

      Das hörte sich interessant an, und ich besorgte mir einen Kaffee in der Hotelküche, die mittlerweile geöffnet hatte. So wie es aussah, hatten wir es gar nicht so schlecht getroffen. Das „Murati“ war eine Mischung aus Hostel und Hotel, in dem sich vorwiegend ausländische Individualreisende aufhielten. Nach und nach gingen die Türen auf und die verschiedensten Figuren zeigten sich auf den Etagenbalkonen. Engländer, Holländer und zwei Kanadier kamen an den Pool, einige mit einem Becher Kaffee in der Hand, andere rauchten ihre erste Morgenzigarette. Auf der Liege neben mir ließen sich zwei junge Frauen nieder. Sie hatten bereits ihren Bikini angezogen und begannen ihr morgendliches Sonnenbad. Die eine der beiden hieß Rike, ihre Freundin stellte sich als Amanda vor. Rike war ein ektomorpher Typ, hatte ein vorwitzige Nase und einen langen Kopf mit spitzem Kinn. Ihre Freundin dagegen war runder. Rund waren ihr Kopf, ihr Gesicht und ihre Figur, sie war eine mesomorphe Erscheinung.

      Rike begann sofort zu plaudern und erzählte, dass sie fast am Ende ihrer Indonesien-Reise angekommen sei und am Ende der Woche von Jakarta aus nachhause fliegen würde. Zusammen mit Amanda hatte sie fast zwei Monate in Bali und Lombok „abgehangen“ ohne sich sonderlich um Vulkane oder Tempel zu kümmern. Eine Passage aus den Reisetagebüchern von Ernst Jünger fiel mir ein. „In der Sonne liegen und das Verstreichen der Zeit als unmittelbaren Genuss erleben, ist auch eine Begabung.“

      In der halb nachlässigen, halb interessierten Art, wie es zum on dit unter Alleinreisenden gehört, setzte sich ein kräftiger Mann zu uns. Auf den ersten Blick war er ein wilder Geselle mit einer Sturmfrisur, die durch sein Stirnband kaum gebändigt wurde. Sein Name war Sam, er war Kanadier und bereits einige Monate auf Java unterwegs. Jeden Tag lernte er etwa ein halbes Dutzend Phrasen aus einem Bahasa Indonesia- Lehrbuch, die er am liebsten mit den Zimmermädchen einübte. Sam kam aus Manitoba in Zentralkanada und erklärte mir, wie die endlose, flache Weite seiner Heimat sein Fernweh erweckt hatte. Seine Familie sei alteingesessen und wohlhabend, der Bruder, der Geschäft und Vermögen der Familie geerbt hatte, zahle ihm eine Leibrente, mit der er die Welt bereiste. Glücklicher Sam. Sam war aber nicht nur glücklich, sondern auch ambitioniert, denn er war fest entschlossen, mit einem Kind heimzukommen. Er reise mit genau diesem Ziel durch die Welt und werde nicht ohne Kind nach Kanada zurückkehren. Sei das Kind erst einmal da, dann seien auch bald die richtigen Frauen zur Stelle. Wenn er sich da nicht mal irrte.

      So verging ein fauler Tag am Pool von Yogjakarta mit allerlei halbgaren Geschichten. Gegen Mittag verschwanden Rike und Amanda, dafür gesellten sich zwei Briten zu uns, um sofort Sam ins Gebet zu nehmen. Wenn ich sie richtig verstand, beklagten sie sich darüber, wie kompliziert in Java die Beschaffung von Dope sei. Der Markt sei heikel und nicht ungefährlich. Gerade erst letzte Woche sei in einem der Nachbarhotels ein französisches Pärchen mit einem harmlosen Joint hochgenommen worden. Ich lag auf der Liege und hörte mit geschlossenen Augen zu. Die goldenen Tage der Kiffer waren offenbar vorüber, denn den Drogendealern ging es zunehmend an den Kragen. Erst vor kurzem hatte sich der neugewählte Präsident


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